Corona

Pandemie-Proteste

Es brodelt in Israel – und nicht mehr nur unter der Oberfläche. Immer mehr Menschen sprechen sich lautstark gegen die Beschränkungen während der zweiten Welle des Coronavirus aus und kündigen an, sich nicht daran halten zu wollen. Seit Tagen gibt es im ganzen Land Demonstrationen mit Tausenden von Teilnehmern.

Die Regierung verkündete verschiedene Restriktionen – und revidierte sie kurz darauf. Angesichts der wiederholten Änderungen ist die Bevölkerung irritiert. Gesundheitsminister Yuli Edelstein versicherte zwar, er verstehe die Verwirrung wegen des Hin und Her in Jerusalem, sein Ministerium habe damit jedoch nichts zu tun.

Schwimmbäder Zunächst hatte es geheißen, dass Res­taurants, Schwimmbäder sowie Kindergärten und Sommerschulen ab vergangenen Freitag komplett geschlossen werden. Kurz darauf ruderte die Regierung zurück und ordnete an, dass Restaurants erst am Dienstag ihre Türen zusperren müssen.

Auch hätte, wie bereits während des ersten Lockdowns im März und April, der Strand abgeriegelt werden sollen. Bars waren bereits vor zwei Wochen wegen der ansteigenden Zahl der Neuinfektionen mit Covid-19, die mehr als 2000 pro Tag erreichen, wieder geschlossen worden.

KEHRTWENDE In einer scharfen Kehrtwende entschied die Regierung am Montag jedoch, dass sowohl Schwimmbäder als auch Kindergärten und Schulen geöffnet bleiben.

Am nächsten Tag dann machte das Corona-Komitee der Knesset unter der Leitung von Yifat Shasha-Biton (Likud) klar, dass auch Restaurants Gäste bewirten dürfen. Im Innenbereich sind 20 Personen erlaubt, draußen bis zu 30. Sieben Mitglieder des Komitees sagten Ja zur Öffnung, drei sprachen sich dagegen aus. »Wir können nicht für etwas stimmen, das wir der Öffentlichkeit nicht erklären können«, argumentierte Shasha-Biton.

Restaurants kündigen an, auf jeden Fall weiterhin Gäste zu bedienen.

»Ich weiß nicht, was Leute dazu bringt, optimistisch zu sein, wenn die Zahlen so hoch und alarmierend sind«, warnte Edelstein indes. »Diese Regelung des Komitees wird dazu führen, dass bald viel striktere Maßnahmen umgesetzt werden.«

betreuung Zur selben Zeit erklärte Regierungschef Benjamin Netanjahu, dass die Betreuung in Kindergärten und Sommerschulen, die in diesen Ferien bis zur dritten Klasse angeboten werden, weiterlaufen werden. Allerdings lediglich bis Donnerstag. Dann werde neu darüber beraten.

Am Donnerstag dann ernannte Israel offiziell einen Corona-Beauftragten. Professor Roni Gamzu, Leiter des Tel Aviver Ichilov-Krankenhauses, werde die Aufgabe übernehmen, teilte das Gesundheitsministerium mit.

Auch das Schicksal der Fitnesscenter ist nach wie vor offen. Darüber will das Komitee in diesen Tagen diskutieren. Zudem soll es einen generellen Lockdown an den Wochenenden geben und vielleicht sogar einen, der während der Nacht verhängt wird. Entschieden aber ist das noch nicht. Währenddessen wächst die Kritik weiter. Oppositionsführer Yair Lapid von Jesch Atid schrieb auf Facebook: »Das ganze Land versucht zu verstehen, warum man Mediziner und Wirtschaftler ignoriert, die bestätigen, dass dies Wahnsinn ist. Die Regierung ist vom Weg abgekommen.«

ALLTAG Das Gefühl hat auch Ortal Harari. Seit Monaten versucht sie, ihren Alltag mit drei Kindern zu organisieren. »Doch es gibt ständig neue Ansagen. Heute so, morgen so. Es macht uns alle verrückt.« Zunächst sollten lediglich Sommercamps für Kinder ab zehn Jahren abgesagt werden, danach alle schließen, und nun weiß keiner mehr, was nächste Woche wird, klagt die 41-Jährige aus Ramat Hascharon.

Ihre Arbeit als Freiberuflerin kann sie seit mehr als vier Monaten nicht ausüben, das Geld bleibt aus. »Es ist unmöglich, so zu arbeiten.« Jetzt muss die fünfköpfige Familie von einem Gehalt leben, »und es fehlt an allen Ecken und Enden«. Sie versteht, wenn Einrichtungen wegen der ansteigenden Zahlen von Neuinfektionen geschlossen werden müssen. »Aber dann tut es doch auch so, dass wir Bürger es verstehen und unser Leben entsprechend planen können.«

Taxifahrer Aharon Ben-Tow aus Modiin weiß nicht, um wen er sich zuerst kümmern soll: seine Familie oder seinen Freund. »Er ruft mich jeden Tag an und sagt, dass er sich umbringen will. Er weiß nicht ein noch aus, hat keinen Schekel mehr. Früher hat er hauptsächlich Touristen gefahren, doch es kommt ja keiner mehr.« Am Wochenbeginn beschloss die Regierung, das Einreiseverbot für Ausländer vorerst bis zum 1. September zu verlängern.

KRACH Viele Restauranteigentümer wollten es nicht bei Worten belassen. Als Antwort auf die Ankündigung aus Jerusalem machten sie ordentlich Krach. Wirte, Kellner und Küchenpersonal holten Töpfe und Weinkühler aus den Regalen und schlugen darauf, als sie am Wochenende im Charles-Clore-Park in Tel Aviv zu Tausenden protestierten. Sie kündigten an, trotz der verordneten Schließungen weiterhin Gäste bedienen zu wollen. Tomer Mor, Vorsitzender der Organisation »Vereinigte Res­taurantbesitzer«, sagte: »Die Luft im Land kocht.« Die kapriziösen Entscheidungen der Regierung würden gesetzestreue Bürger, die regelmäßig ihre Steuern zahlen, zu kriminellen Handlungen drängen.

Die Kette R2M, die Cafés und Delikatessenläden in verschiedenen Ortschaften betreibt, kündigte an: »Unsere Läden bleiben offen.« Sie fordert die Israelis auf, sie zu unterstützen. Hunderte von Lokalen im ganzen Land schlossen sich an und ließen ihre Namen auf eine öffentliche Liste setzen.

Schlomi Salomon, Eigentümer des Lokals »Amore Mio« in Tel Aviv, will einen Hungerstreik beginnen. »Ich kann nicht ständig Produkte für Zehntausende von Schekeln in den Abfall werfen und dazu das Schicksal von 85 Leuten, die bei mir angestellt sind. Es geht um ihr Leben und das ihrer Familien.« Salomon fordert sofortige Kompensation für den Ausfall.

DEMONSTRATIONEN Andere sehen nicht allein die Eindämmung des Coronavirus als Grund für die Beschränkungen. Michal Yuval Or vom Lokal »Tanti Bacchi« in Tivon ist überzeugt: »Ich bin sicher, es geht darum, die Demonstrationen an den Wochenenden zu stoppen.«

Zu denen kommen immer mehr Menschen, die die schwarze Flagge hissen. Sie demonstrieren gegen die Regierung und Premierminister Netanjahu, der in drei Fällen wegen Korruption angeklagt ist, und fordern seinen Rücktritt.

Mittlerweile rumort es sogar innerhalb des Likud. Gideon Saar, der einst Netanjahu als Parteivorsitzenden herausgefordert hatte, findet es schwer, »ein logisches Prinzip in diesen Entscheidungen zu finden. Sie werden den wirtschaftlichen Schaden vergrößern und nicht einmal den gewünschten Effekt erzielen«. Seine Parteikollegin Michal Shir schrieb einen offenen Brief: »Ein Premierminister sollte Kritik annehmen können, ohne jene, die sie äußern, als ›Linke‹ abzustempeln. Wenn wir nicht aufwachen, wird alles zusammenbrechen.«

Derweil einigten sich Netanjahu und Finanzminister Israel Katz (beide Likud) mit Verteidigungsminister Benny Gantz (Blau-Weiß) und Wirtschaftsminister Amir Peretz auf die Zahlung von Hilfsgeldern für jeden israelischen Bürger – egal ob bedürftig oder nicht. Diese Maßnahme, die mehr als 1,5 Milliarden Euro kosten würde, wurde von Experten und der Opposition scharf kritisiert. Daraufhin wurde sie dahingehend geändert, dass nur noch Bürger, die weniger als 640.000 Schekel (164.000 Euro) im Jahr verdienen, die Hilfen bekommen sollen.

Der Leiter der Budget-Abteilung im Finanzministerium, Schaul Meridor, hält das Vorhaben für populistisch. »Das macht uns zu Venezuela.« Likud-Politiker warfen ihm daraufhin »Sabotage« vor. Doch Meridor meint: »Vertrauen wird über lange Zeit aufgebaut, aber zerstört wird es über Nacht.«

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