Protest

Hut statt Helm

Zwischen 300.000 und 500.000 Menschen legten am vergangenen Sonntag die Hauptstadt lahm. Foto: Flash 90

Hunderttausende von ultraorthodoxen Demonstranten haben am vergangenen Sonntag den Verkehr in Jerusalem vollständig zum Erliegen gebracht. Die Stadt war von der Außenwelt abgeschlossen. Weder Busse noch Züge verkehrten, die Pforten des zentralen Busbahnhofes waren verriegelt, die Straße Nummer eins, eine der Hauptverkehrsadern des Landes, gesperrt. Die Charedim brachten mit dem Massenauflauf ihren Unmut gegen die Einberufung von Jeschiwastudenten zum Ausdruck.

Der Beschluss, dass auch streng religiöse junge Männer in die Armee müssen und bei Verweigerung sogar juristisch belangt werden können, hatte die Wut der verschiedenen Gruppen zum Überkochen gebracht. Mit ihrer scharfen Kritik an der Regierung zeigten sich sogar die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der ultraorthodoxen Gemeinschaft ungewöhnlich einig. Anführer aus dem gesamten Spektrum – von der sefardischen Schas-Partei bis zur antizionistischen Eda Charedit – hatten ihre Anhänger aufgerufen, mitzumarschieren.

Strafen Experten gehen davon aus, dass die Gesetzesänderung auch durch die zweite und dritte Lesung in der Knesset gehen und ab Juli 2017 verbindlich sein wird. Dem Gesetz zufolge hätten ultraorthodoxe Jeschiwastudenten das Recht, ihre Einberufung bis zum Alter von 26 Jahren aufzuschieben. Dann jedoch wird es ernst. Sollten sie der Aufforderung der Armee, die olivgrüne Uniform anzuziehen, auch anschließend nicht nachkommen, gibt es strikte Sanktionen – bis hin zu Gefängnisstrafen wegen Desertierung.

Das wollen die Frommen partout nicht hinnehmen. Unter dem staubig-gelben Jerusalemer Himmel – hervorgerufen durch den Wüstenwind Chamsin – zogen Tausende Männer mit schwarzen Hüten durch die Stadtviertel. Die Organisatoren sprachen von mehr als einer halben Million Demonstranten und betitelten den Marsch als »Million Men Protest«. Die Polizei jedoch zählte um die 300.000. In jedem Fall war die Demo eine der größten in der Geschichte Israels. Sprecher forderten die Protestierenden immer wieder auf, nicht zur Armee zu gehen und die Einberufungsbescheide zu ignorieren.

Knessetsprecher Juli Edelstein hatte vor Protestbeginn seine Sorge geäußert, dass das Gesetz zur gleichberechtigten Einberufung aller Israelis »eine Spaltung oder sogar einen Bürgerkrieg« heraufbeschwören könnte. »Es gibt massive Spannungen zwischen den unterschiedlichen Segmenten der Gesellschaft, und ich sorge mich um die Einheit der Nation«, warnte Edelstein in der Knesset.

Psalmen Die Rabbiner, die zum Massenprotest aufriefen, hatten jedoch betont, dass er gewaltfrei bleiben würde. Und so war es tatsächlich. Zwar mussten die Einsatzkräfte zwei brennende Reifenbarrikaden löschen, doch sonst beließen es die Charedim bei der Verteilung von Flugblättern und beteten für eine Lösung.

Zwei, die dabei mitmachten, waren von den Protestierenden gern gesehene Gäste. Der Regierung jedoch wird es nicht gefallen, dass die beiden Oberrabbiner des Landes ebenfalls auf dem Podium standen. Der aschkenasische David Lau und sein sefardischer Kollege Yitzhak Yosef schlossen sich den Protestgebeten an, gemeinsam mit Laus Vater Meir, dem Oberrabbiner der Stadt Tel Aviv.

Als die Rabbiner die Fotografen sahen, machten sie sich schleunigst auf den Rückweg in ihre Büros. Als Staatsangestellten ist es ihnen per Gesetz verboten, bei jeglichen politischen Protesten mitzuwirken. Ein Pressesprecher verteidigte ihren Auftritt und erklärte, Lau und Yosef hätten lediglich einige Psalmen für den Frieden und die Einheit des jüdischen Volkes gesprochen. Es habe angeblich kein Zusammenhang mit dem Anliegen des Protestes bestanden.

Uri Regev, Vorsitzender von Chiddush, einer Organisation für religiöse Gleichheit, kritisierte die Oberrabbiner: »Sie haben wieder einmal bewiesen, dass sie nicht wirklich Oberrabbiner sind, sondern die Nachrichtenüberbringer der ultraorthodoxen Funktionäre. Wenn sie tatsächlich die Rabbiner der gesamten Bevölkerung wären, dann würden sie bei den Demonstrationen für eine Gleichberechtigung beim Militärdienst mitmachen.«

auswandern Doch die Männer in den schwarzen Anzügen wollen gar nicht gleichberechtigt sein. Sie glauben, dass sie durch ihr Torastudium für den Erhalt des Staates Israel sorgen. Manche wollen aber noch nicht einmal mehr das tun, wenn das Gesetz tatsächlich umgesetzt wird.

Die chassidische Belzer Gemeinde, eine der größten des Landes, droht mit einem Massenexodus. Die Belzer Publikation »Hamachane Hacharedi« machte kürzlich mit dem Thema auf, dass amerikanische Senatoren bereits Hilfe »für jede charedische Familie, die Israel verlassen will« angeboten hätten. Zwar sei es schmerzhaft, dem Gelobten Land den Rücken zu kehren, hieß es in dem Artikel, »doch an dem Tag, an dem das Gesetz durch ist, werden die Einwanderungsbüros für uns die Pforten öffnen«.

mizwa 3500 Polizisten hatten den ganzen Tag über in Jerusalem für Ruhe gesorgt. Am frühen Abend schließlich lösten die Sicherheitskräfte die Demonstration auf und zerstreuten die Teilnehmer. Um 20 Uhr wurde der Zentrale Busbahnhof geöffnet, und langsam begann der Verkehr wieder zu fließen.

Viele israelische Politiker hatten sich zuvor gegen die Kundgebung ausgesprochen. Allen voran Finanzminister Yair Lapid, einer der vehementesten Verfechter der Gleichberechtigung beim Militärdienst. Doch auch der nationalreligiöse Wirtschaftsminister Naftali Bennett betonte, dass der Armeedienst keine bloße »Anordnung« sei, wie viele charedische Anführer es immer formulierten, »sondern eine große Mizwa«.

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