Er kann fast alles: Revolutionen anzetteln, Frieden stiften – und obendrein schmeckt er ganz köstlich. Der Hüttenkäse, auf Neuhebräisch Cottage genannt, ist in Israel Symbol, Nationalgericht und meistverkauftes Milchprodukt aller Zeiten. Zu Schawuot ist der körnige Käse in Israel wieder in aller Munde.
Der Volksmund behauptet, dass israelische Kinder einzig durch ihr Lieblingsgericht Schnitzel mit Pasta wachsen. Doch in Wahrheit ist es der Cottage, der täglich auf die Schulbrote geschmiert und an den Abendbrottischen gelöffelt wird. Der Hüttenkäse von Tnuva wurde 1962 auf den Markt gebracht und führte nach Angaben der Firma zu einem »bedeutenden Wandel im Käsebereich«. Damals war Cottage »ein einzigartiges Produkt, von dem zuvor noch nie jemand gehört hatte«. Dann wurde er Marktführer und seit Generationen ist es der meistverkaufte Käse überhaupt.
Kritik Aber Hüttenkäse in Israel ist mehr als nur das. Der Becher mit dem Logo des kleinen gemütlichen Hauses samt rotem Dach und dem Baum daneben avancierte zum Symbol für das Land, in dem Milch und Honig fließen. Es ist so bekannt, dass es sogar als Blumenbeet die Gäste am internationalen Flughafen Ben-Gurion begrüßt. Für viele Israelis ist Cottage nicht nur Brotaufstrich, sondern zudem nostalgische Erinnerung an »die guten alten Zeiten, in denen man seine Haustür nicht abschloss, Jaffa-Orangen aß und sich Cottage schmecken ließ«.
Der Körnerkäse ist ein wahrer Alleskönner: Sogar Revolutionen anzetteln kann er. Was die Kritik an überteuerten Wohnungspreisen und die Forderung nach besseren Sozialleistungen nicht vermochten, schaffte er. Nach andauernden Preissteigerungen, innerhalb von drei Jahren um mehr als 40 Prozent, riefen verschiedene Facebook-Seiten 2011 zum »Boy-Cottage« auf.
Einer der Initiatoren des Boykotts, Itzik Alrov, erklärte, dass er gegen die generell hohen Preise in Israel vorgehen wollte. »Zuerst habe ich überlegt, die Kosten für Wohnungen anzuprangern, habe Gruppen eröffnet und bin anderen beigetreten.« Nach einer Weile habe er aber gemerkt, dass er an einem Punkt ansetzen müsse, der die gesamte Öffentlichkeit betrifft. So gelangte der Käse in den Fokus.
Die Sorge um den beliebtesten Brotaufstrich des Landes zog: An einem Abend gingen 250.000 Menschen überall im Land auf die Straße und demonstrierten gegen die überhöhten Lebenshaltungskosten. Viele hielten Schilder mit dem altbekannten Häuschen-Logo in der Hand. Besonders wütend machte die Verbraucher, dass dieselben israelischen Firmen ihre Ware in verschiedenen Ländern der EU und den USA 50 Prozent billiger verkaufen als auf dem heimischen Markt.
Knesset Nach kurzer Zeit rollte die Käserevolte auch in die Knesset, wo eine Ausschusssitzung zum Thema Preisregulierung anberaumt wurde. Eine Oppositionspolitikerin präsentierte Regierungschef Benjamin Netanjahu einen Becher Cottage, garniert mit bissigen Kommentaren. Die betroffenen Milchproduktehersteller Tnuva, Strauss und Tara wollten die Lage von der Regierung untersuchen lassen. Die drei Produzenten dominieren mit 90 Prozent den Markt, zugleich ist die Einfuhr von Molkereiprodukten nach Israel stark limitiert, begründet durch den Einfluss der Kibbuzim und Moschawim, in denen die meisten Molkereien angesiedelt sind.
Mittlerweile sind die Preise für den Cottage in den Supermärkten relativ konstant. Für einen 250-Gramm-Becher muss man fünf bis sechs Schekel (umgerechnet 1,20 bis 1,40 Euro) zahlen. Doch dann rüttelte ein anderes Ereignis die Käseliebhaber auf: 2014 waren sie in Sorge, dass ihr heiß geliebter Cottage bald chinesischen Produkten Platz machen muss. Denn Israels größtes Unternehmen auf dem Milchmarkt, Tnuva, wurde von der Bright-Food-Gruppe aus dem Reich der Mitte aufgekauft.
Während Regierungspolitiker die Kooperation mit den Chinesen in den höchsten Tönen lobten, gab es aus den Reihen der Opposition Kritik. »Kein normales Land der Welt überträgt seine Lebensmittelsicherheit an China oder ein anderes Land«, tönte Schelly Jachimowitsch von der Arbeitspartei nach dem Tnuva-Deal wütend. Dabei befand sich das Unternehmen schon längst nicht mehr in israelischer Hand. Die Mehrheitsanteile waren bereits 2008 an den britischen Investitionsfonds Apax verkauft worden, der die Mehrheitsbeteiligung an die Chinesen übertrug.
know-how Obwohl keine Details zum Verkauf bekannt wurden, gehen Experten davon aus, dass die Investoren mehr als anderthalb Milliarden Euro mitbringen mussten, um die israelische Traditionsfirma zu übernehmen. Sie seien allerdings gar nicht so sehr an deren Produkten interessiert, erklärte ein Sprecher von Bright Food, als vielmehr am Know-How und der Technologie. »Israel ist ein Land mit einer hoch entwickelten Landwirtschaft und herausragenden Tierhaltungstechniken«, hieß es aus der chinesischen Firmenzentrale.
Jetzt reist der Käsebecher sogar in die andere Richtung: Tnuva versucht, den amerikanischen Markt zu erobern. Die Formel ist etwas abgeändert und den US-Verbrauchern angepasst, doch sonst soll er ganz israelisch schmecken. Mit dem Namen »Muuna« sollen damit auch amerikanische Käseliebhaber gewonnen werden. »Es ist der erste Schritt, Tnuvas Milchsparte auf den US-Markt zu bringen, um dort zu wachsen«, so Geschäftsführer Eyal Malis. Das Potenzial sei riesengroß.
Ebenso wie die Bedeutung im Heiligen Land. Denn der Cottage produziert sogar Koexistenz: Sowohl die sozialistischen Kibbuzniks ernähren sich morgens und abends vom körnigen Milchprodukt – mittags gibt es tatsächlich meist Schnitzel mit Pasta im Speisesaal der Kooperativen – als auch die arabischen Arbeiter. Wenn es um den Brotaufstrich ging, herrschte schon immer Frieden: Hüttenkäse schmeckt am besten – da sind sich in Israel ausnahmsweise alle einig.