Jerusalem

Israels Parlament beschließt Kernelement der Justizreform

Draußen wurde demonstriert, drinnen abgestimmt. Foto: Flash90

Immer wieder wurden die Abstimmungen von Rufen unterbrochen: »Buscha« (Schande) und »Regierung der Zerstörung« tönte es von den Sitzen der Opposition. Einer rief dem einstigen Chef des Inlandsgeheimdienstes und Koalitionsmitglied, Avi Dichter, zu: »Sie wissen genau, welche Auswirkung dies auf Israels Sicherheit hat. Warum tun Sie es?«

Doch am Ende gab es ein Ergebnis. Der umstrittenste Teil der Reform des israelischen Gerichtssystems ist von der Knesset mit 64 Stimmen angenommen worden.

Der Gesetzesentwurf schafft die »Angemessenheitsklausel« ab. Der hatte Richtern die Möglichkeit gegeben, die Doktrin zur Überprüfung der Entscheidungen von Politikern zu nutzen. Doch nicht mehr.

KRISE Die Opposition verließ geschlossen den Knessetsaal, nachdem die Abstimmung vorbei war. Justizminister Yariv Levin bedankte sich anschließend vom Podium bei Premierminister Benjamin Netanjahu und anderen Koalitionsmitgliedern. Im Anschluss äußerte sich der Abgeordnete Wladimir Bliak von der Zentrumspartei Jesch Atid und nannte das Geschehen eine »nationale Krise«. Er versprach, dass die Opposition mit den Protestierenden zusammenstehen werde und der »Kampf nicht vorbei« sei. »Israel wird eine Demokratie bleiben.«

»Das Gesetz zur Diktatur ist durch«, schrieb Chofschi, eine der aktivsten Protestorganisationen, im Anschluss in sämtlichen sozialen Medien. »Geht raus auf die Straßen.«  

»Wir werden Ihnen nie verzeihen, Gallant!«

Protestorganisation chofschi

Verteidigungsminister Yoav Gallant (Likud) hatte nach Berichten in israelischen Medien vor der Schlussabstimmung einen Kompromiss mit der Opposition vorgeschlagen. Doch Justizminister Yariv Levin und der Nationale Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir lehnten dies kategorisch ab. Levin, Ben-Gvir und der Knesset-Abgeordnete Simcha Rothman hätten im Fall eines Kompromisses mit der Auflösung der Koalition gedroht.

Am Ende klang auch Gallants »Bead« (Ja) durch den Saal. Protestorganisationen veröffentlichten daraufhin ein Plakat mit seinem Konterfei und den Worten: »Wir werden Ihnen dies nie verzeihen, Gallant!« Der Verteidigungsminister hatte im März vor den Folgen der Reform gewarnt.

PETITION Oppositionsführer Yair Lapid sagte nach der Verabschiedung: »Bereits morgen früh werden wir beim Obersten Gerichtshof eine Petition gegen die einseitige Aufhebung des demokratischen Charakters des Staates Israel und den antidemokratischen und räuberischen Charakter der Diskussionen im Verfassungs-, Rechts- und Justizausschuss der Knesset einreichen.«

Lapid ging auch auf die Proteste der Reservisten ein: »Was die Reservisten, Kampfsoldaten und Piloten betrifft, denen heute das Herz gebrochen wurde, ich war Premierminister, ich kannte Ihre Fähigkeiten, Ihre Opferbereitschaft und Ihren Einsatz für den Staat Israel und seine Sicherheit.«

Er riet ihnen dennoch zu warten, bis sie »die schwierigste Entscheidung von allen« treffen. »Hören Sie nicht auf zu dienen, schaden Sie nicht der Kompetenz und Bereitschaft der Armee, bis wir wissen, wie die endgültige Entscheidung ausfallen wird.«

Es könnte eine historische Verfassungskrise bevorstehen.

Es könnte jetzt eine Verfassungskrise bevorstehen, sollte der Oberste Gerichtshof die Gesetzgebung niederschlagen. Präsident Isaac Herzog hatte bereits vor Monaten vor einer »historischen Verfassungskrise« gewarnt. Dies bedeutet, dass es unterschiedliche Gesetzgebungen gibt: eine der Exekutive, also der Regierung, und eine des Obersten Gerichtshofes, der Judikative.

INTERPRETATION Diese würden sich widersprechen. Organisationen, etwa die Polizei und die Armee, müssten sich entscheiden, an welche sie sich halten und wem sie in ihrer Interpretation des Gesetzes folgen.

Schon vor der Abstimmung hatte der Mossad-Direktor David Barnea gesagt: »Wenn sich die Situation zu einer Verfassungskrise entwickelt, werde ich auf der richtigen Seite stehen.«

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