Nach Sinwars Tod

Politischer Frieden ist jetzt möglich

Yayha Sinwar (hier beim Al-Quds-Tag 2023 in Gaza-Stadt) Foto: picture alliance / AA

Yahya Sinwar war selbst in der blutigen Geschichte des Kampfes zwischen Arabern und Juden, ja des gesamten Nahen Ostens eine Ausnahmeerscheinung. Er war ein pathologischer Mörder. Er wurde von den Israelis wegen Mordes an palästinensischen »Verrätern« von einem israelischen Gericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Dort lernte er Iwrit, las Bücher über israelische Politiker – alles um, »den Feind besser kennenzulernen«.

Während der Gefangenschaft entfernten israelische Ärzte bei ihm einen Gehirntumor. Das hätte für ihn ein Wendepunkt sein können: zu erkennen, dass man mit den Israelis, die sein Leben gerettet hatten, Frieden schließen konnte, um endlich das Jahrzehnte währende Blutvergießen zu beenden und damit die Grundlage für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in Gaza zu legen. Doch Sinwar dachte nicht daran. Er wollte unbedingt Rache, Krieg bis zum Sieg, koste es, was es wolle.

Er schaltete alle Rivalen aus

Als Sinwar 2011 gemeinsam mit tausend weiteren verurteilten Palästinensern im Austausch gegen die israelische Geisel Gilat Shalit freikam, setzte er in den Reihen der Hamas voller Hass den Krieg gegen »die Juden« fort. Die Hamas verweigert Israel die Existenzberechtigung. Die Terrorgruppe will bis zur vollständigen Zerstörung Zions ihren Krieg weiterführen. Aufgrund seines Fanatismus und seiner Intelligenz gelangte Yahya Sinwar in wenigen Jahren an die Spitze der Hamas in Gaza. Er schaltete alle Rivalen aus.

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Als Militärkommandant und absoluter Herrscher des Gazastreifens ging Sinwar mit rastloser Energie daran, einen umfassenden Feldzug zur Zerstörung Israels vorzubereiten. Der Chef-Guerilla wusste, dass einzelne Raketenangriffe mit iranischen Waffen, die seit Jahren mit stillschweigender Duldung Ägyptens über die Sinai-Halbinsel in den Streifen geschmuggelt wurde, den jüdischen Staat nicht gefährden konnten. Ebenso wenig wie vereinzelte Beschießungen, Kommandos und Feuerstiftungen.

Gegen die »kalten« Friedensabkommen

Um Israel einen tödlichen Schlag zu versetzen, brauchte es eine gewaltige Militäroperation mit mehr als tausend jüdischen Opfern und Hunderten von Geiseln. Damit sollte Jerusalem zu groß angelegten Gegenschlägen provoziert werden, die wiederum die libanesischen Hisbollah-Milizen, die jemenitischen Huthi-Rebellen, vor allem aber Iran auf den Plan rufen würden. So sollte Israel in einen Abnutzungskrieg verwickeln werden, der den jüdischen Staat auf Dauer erschöpfen würde.

Zudem würden Zions Gegenschläge von großen Teilen der Weltgemeinschaft, vor allem von den 57 islamischen Staaten und den Ländern des globalen Südens verurteilt werden und diese zu einer Verschärfung des Vorgehens gegenüber Israel treiben. Damit würden die »kalten« Friedensabkommen Israels mit Ägypten, Jordanien, Marokko, den Vereinigten Arabischen Emiraten ihre Gültigkeit verlieren. Saudi-Arabien, der wichtigste arabische Player, könnte in diesem Klima keinen offiziellen Frieden mit Israel schließen.

Zions Staatsraison, das sichere Asyl für die Juden aller Welt zu sein, wurde entscheidend erschüttert.

Sinwar sorgte durch persönliche Kontakte für eine Abstimmung mit den Paten des Terrors, dem iranischen Mullah-Regime, das ebenfalls offen die Vernichtung des »zionistischen Gebildes« Israel aktiv politisch und militärisch durch die Produktion moderner Waffen, vor allem Raketen, aber auch die Entwicklung nuklearer Sprengsätze betrieb. Dies war die Ausgangslage vor dem 7. Oktober.

Der präzedenzlose Terrorangriff konnte freilich nur gelingen, weil Israels Armee und der militärische Geheimdienst alle unverkennbaren Warnzeichen in den Wind schlugen. Zahal fühlte sich der Hamas derart überlegen, dass man ihr keine größere Operation zutraute. Daher hielt man kein Mindestmaß an Abwehrwaffen in Bereitschaft.

Dieser unverantwortliche Leichtsinn war Voraussetzung für das Gelingen des Massakers vom 7. Oktober. Um die Demütigung Israels und der Juden auf die Spitze zu treiben, filmten die Hamas-Kommandos ihre Verbrechen, Mord, Folter, Vergewaltigung, und stellten die Aufnahmen ins Netz. So schamlos dreist waren nicht einmal die Nazis vorgegangen, die ihre Massenmorde geheim zu halten suchten.

Wie Sinwar kalkuliert hatte, traf der von ihm entwickelte Terroranschlag Israel ins Mark. Zions Staatsraison, das sichere Asyl für die Juden aller Welt zu sein, wurde entscheidend erschüttert. Nach kurzer Zeit schlug Israels Armee zurück. Zahal marschierte in Gaza ein, um die Hamas militärisch zu liquidieren und die Geiseln zu befreien.

Baerbocks Israelreisen

Das war das Signal für die Hisbollah, Israel mit ständigem Raketenbeschuss zu zermürben. Die Bevölkerung nahe der Nordgrenze des Landes, rund 60.000 Menschen, musste evakuiert werden. Die Führer der westlichen Welt, allen voran U.S.-Präsident Biden, Bundeskanzler Scholz, Präsident Macron, eilten nach Israel, um dem jüdischen Staat ihre Solidarität zu versichern.

Gleichzeitig warnten sie Jerusalem vor einer »Eskalation«. Israel sollte davon absehen, die Hisbollah und Iran anzugreifen. In der Vollversammlung der Vereinten Nationen stellte sich die überwiegende Mehrheit der Staaten gegen das angegriffene Israel. Die Hamas wurde als Täter verschwiegen. Deutschland enthielt sich der Stimme.

Bundesaußenministerin Baerbock reiste ständig nach Israel, um den Angehörigen ihr Mitgefühl zu versichern. Gleichzeitig machte sie den Israelis mit zunehmender Schärfe deutlich, dass sie eine militärische Eskalation und Opfer der Zivilbevölkerung nicht hinnehmen würde.

Sie und Vizekanzler Habeck sorgten im Bundessicherheitskabinett dafür, dass faktisch keine deutschen Waffen an Israel, das einen Verteidigungskrieg führte, geliefert wurden. Zugleich wurden Israel und seine führenden Politiker vor dem Internationalen Gerichtshof und dem Internationalen Kriegsverbrecher-Tribunal wegen Völkermords und Kriegsverbrechen angeklagt.

Wer Hitler überlebt, kann auch ein Terrormassaker überstehen. Erst recht vergaß Sinwar die Resilienz und Opferbereitschaft Israels.

In aller Welt, auch in den westlichen Demokratien, selbst in Deutschland und den Vereinigten Staaten werden Israelis und Juden an den Universitären und anderswo bedroht, verhöhnt, angegriffen.
Sinwars Rache- und Zerstörungsplan schien zunächst perfekt aufzugehen. Doch in seiner Rechnung hatte er den zähen Überlebenswillen der Juden und Israels übersehen wollen, der das jüdische Volk 2000 Jahre Antisemitismus überstehen ließ.

Wer Hitler überlebt, kann auch ein Terrormassaker überstehen. Erst recht vergaß Sinwar die Resilienz und Opferbereitschaft Israels, sich zu verteidigen. Neben den Ärzten, die selbst ihre Feinde retten, gibt es hunderttausende Soldaten, die bereit sind, ihren Staat mit ihrem Leben zu verteidigen – eine Tugend, die zunehmend auch von den westlichen Demokratien in ihrer Abwehr der Feinde gefordert wird.

Israel hat die Führung der Hisbollah zerschlagen. Es ist zweifelhaft, ob ein Landkrieg im Libanon für Jerusalem zielführend ist. Alle bisherigen Offensiven dort sind langfristig gescheitert. Yahya Sinwar und seine Führungsriege sind getötet. Am Ende starb er allein.

Der Zeitpunkt ist gekommen, den Krieg auch politisch zu lösen

Jetzt ist für Jerusalem der Zeitpunkt gekommen, den Krieg, der lediglich eine Fortsetzung der Politik ist, auch politisch zu lösen. Dies wird nur mithilfe der USA und loyaler Verbündeter wie Deutschland möglich sein.

2008 hatte die damalige Bundeskanzlerin Merkel vor der Knesset erklärt, Israels Sicherheit sei deutsches Staatsinteresse. Bundeskanzler Scholz hat diese Aussage wiederholt bekräftigt. Es darf nicht bei leeren Worten bleiben. Israel muss bei seinem Abwehrkrieg unterstützt werden.

Politisch und psychologisch entscheidend ist auch die Befreiung der israelischen Geiseln. Auch das Leid der palästinensischen Bevölkerung muss ein Ende haben. Bislang sind rund 15.000 Hamas-Kämpfer getötet worden. Weit mehr haben überlebt und kämpfen weiter.

Das zeigt, der Krieg muss politisch gelöst werden. Dies ist kein Wunschdenken, sondern politische Realität – wenn man bereit ist, genügend Unterstützung für Israel und Druck gegen die Kriegstreiber und nuklearen Aufrüster in Teheran aufzubauen, ist Frieden möglich. »Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.«

Rafael Seligmann,77, wurde mit einer Dissertation über »Israels Sicherheitspolitik« promoviert. Er hat internationale Beziehungen an der Universität München gelehrt. Im April erschien sein Buch: »Brandstifter und ihre Mitläufer. Putin - Trump - Netanyahu« bei Herder.

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