Diplomatie

Im Reich der Mitte

Premier Benjamin Netanjahu war bereits 2017 in China. Dort traf er Präsident Xi Jinping. Foto: Government Press Office

Angesichts jüngster innen- und sicherheitspolitischer Turbulen­zen hätte sich die Meldung leicht übersehen lassen – dabei schreiben viele Außenpolitikexperten ihr erhebliche Bedeutung zu: Wie Ende Juni bekannt wurde, plant Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, China einen offiziellen Besuch abzustatten und den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping zu treffen. Hieß es in ersten Berichten noch, der Besuch solle im Juli stattfinden, ist die Rede inzwischen von Oktober. Die US-Regierung sei darüber bereits im Mai informiert worden, so ein offizielles Statement.

Die Ankündigung ist innerhalb Israels auf gemischte Reaktionen gestoßen. Viele Analysten stellen den geplanten China-Besuch in Zusammenhang mit Israels zuletzt etwas angespannten Beziehungen zu den USA. Denn Netanjahu hat seit seinem Amtsantritt Ende vergangenen Jahres noch keine Einladung aus Washington erhalten – und US-Präsidenten Joe Biden hat ziemlich deutlich gemacht, dass Israels Premier auch nicht so bald damit rechnen kann: »Nicht in der nahen Zukunft«, antwortete er Ende März auf die Frage eines Reporters, wann er Netanjahu im Weißen Haus empfangen würde.

Die US-Regierung hat mehrfach signalisiert, dass sie die umstrittene Justizreform missbilligt, die Israels Regierung plant, und auch an anderen Maßnahmen und Äußerungen der Regierung oder einzelner Minister Kritik geäußert. Zu Netanjahus Koalition gehörten »einige der extremsten Mitglieder«, die er je gesehen habe, sagte Biden vergangenen Sonntag.

Signal Vor dem Hintergrund dieser Verstimmungen sehen manche israelischen Analysten den geplanten China-Besuch Netanjahus deshalb auch als Signal an Washington. Die Zeitung »Haaretz« zitierte eine »hochrangige diplomatische Quelle« mit den Worten, der Besuch solle dem US-Präsidenten zeigen, dass Israel »andere Optionen« hat.

Viele weisen darauf hin, dass China die USA als Verbündeten weder diplomatisch noch militärisch oder ökonomisch auch nur annähernd ersetzen könnte.

Genau das bezweifeln Experten allerdings. Viele weisen darauf hin, dass China die USA als Verbündeten weder diplomatisch noch militärisch oder ökonomisch auch nur annähernd ersetzen könnte. Schließlich kann Israel sich trotz gelegentlicher Kritik aus Washington meist darauf verlassen, dass die USA den jüdischen Staat in Abstimmungen bei den Vereinten Nationen unterstützen, während China oftmals mit arabischen Staaten und anderen gegen Israel stimmt.

Zudem erhält Israel von seinem großen Partner über drei Milliarden US-Dollar Militärhilfen jährlich. Und auch die ökonomischen, historischen, ideellen und persönlichen Bande zwischen beiden Staaten sind beispiellos.

Provokation Der pensionierte Generalmajor Tamir Hayman, der das Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv leitet, sieht in Netanjahus geplantem China-Besuch eine Provokation der USA. Die Amerikaner seien »besonders wütend« über Andeutungen, dass Israel »sich nicht nur auf Washington verlassen sollte«, schrieb er Ende Juni auf Twitter. »Inmitten des erbitterten Kampfes zwischen den USA und China um globale Hegemonie kann dies dem israelisch-amerikanischen Bündnis strategischen Schaden zufügen.«

Tatsächlich hat sich die Rivalität zwischen den beiden Großmächten in der Vergangenheit bereits auf Israels Beziehung zu China ausgewirkt. Zwischen 2013 und 2018 waren chinesische Investitionen in Israel noch rasant gestiegen; chinesische Unternehmen kauften mehrere israelische Firmen auf, darunter das Spiele-Start-up Playtika, die Chemiefirma Makhteshim-Agan und Tnuva, Israels größten Erzeuger von Milchprodukten.

Außerdem gewannen chinesische Firmen Ausschreibungen für große Infrastrukturprojekte, darunter für eine Entsalzungsanlage und eine der Straßenbahnlinien in Tel Aviv. Doch im Jahr 2019 beschloss die damalige israelische Regierung unter amerikanischen Druck, ausländische Investitionen strenger auf deren potenzielle sicherheitspolitische Auswirkungen zu prüfen. Seitdem sind chinesische Investitionen in Israel erheblich gesunken, wie eine INSS-Studie zeigt.

Diplomatie In diplomatischer Hinsicht könnte China für Israel in den kommenden Jahren indes an Bedeutung gewinnen. Im März überraschte Beijing viele Beobachter, als unter seiner Schirmherrschaft Iran und Saudi-Arabien die Wiederbelebung ihrer Beziehungen beschlossen. Und Chinas Außenminister Qin Gang sagte im Juni, sein Land unterstütze eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern und sei bereit, »eine aktive Rolle« dabei zu spielen.

Netanjahu wiederum soll in einem vertraulichen Briefing vor Abgeordneten gesagt haben, Chinas zunehmendes Engagement im Nahen Osten »könnte nützlich sein«, weil es die USA dazu zwinge, sich ebenfalls stärker in der Region einzubringen, wie das Nachrichtenportal »Axios« berichtete.

Ob sich eine Einmischung Chinas als günstig für Israel erweisen würde, bezweifeln manche Beobachter jedoch. So habe Beijing in letzter Zeit nicht nur »den Ton gegenüber Israel verschärft«, schreibt Galia Lavi, Expertin für israelisch-chinesische Beziehungen am INSS, in einer aktuellen Analyse, sondern auch »Terroranschläge und Raketenbeschuss auf israelische Bürger ignoriert und sich generell auf die Seite der Palästinenser und gegen Israel gestellt«.

Seit 2019 sind die chinesischen Investitionen in Israel erheblich gesunken.

Gestützt wird ihr Argument auch von der Chinareise des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, Mitte Juni. Bei seinen Treffen mit Xi Jinping soll es unter anderem um jüngste Ereignisse im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern sowie regionale Entwicklungen gegangen sein.

gastgeber In einem Interview mit einem chinesischen Fernsehsender, veröffentlicht und übersetzt von der Nichtregierungsorganisation MEMRI, pries Abbas anschließend seine Gastgeber. Chinas einzige Absicht sei es, »Frieden im Nahen Osten und in der Welt zu schaffen«, während die USA eine Zwei-Staaten-Lösung blockierten. Darüber hinaus akzeptierten die Palästinenser »bedingungslos die Vereinigung sämtlicher Territorien Chinas, Taiwan, aber nicht nur Taiwan – alle Territorien der Vergangenheit«.

Diese Äußerungen dürften der US-Regierung, die Taiwans Recht auf Selbstverteidigung vor einer möglichen chinesischen Invasion nicht nur rhetorisch, sondern auch mit Waffenlieferungen unterstützt, sauer aufstoßen.

Noch ist nicht bekannt, worum es bei Netanjahus geplantem Besuch in Beijing gehen soll. In jedem Fall habe Israel von China nicht viel zu erwarten, schreibt Galia Lavi. »Es ist unklar, ob das chinesische Engagement Israel zugutekommen wird, und es ist unklar, ob die Kosten den Nutzen nicht übersteigen werden.«

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