Israelische Oppositionspolitiker haben mit ungewöhnlich scharfen Worten auf die Entscheidung des Kabinetts reagiert, die vollständige Einnahme von Gaza-Stadt anzuordnen. Wie mehrere israelische Medien berichten, wurde der Beschluss am Montagabend gefasst – trotz erheblicher Bedenken aus den Reihen von Militär und Sicherheitsdiensten.
Oppositionsführer Yair Lapid bezeichnete die Entscheidung in einem Beitrag auf X als »Katastrophe, die zu vielen weiteren Katastrophen führen wird«. Der Beschluss stehe »in völligem Widerspruch zu der Einschätzung der militärischen und sicherheitspolitischen Ebene«.
Der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, und Finanzminister Bezalel Smotrich hätten Premierminister Benjamin Netanjahu »in einen Schritt gedrängt, der Monate dauern, das Leben von Geiseln und vielen Soldaten kosten, den israelischen Steuerzahler Dutzende Milliarden kosten und zu einem politischen Zusammenbruch führen wird«.
»Planloses Besatzungsszenario«
Lapid warnte, die Hamas habe genau diesen Zustand angestrebt: Israel solle in einem »ziel- und planlosen Besatzungsszenario« gefangen werden, ohne eine Vorstellung vom »Tag danach«.
Auch Avigdor Lieberman, Vorsitzender der Partei Israel Beiteinu und früherer Verteidigungsminister, warf der Regierung vor, die Meinung militärischer Experten zu ignorieren. Die Entscheidung zeige, »dass über Leben und Tod entgegen den sicherheitspolitischen Erwägungen und den Kriegszielen entschieden wird«. Netanjahu, »der Premierminister des 7. Oktober«, opfere erneut die Sicherheit israelischer Bürger, »nur um seinen eigenen Sitz zu retten«.
Yair Golan, Vorsitzender der Partei Die Demokraten, erklärte gegenüber dem Armeesender, das Kabinett habe mit seiner Entscheidung »den Tod weiterer Geiseln in Kauf genommen«. Der Schritt sei bezeichnend für das Vorgehen Netanjahus: »Er ist schwach, leicht unter Druck zu setzen, unfähig, Entscheidungen zu treffen, und nicht in der Lage, zwischen den Vorschlägen der Fachleute und den messianischen Kräften in seiner Regierung zu vermitteln.«
»Messianische Visionen«
Golan sprach von einer »Katastrophe für Generationen«: »Unsere Söhne und Enkel werden noch in den Gassen von Gaza patrouillieren, wir werden über die Jahre Hunderte Milliarden bezahlen – und all das aus Gründen des politischen Überlebens und messianischer Visionen.« Zugleich stellte er die Frage, wie die Regierung den Gazastreifen entwaffnen wolle: »Wollen wir durch Tunnel kriechen und das letzte Kalaschnikow-Gewehr bergen?«
Nach übereinstimmenden Berichten israelischer Medien hatten hochrangige Vertreter von Armee und Geheimdiensten vor einem groß angelegten Vormarsch nach Gaza-Stadt gewarnt. Sie befürchten langwierige Häuserkämpfe, hohe Verluste und eine weitere Verschärfung der humanitären Lage. Zudem gilt die Eroberung der Stadt ohne ein klares Konzept für die Nachkriegsordnung als riskant – nicht zuletzt, weil unklar ist, wer die Kontrolle nach einem möglichen Abzug übernehmen würde.
Der Beschluss fällt in eine Phase anhaltender politischer Spannungen in Israel. Netanjahu steht seit Monaten innenpolitisch unter Druck, sowohl wegen seines Umgangs mit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 als auch wegen der schleppenden Rückführung der noch in Gaza festgehaltenen Geiseln. Beobachter sehen in der Entscheidung für die Operation in Gaza-Stadt auch den Versuch, innenpolitische Schwäche durch militärische Entschlossenheit zu überdecken. ja