Politik

Netanjahu unter Druck

Sitzt nach wie vor fest im Sattel: Benjamin Netanjahu Foto: Flash 90

Es wurde laut am vergangenen Wochenende. Gleich mehrere Opponenten von Regierungschef Benjamin Netanjahu watschten ihn in öffentlichen Ansprachen ab. Allen voran machte der Ex-Premier- und -Verteidigungsminister Ehud Barak, der nach langer Abwesenheit zum ersten Mal wieder in der israelischen Öffentlichkeit auftauchte, seinem offenbar tief sitzenden Unmut Luft. Er beschied Netanjahu Versagen in sämtlichen Belangen, nannte die Regierung »pessimistisch, passiv, von Angst und Lähmung geleitet« und beklagte den »aufstrebenden Faschismus«.

Dass Netanjahu zusehends unter Druck gerate, bescheinigten ihm anschließend die Nachrichten im Land. Neben den verschiedenen Skandalen wegen des Verdachts auf Korruption in seiner Amtszeit als Finanzminister sowie der Vorwürfe gegen seine Ehefrau Sara sieht er sich nun noch dem Zorn ehemaliger Generäle ausgesetzt, die allesamt zum verbalen Angriff gegen ihn ansetzten.

Plattform Einer von ihnen, der kürzlich als Verteidigungsminister zurückgetretene Mosche Yaalon, kritisierte seinen einstigen Vorgesetzten auf der Herzliya-Konferenz aufs Schärfste und bezeichnete die Regierung als eine »fanatische Kerngruppe mit radikaler Ideologie, die das Oberste Gericht, die freie Meinungsäußerung und andere Prinzipien der Demokratie angreift«. Auch die Ex-Stabschefs und Generäle Benny Gantz und Gabi Aschkenazi taten sich jetzt zusammen, um, wie sie erklärten, »ein neues israelisches Narrativ zu schaffen – gegen die Angst und dunklen Voraussagen«. Zwar sei ihre Gruppe eine soziale und kulturelle Plattform und habe kein Interesse daran, jemanden zu stürzen, hieß es seitens der Initiatoren. Doch es ist kein Geheimnis, dass diese Art von Gruppierung oft lediglich die Vorstufe zu einer politischen Partei ist.

Barak diente in den Jahren 2009 bis 2013 im Verteidigungsministerium unter Netanjahu. Einst galten die beiden als enge Vertraute. Heute offensichtlich nicht mehr. Der Grund für das ungezügelte Tadeln sei die feindliche Übernahme des Likud durch radikale Kräfte, erläuterte Barak ebenfalls in Herzliya. »Ihre Agenda hat die Führung übernommen, und die offizielle Leitung taumelt hinterher.« Doch Netanjahu habe die volle Verantwortung für die Aktionen der angeblich gekidnappten Regierung und ihre Verfehlungen.

Er forderte die Regierung auf, »sofort zur Vernunft zu kommen und in die richtige Richtung zu steuern«. Sollte das nicht passieren, forderte Barak die Israelis – »uns alle« – auf, diese Regierung durch öffentlichen Protest oder in den Wahllokalen zu Fall zu bringen, bevor es zu spät sei. »Nur dumme Schafe oder völlige Ignoranten sehen den Verfall der Demokratie und den aufkommenden Faschismus nicht.«

Denn, so Barak weiter, die Regierung wolle insgeheim eine Zweistaatenlösung mit den Palästinensern unmöglich machen. »Wenn das geschieht, wird es unvermeidbar sein, dass ein einziger Staat existiert. Und dieser wird ein Apartheidstaat sein. Oder es entsteht in ein, zwei Generationen ein binationaler Staat mit einer jüdischen Minderheit – das Rezept für einen langwierigen Bürgerkrieg.« Doch dann, prophezeite er, gebe es kein Zurück mehr, »und das gefährdet das komplette zionistische Projekt«. Barak nannte Netanjahu »hinterlistig« und meinte, dass kein Staatsoberhaupt auf der ganzen Welt ihm oder seiner Regierung noch ein Wort glauben würde.

Netanjahu selbst tat die Rede ab und erklärte lapidar: »Barak kritisiert mich etwa einmal im Monat, um im Gespräch zu bleiben.« Die ihm nahestehende Gratis-Tageszeitung Israel Hayom fragte am Tag nach den Reden hämisch, wo denn die ganzen öffentlichen Proteste seien? »Sehr verwunderlich, dass es auf den Straßen Israels völlig ruhig geblieben ist.« Und auch aus anderen Reihen mussten sich Barak und Yaalon Kritik anhören. Schließlich hätten sie sich als Mitglieder der Regierung nicht über Netanjahu beklagt, argumentierten viele.

Erfolg Dass die harschen Worte über den Regierungschef in der Bevölkerung wahrgenommen werden, daran hat der Politikwissenschaftler Gideon Rahat von der Tel-Aviv-Universität keinen Zweifel: »Es ist ein bedeutender Angriff, keine Frage.« Dennoch sieht er Netanjahus Stuhl nicht wanken – noch nicht. »Sein massiver Erfolg besteht darin, in den Köpfen der Bürger den Gedanken verankert zu haben, dass niemand ihn ersetzen kann.« Alle, die neben ihm aufstreben wollten, ob Mosche Kachlon, Gideon Saar oder Mosche Yaalon, seien schnell aus seinen Reihen verschwunden. Auch habe der Respekt vor den Generälen und der Armee in den vergangenen Jahren durch die Regierungspolitik abgenommen.

Die Gefahr, dass die Koalition von innen zerbrechen könne, hält Rahat derzeit jedenfalls für unwahrscheinlich. »Viele Unkenrufe der Koalitionspartner, etwa vom Jüdischen Haus, sind nichts weiter als Säbelrasseln, und das hat in Israel schon lange Tradition.« Selten nur würde dies zu einer wahren Krise führen. Den taktischen Schritt von Netanjahu, Avigdor Liebermans Partei Israel Beiteinu in die Koalition zu holen, sieht der Politikwissenschaftler indes nicht unbedingt als Stärkung. »Wenn die Koalition nur eine winzige Mehrheit hat, riskiert es in der Regel niemand, das Boot zum Schwanken zu bringen, doch wenn es eine satte Überzahl der Mandate gibt, wagen die Parteien mehr. Genau das sehen wir jetzt bei den jüngsten politischen Angriffen innerhalb der Koalition.«

Während Yaalon klar und deutlich äußerte, dass er vorhat, in die Politik zurückzukehren und gegen Netanjahu anzutreten, blieb Barak vage. Einer Umfrage des Fernsehkanals Eins zufolge könnte, wenn heute Wahlen stattfänden, eine Partei von Yaalon tatsächlich jede Menge Stimmen einfahren und Netanjahus Likud gewaltig verlieren. Klare Gewinner aber wären die rechten Parteien Jüdisches Haus und Israel Beiteinu; sie wären wieder Teil der nächsten Regierung. Dafür allerdings braucht es keine Neuwahlen.

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