Trotz einer Schulterverletzung, für die er in Behandlung war, zögerte Ran Gvili nicht. Als er in den frühen Morgenstunden des 7. Oktobers 2023 vom verheerenden Angriff der Hamas auf die Gemeinden in der Nähe des Gazastreifens hörte, zog er seine Uniform über, verließ das Krankenhaus und eilte gen Süden. Der 24-Jährige war Mitglied einer Eliteeinheit der Polizei.
Er habe »heroisch gekämpft und mehr als ein Dutzend Terroristen ausgeschaltet«, berichteten Augenzeugen später. Doch schließlich wurde der junge Polizist bei Kämpfen im Kibbuz Alumim getötet, sein Leichnam nach Gaza verschleppt.
Er ist eine von zwei getöteten Geiseln, die sich noch immer in der Gewalt der Hamas in Gaza befinden. Die zweite ist der thailändische Staatsbürger Sudthisak Rinthalak. Rinthalak wurde am selben Tag von Terroristen im Kibbuz Be’eri getötet, wo er als Landarbeiter tätig war. Beide sind offiziell für tot erklärt worden. Doch das macht es für ihre Familien kaum erträglicher.
Denn die beiden Männer sind die letzten Geiseln, deren Schicksal noch immer in der Schwebe hängt. Während andere Familien inzwischen zumindest die Möglichkeit eines Abschieds erhalten haben, leben sie weiter in einem Zustand, den Rans Vater Itzik Gvili »eine Folter ohne Ende« nennt. Sein Sohn, sagt er, dürfe nicht zu einer »tragischen Figur werden, über die die Zeit einfach hinweggeht«.
Last von zwei Jahren voller Hoffen und Bangen
Immer wieder appelliert der Vater an Regierung und Öffentlichkeit: »Ich bitte jeden Verantwortlichen: Vergesst meinen Sohn nicht. Gebt euch nicht zufrieden, solange er dort draußen irgendwo liegt.« Er spricht ruhig, aber seine Worte tragen die Last von zwei Jahren voller Hoffen und Bangen. »Wir können nicht trauern. Wir können nicht einmal anfangen. Wie sollen wir Frieden finden, wenn wir nicht wissen, wo Ran ist?«
Besonders groß sei die Angst, »dass mein Sohn für immer verschwindet« und meint damit, dass aus Ran ein weiterer Fall werden könnte wie jene, die sich tief ins israelische Gedächtnis eingeprägt haben – Soldaten, deren Verbleib nie oder erst nach langen Jahren geklärt wurde.
»Wir beten natürlich, dass es ihm nicht wie Ron Arad oder Hadar Goldin ergeht«, sagte Itzik Gvili am Mittwoch im öffentlich-rechtlichen Sender Kan. Goldin, ein Soldat der IDF, der 2014 in Gaza von der Hamas getötet wurde und dessen Leichnam elf Jahre lang festgehalten wurde, kehrte diesen Monat nach Israel zurück. Arad, ein Navigator der israelischen Luftwaffe, der 1988 im Libanon nach dem Ausstieg aus seinem Flugzeug gefangen genommen wurde, gilt seither als vermisst.
Itzik Gvili: »Wenn die Öffentlichkeit weiterzieht, wer kämpft dann noch für uns?«
Auch die Tatsache, dass angeblich weder israelische Behörden noch die Terrorgruppe selbst wisse, wo sich sein Leichnam befindet, quält die Familie. »Es heißt ständig, man suche. Aber was bedeutet das? Wer sucht? Wo? Und warum gibt es keine Fortschritte?«, fragt Itzik Gvili.
Dass die Hamas »ein falsches Spiel spiele und uns täuscht«, davon geht er aus. Bezüglich der israelischen Behörden sagt er: »Ich bin mir sicher, dass sie nicht viel über den Verbleib von Rans Leiche wissen«. Al Jazeera berichtete am Donnerstag, dass in Zeitoun, einem Stadtteil von Gaza, erneut nach den sterblichen Überresten einer Geisel gesucht werde. Eine israelische Militärquelle bestätigte dies gegenüber Kan.
Auch Rans Mutter Talik Gvili erklärte, sie wisse, dass in Gaza, »in dem Gebiet, in das Rans Leiche gebracht worden sein soll, nach ihm gesucht wird«. Die Familie werde täglich von israelischen Sicherheitsbeamten dazu informiert.
Er bezeichnet seinen Sohn als »Helden«
Die Rückführung anderer Geiseln, zuletzt von Dror Or, dem Käsemacher aus dem Kibbuz Be’eri, verschafft den Angehörigen einen Ort des Trauerns und Gedenkens. Für die Familie Gvili dagegen verstärkt sich mit jeder Rückführung die Sorge, dass Ran der letzte bleiben könnte, dessen Spur sich verliert. »Mit jedem Tag wächst die Angst, dass er vergessen wird«, sagt der Vater. »Wenn die Öffentlichkeit weiterzieht, wer kämpft dann noch für uns?«
Gvili äußerte auch seine Besorgnis darüber, dass die Unterstützung für die Familien der verbliebenen Geiseln nachlassen werde, da bis auf zwei alle zurückgekehrt seien. Das Forum für die Familien von Geiseln kündigte bereits an, seine Aktivitäten deutlich einzuschränken. Er habe sich in der Vergangenheit wenig an die Medien gewandt, wolle sich nun aber stärker engagieren, damit das Leid der Familie nicht in Vergessenheit gerate.
Der Vater spricht nicht aus Wut, sondern aus einem tiefen, erschöpften Schmerz, macht er klar. Seinen Sohn bezeichnet er als »Helden«, da dieser trotz seiner Verwundung in den Kampf zog. »So wie Ran an jenem Tag sein Land nicht vergessen hat, will ich auch nicht, dass sein Land ihn vergisst.«