Knesset

Koalition der Rekorde

Ministerpräsident Netanjahu benötigte für die Kabinettserweiterung die Zustimmung der Knesset. Foto: Flash 90

Benjamin Netanjahu hatte eine starke, stabile Regierung versprochen. Noch am Wahlabend zeigte er sich zuversichtlicher denn je. Doch das Gewinnerlachen von damals ist zu einem gequälten Lächeln geworden.

Seit 2003 hatte keine Partei in Parlamentswahlen so viele Mandate auf sich vereinen können wie der Likud am 17. März. Mit 30 Sitzen schien eine breite Koalition sicher. Doch tatsächlich konnte Netanjahu kurz vor Ablauf der Frist Mitte vergangener Woche nur mit Ach und Krach eine Regierung zusammenzimmern. Mit gerade einmal 61 von 120 Sitzen in der Knesset sieht er sich in seiner vierten Amtsperiode 59 unfreundlich gesinnten Oppositionellen gegenüber. Wenn sich auch nur ein Abgeordneter seines Bündnisses anders entscheidet, kippt die gesamte Koalition.

Außerdem kommt Netanjahu dieser Sieg teuer zu stehen. Denn für eine weitere Amtsperiode im Chefsessel musste er so gut wie alle Schlüsselpositionen an die Koalitionspartner verteilen. Die einzigen, die er noch hält, sind die des Außen- und Verteidigungsministeriums. Doch nichts, was den Alltag der Israelis betrifft, die für Netanjahu gestimmt haben, ist in den Händen des Likud verblieben. Von der Arbeit über die Finanzen, Innenpolitik, Justiz, Gesundheit, Bildung, Wirtschaft bis zur Religion hat Netanjahu sämtliche Entscheidungspositionen abgegeben.

Top-Job
Beim Likud indes ist bis heute kein einziger Minister benannt. Dabei sehen sich mindestens zwölf von ihnen definitiv als Leiter eines Ressorts: Darunter Mosche Yaalon, der aller Voraussicht nach wieder als Verteidigungsminister eingeschworen wird. Doch auch Benny Begin, Yuval Steinitz, Silvan Schalom, Gilad Erdan und andere alteingesessene Likudniks wollen einen Top-Job. Um die aufgebrachten Gemüter in der eigenen Partei zu beruhigen, die sich mit den Resten begnügen müssen, will der Premier das Kabinett vergrößern und weitere Ministerialposten schaffen.

Doch das stößt auf großen Unmut in der Opposition. Lapid nannte es »schamlos« und zog prompt vor den Obersten Gerichtshof. Denn diese »Geldverschwendung«, wie die exorbitant vielen Ministerpositionen genannt werden, war gerade erst in der vergangenen Regierung geändert worden. Ein Maximum an 19 Chefposten und ein Verbot von Ministern ohne Portfolio hatte Lapid gefordert und durchgeboxt. Der Gerichtshof aber ließ eine Erweiterung jetzt wieder zu.

Und diese Gesetzesänderung wird nicht die einzige bleiben, die von kurzer Dauer war. Mit dem Einbeziehen der ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes ToraJudentum musste Netanjahu bereits zugestehen, die wichtigsten Reformen wieder zurückzunehmen oder einzufrieren. Allen voran das Gesetz, das besagt, dass auch ultraorthodoxe junge Männer aufgrund des Gleichstellungsgrundsatzes in der Armee dienen müssen.

Führungsposition An der Spitze der aschkenasischen Religiösen steht Yaakov Litzmann. Fromme Politiker bekleiden aus religiös-ideologischen Gründen keine Führungsposition, und so wird er lediglich Vizeminister für Gesundheit. Zum zweiten Mal sieht sich das Land damit ohne Verantwortlichen an der Spitze des Gesundheitsministeriums. Dabei leidet das System zusehends an völlig überfüllten Krankenhäusern, leeren Kassen und Ärzten, die trotz Doppelschichten kaum ihre Familien ernähren können. Litzman tönte beim Unterzeichnen des Koalitionsvertrages, dass er »ein Erdbeben durch das System« schicken wolle, um es zu reformieren.

Auch Arie Deri von der Schas-Partei ist wieder dabei. Nachdem er als Innenminister der Korruption überführt wurde und zwei Jahre hinter Gittern saß, wird Deri nun den Posten des Wirtschaftsministers bekleiden. Zusätzlich erhält seine Partei für die sieben Mandate das Innen- und Religionsministerium.

Everybody›s Darling und Likud-Abtrünniger Mosche Kahlon wird über die Finanzen wachen. Außer seinem Erfolg als Kommunikationsminister, der den Wettbewerb für die Mobilfunkanbieter einführte, hat Kahlon politisch zwar noch nicht viel vorzuweisen. Er ist jedoch in der Bevölkerung sehr beliebt. Mit seiner neu gegründeten Partei Kulanu wird er neben dem Finanzministerium zudem die Ressorts Umwelt und Bauen leiten.

Doch den besten Deal hat zweifelsohne das Jüdische Haus gemacht: fünf Ministerien für nur acht Mandate. Während Vorsitzender Naftali Bennett nun die Bildung im Land beaufsichtigt, wird sein Vorzeigemitglied Ayelet Shaked Justiziministerin. Die Frau, die erst seit zwei Jahren auf dem politischen Parkett unterwegs ist, polarisiert. Im Gegensatz zu ihrem engelsgleichen Äußeren vertritt sie nämlich knallharte nationalistische Positionen. In erster Linie ist sie für eine Beschneidung der Unabhängigkeit des Obersten Gerichtshofes – eines der Grundprinzipien der Demokratie. Dafür hagelt es Kritik von ihrer Vorgängerin Zipi Livni: »Zwischen mir und dem Jüdischen Haus und Shaked gibt es tiefe ideologische Differenzen. Während sie den Gerichtshof schwächen will, will ich ihn stärken.«

Der ehemalige Justizminister Jossi Beilin meinte: »Es ist schlimm, dass Ayelet Shaked auf diesem Posten sitzen wird. Aber nicht so schlimm, als wenn Bennett Verteidigungsminister geworden wäre.«

Balanceakt Schon vor dem ersten Arbeitstag ist klar, dass das Koalieren mit dieser Regierung für Netanjahu zum Balanceakt wird. Er muss es stets allen recht machen. Denn schon während der Regierungsbildung machten die verschiedenen Parteien klar, dass sie sich selbst die nächsten sind und nicht vorhaben, sich an einen Koalitionszwang zu halten. Vor allem, wenn es um ideologische Belange geht. Kahlon ließ sich sogar festschreiben, dass die Mitglieder seiner Partei entscheiden können, wie sie wollen.

Hinter vorgehaltener Hand raunt man in den Knessetfluren in Jerusalem, dass Netanjahu selbst mit dieser Koalition alles andere als glücklich sei. Eigentlich habe er andere mit ins Boot holen wollen: Lapids Zentrumspartei Jesch Atid oder Isaac Herzog mit der Arbeitspartei, um eine längerfristig funktionierende Regierung auf die Beine zu stellen.

Doch schenkt man der Gerüchteküche Glauben, ließ Herzog den Ministerpräsidenten abblitzen und meinte nur kühl: »Ich werde Netanjahu nicht vor sich selbst retten.«

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