Präsident

Kein Blatt vorm Mund

Bewundert und angefeindet: Reuven Rivlin Foto: Flash 90

Die Schuhe, die Schimon Peres als Präsident hinterlassen hat, seien für jeden zu groß, hieß es, die könne niemand füllen. Doch nach mehr als 100 Tagen im Amt hat der zehnte israelische Staatspräsident Reuven »Ruby« Rivlin bewiesen, dass er sich an keiner Schuhgröße messen lässt. Fast täglich zeigt er, dass er nicht nur der »Nachfolger von ...« ist, sondern ein imposanter Staatsmann mit einem klar definierten Wertesystem.

Kein Eisen scheint ihm zu heiß, kein Thema zu kontrovers, um es anzusprechen. Nach dem in der ganzen Welt respektierten Schimon Peres hat Israel mit Rivlin einen neuen ersten Bürger, der dem höchsten Amt nicht nur Würde, sondern auch Mut und eine klare Moralvorstellung verleiht.

standhaftigkeit Selbst diejenigen, die mit ihm politisch nicht auf einer Linie liegen, kommen nicht umhin, ihn für seine Standhaftigkeit zu loben. »Ruby nimmt kein Blatt vor den Mund«, heißt es aus dem linken wie dem rechten politischen Spektrum. Tatsächlich ist Rivlin seit seiner Amtsübernahme stets einer der Ersten, die sich zum aktuellen Geschehen in Israel äußern.

Dabei waren die Vorzeichen für seine Amtsübernahme alles andere als positiv. Vor der Wahl zum neuen Staatspräsidenten tobte monatelang ein Ränkespiel in der Knesset – angeführt von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der die Wahl von Rivlin verhindern wollte.

Verschiedene Kommentatoren beschrieben den Likud-Mann Rivlin als »Wolf im Schafspelz«, als »fundamentalistischen Zeloten, der Israel international noch weiter isolieren« werde, oder titulierten ihn als »zweite Wahl«. Nach Peres könne es ja nur noch bergab gehen, schrieben sie. Doch alle verkannten, dass Rivlins Weltsicht kein politisches Kalkül, sondern tiefe Überzeugung ist. Der 74-Jährige gewann schließlich doch und gab sich anschließend versöhnlich: »Ich bin niemandem böse.«

Feindseligkeit Bei seiner Amtseinführung am 24. Juli tobte die Gaza-Offensive »Protective Edge« – alle Festlichkeiten für den neuen Präsidenten fielen aus. Doch Rivlin war ohnehin nicht zum Feiern zumute. Stattdessen sorgte er sich um die Moral in seiner Heimat. Er bezeichnete den Gaza-Krieg als »schweren, schmerzlichen und blutigen Sommer« und erklärte, man würde »traurigerweise zu viel Zeit darauf verschwenden, Feinde im Innern zu finden«. Worauf Rivlin hinwies, war die aufkeimende Feindseligkeit zwischen Juden und Arabern im Land.

Mit seinen unermüdlichen Aufrufen zur Koexistenz und Verständigung mit dem arabischen Teil der Bevölkerung – immerhin rund 20 Prozent – macht sich Rivlin nicht nur Freunde. Ausgesprochene Feindseligkeit schlägt ihm vor allem aus dem ultrarechten Lager entgegen. Als erster Staatspräsident besuchte er die Gedenkfeier für das Massaker von 1956 in Kafr Kassem, bei dem 49 Menschen von israelischen Grenzpolizisten erschossen wurden, und musste sich dafür in den sozialen Medien aufs Übelste beschimpfen lassen. »Du lügender Jude«, »Verräter«, »Hisbollah-Präsident«, »Agent der Araber« waren nur einige der bösartigen Beschimpfungen. Bilder von Rivlin mit der arabischen Kopfbedeckung Kifije kursierten von nun an im Internet.

Rabin Rivlin reagierte offensiv. Er las die Verwünschungen in der Knesset vor und kritisierte, dass sich auch Parlamentarier dieser Sprache bedienten. »Wenn ich sage, ›das Land Israel‹, spreche ich dann nur zu einer Seite?«, fragte er. »Wenn ich ›Gleichheit‹ sage, hört die andere Seite meine Worte nicht? Wenn Konzepte wie Gleichheit, Besonnenheit oder Menschenwürde politisch infiziert sind, wo werden wir dann hingelangen?«

Die Tochter des ermordeten Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin, Dalia Rabin, zeigte sich schockiert über die Angriffe auf den neuen Präsidenten. Auf einer Gedenkveranstaltung für ihren Vater sagte sie: »Ich fühle mich wie in einer schlechten Fernsehshow. Das ist doch alles schon einmal da gewesen.« Ihr Vater war nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens auf Fotomontagen in Naziuniform gezeigt und immer wieder beleidigt worden, bis er von einem jüdischen Attentäter erschossen wurde.

Warnung »Die Vorzeichen sind wieder zu sehen«, warnte Rabin. »Und sie kommen mitten aus der israelischen Gesellschaft. Intoleranz, Aufwiegelung und Angst sind unter uns.« Obwohl sie und Rivlin zwei völlig verschiedenen politischen Lagern angehören, würden ihre gemeinsamen demokratischen Werte sie verbinden, so Dalia Rabin.

Und Rivlin? Statt nach den verbalen Angriffen zurückzurudern, legte er nach. Gemeinsam mit dem elfjährigen israelischen Araber George Amira, der seit Jahren in der Schule gemobbt wird, drehte Rivlin ein Video gegen Rassismus und Ausgrenzung.

Doch die Koexistenz, die der Präsident als unumgänglich bezeichnet, ist nicht seine einzige Herzensangelegenheit. Ebenso vehement ist er Zionist und kritisiert lautstark alle, die die legitimen Rechte Israels infrage stellen. So sagte er auf einer Veranstaltung zum 62. Todestag des ersten Staatspräsidenten Chaim Weizmann: »Ich bin angewidert von den Bestrebungen, die israelische Wissenschaft zu boykottieren. Aburteilung und Bestrafung auf der Basis von ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder politischer Einstellung werden die Gesellschaft und die Wissenschaft ernsthaft gefährden.«

Schmitta Auch für soziale Belange setzt Rivlin sich ein. Mit dem Schmitta-Projekt will der Präsident die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft stärken, indem ihnen die Schulden erlassen werden. Denn, so macht er klar: »Wir teilen die Verantwortung für die Welt und besonders für die Gesellschaft, in der wir leben. Und tatsächlich sind die Israelis verantwortlich füreinander, was bedeutet, dass die persönliche Last jedes Einzelnen auch die Last der Öffentlichkeit wird.«

Den Weg des geringsten Widerstandes geht Reuven Rivlin ganz offensichtlich nicht. So sehr der Gegenwind ihm auch ins Gesicht wehen mag, der Likud-Mann bleibt aufrecht und hält alle Anfeindungen aus. Dabei beweist er eine moralische Klarheit, die dem Land in diesen schweren Zeiten gut zu Gesicht steht. Ruby Rivlin ist ein Fels in der Brandung, dem kein Paar Schuhe je zu groß sein könnte.

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