Gaza

Kommen die Geiseln jetzt frei?

Die Geiselangehörigen setzen große Hoffnung auf US-Präsident Trump – hier mit den Freigelassenen Keith Siegel (l.) und Iair Horn (r.). Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Gaza

Kommen die Geiseln jetzt frei?

Laut US-Präsident Trump hat die israelische Regierung einem neuen Waffenruhe- und Freilassungs-Deal zugestimmt. Doch bislang schweigt die Hamas

von Sabine Brandes  03.07.2025 09:17 Uhr

Und plötzlich gibt es Optionen. Der Sieg gegen den Iran habe »viele Möglichkeiten eröffnet«, sagte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Sonntag in einer Rede. Darunter die, alle weiterhin in Gaza gefangen gehaltenen Geiseln nach Hause zu holen. Es war eines der wenigen Male seit den Massakern der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem darauf folgenden Krieg, dass der Premier als oberstes Ziel die Rückkehr der verschleppten Menschen vor die Zerschlagung der Hamas setzte. Der Druck auf ihn wächst.

Vor allem aus dem Weißen Haus. US-Präsident Donald Trump machte seinen Wunsch nach einem Waffenstillstand und einem neuen Geiselbefreiungsabkommen bereits mehrfach deutlich. Vergangene Woche sagte er: »Ich denke, wir sind nah dran, und wir werden in der kommenden Woche einen Waffenstillstand erreichen.« Auch seine jüngsten Worte in Richtung Israel hätten kaum klarer sein können. In typischer Trump-Manier verfasste er einen Social-Media-Post auf seiner eigenen Plattform Truth Social: »Den Deal in Gaza abschließen. Holt die Geiseln zurück!!!«, schrieb er in Großbuchstaben.

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Am selben Abend hielt Netanjahu ein hochrangiges Treffen mit einigen seiner engsten Berater ab, darunter der Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, und Verteidigungsminister Israel Katz, um den Stand der israelischen Militäroperation in der palästinensischen Enklave zu besprechen. Ein Treffen von Netanjahu mit Trump ist ebenso für den 7. Juli in den USA geplant. Zuvor hatte der US-Präsident Netanjahu gleich zweimal seiner Unterstützung versichert und den Prozess gegen ihn wegen Korruptionsvorwürfen als »politische Hexenjagd« bezeichnet.

»Größere regionale Möglichkeiten«

An anderer Stelle in seiner Rede wies Netanjahu darauf hin, dass sich »größere regionale Möglichkeiten eröffnen«, ein Hinweis auf die Bemühungen zur Ausweitung der Abraham-Abkommen, die zur Normalisierung der Beziehungen Israels mit mehreren Golfstaaten geführt haben. Er sei überzeugt, »dass wir beides erreichen werden«, die Freilassung der Geiseln und ein Ende der Hamas. Doch zum ersten Mal klang er, als würde er seinen Slogan »total victory« anders definieren. So, wie die Angehörigen der Geiseln es fordern.

Seit mehr als 630 Tagen predigen sie, dass zu einem »vollständigen Sieg« auch die Rückkehr der Menschen aus der Gewalt der Hamas gehöre. In einer Reaktion auf Netanjahus Worte forderte das Forum für die Geiselfamilien am selben Tag einen umfassenden Deal für die Freilassung aller Verschleppten und veröffentlichte eine Erklärung: »Was wir brauchen, ist die Freilassung, nicht die Rettung. Dieser Unterschied von einem Wort könnte für die Geiseln den Unterschied zwischen Überleben und Tod bedeuten.«

US-Präsident Donald Trump machte seinen Wunsch nach einem Waffenstillstand und einem neuen Geiselbefreiungsabkommen bereits mehrfach deutlich.

Trotz der Ausweitung der israelischen Militäroperationen und eines neuen Evakuierungsbefehls für Teile Nord-Gazas am Sonntag erklärte die Armee, dass sie nun – nach mehr als 20 Monaten Krieg – empfehle, einen diplomatischen Weg in Gaza einzuschlagen. Generalstabschef Eyal Zamir erklärte am Sonntag, dass sich die Misshandlung der Geiseln in Gaza verschärfe und »ihr Zustand sehr ernst« sei. »Ich unterstütze die Niederschlagung der Hamas, aber wenn wir die Operation jetzt intensivieren, riskieren wir die Geiseln.«

Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich konterte: »Wir befinden uns mitten im Feldzug gegen eine zerschlagene Terrororganisation, die sich neu aufstellen will. Wenn wir jetzt aufgeben, wird die Botschaft an die Welt klar und deutlich sein: ›Der Weg, Israel in die Knie zu zwingen, ist die Entführung von Juden.‹« Dieser Krieg dürfe »nur mit der Vernichtung der Hamas« enden.

60-tägiger Waffenstillstand

Der jüngste Vorschlag des US-Gesandten Steve Witkoff indes sieht die Befreiung durch einen Deal vor. Bei einem 60-tägigen Waffenstillstand würden zehn lebende und 18 tote Geiseln im Austausch gegen palästinensische Gefangene freikommen. In diesem Zeitraum würden beide Seiten Verhandlungen über ein umfassendes Abkommen aufnehmen, das den Krieg beenden würde, was einer zentralen Forderung der Hamas entspricht.

Am Dienstag erklärte Trump, Israel habe diesem Vorschlag prinzipiell zugestimmt, und warnte die Hamas: »Die Katarer und Ägypter, die sich sehr für den Frieden eingesetzt haben, werden diesen endgültigen Vorschlag unterbreiten. Ich hoffe zum Wohle des Nahen Ostens, dass die Hamas ihn annimmt, denn es wird nicht besser, nur schlimmer.« Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums, das nicht zwischen Terroristen und Zivilisten unterscheidet, wurden seit Kriegsbeginn bei israelischen Angriffen und Militäroperationen mehr als 56.000 Palästinenser getötet.

Eine Intensivierung des Krieges riskiere das Leben der Geiseln, sagt Generalstabschef Zamir.

Auch der israelische Oppositionsführer Yair Lapid forderte am Montag ein Ende der Kämpfe in Gaza. »Für den Staat Israel bringt die Fortsetzung des Krieges keinen Nutzen mehr – nur Schaden auf sicherheitspolitischer, politischer und wirtschaftlicher Ebene.« Dies sei auch die Position der Armee, hob er hervor.

»Trotz des erklärten Ziels, die Hamas zu zerschlagen, ist es Israel nach mehr als anderthalb Jahren Krieg nicht gelungen, sie zu vernichten.« Lapid warnte, dass die Hamas ohne den Aufbau einer neuen Regierungsstruktur, eventuell mit Unterstützung Ägyptens und anderer arabischer Staaten, in Gaza weiter aktiv sein werde. »Die Hamas wird nicht vernichtet, solange keine alternative Regierung in Gaza etabliert ist.«

Mittlerweile gibt es auch Stimmen innerhalb der Regierungskoalition, die dies fordern: Der Vorsitzende des Finanzausschusses, Moshe Gafni von der ultraorthodoxen Partei Schas, entrüstete sich jüngst: »Ich verstehe nicht, wofür wir in Gaza kämpfen. Was machen wir dort, wo ständig Soldaten getötet werden?« In der vergangenen Woche waren es an einem Tag sieben Soldaten. »Wir brauchen eine Art Trump, der kommt und sagt, dass wir die Geiseln zurückbringen, all diese Dinge beenden und zu einer normalen Situation zurückkehren müssen.«

Zwei Drittel der Israelis wünschen sich ein Ende des Krieges

Eine vom öffentlich-rechtlichen Sender Kan nach dem Waffenstillstand mit dem Iran durchgeführte Umfrage ergab, dass sich fast zwei Drittel der Israelis ein Ende des Krieges in Gaza wünschen.

Die Ereignisse haben sich in den vergangenen Wochen überschlagen. Die überraschende militärische Auseinandersetzung mit dem Iran, die Einmischung der USA in den Konflikt, der plötzliche Waffenstillstand, die Äußerungen des US-Präsidenten zum Korruptionsprozess gegen den israelischen Premier und vielleicht sogar neue Friedensverträge am Horizont des Nahen Ostens. Tatsächlich scheinen sich für Israel und auch für Netanjahu persönlich ganz neue Möglichkeiten zu eröffnen.

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