Tel Aviv

Grüße aus Israel

Die Ben Zakkai ist eine kleine Straße mitten in Tel Aviv, man übersieht sie fast. Die alten, eher kleinen Häuser sind weiß gestrichen, haben zwei bis drei Stockwerke, Balkone und viel Grün vor der Tür. Nur wenige 100 Meter entfernt tobt das Leben auf den großen Boulevards der Mittelmeermetropole.

Das Rauschen des Alltags verhallt hinter den hohen Fassaden, und es scheint auch tatsächlich eine andere Welt zu sein, in die man eintauchen kann. Auch hier, in dem kleinen, zurückgesetzten Haus mit der Nummer 3. An diesem Ort entstehen Postkarten, Kalender, Notizbücher – liebevoll gestaltete, filigrane Papierkunst für die ganze Welt.

ben zakkai Seit 80 Jahren ist die Firma Turnowsky in dieser Stadt zu Hause, wenngleich nicht immer in der Ben Zakkai. Kobi Tadmor öffnet mit einem Lachen die Tür und bittet in die Atelierräume hinein. Im Erdgeschoss liegt der moderne Showroom des Unternehmens.

Eine original erhaltene schmale Holztreppe führt in die obere Etage. In manchen Räumen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Möbel, die Teppiche und Bilder, der dunkle Schreibtisch und Stuhl – all das erinnert an jene Menschen, die einst eine kleine Agentur zu einer Marke geformt haben.

In Corona-Zeiten verschicken mehr Menschen Gedanken per Postkarte.

Turnowsky steht heute für farbenfrohes Design, internationalen Spirit, Trends und Themen, die man hier mit viel Liebe auf Papier, Textil und anderen Materialien umsetzt. Noch vor Jahren waren die Kalender des Hauses ein festes Standbein im Geschäft und haben viele Preise gewonnen, auch in Deutschland.

business Das Business ändert sich im digitalen Zeitalter, doch die liebevolle Art, Dinge zu verschönern, bleibt. Und auch Post- und Grußkarten gehören völlig selbstverständlich zum internationalen Geschäft für einen Markt zwischen Asien, den USA und Europa.

»Genau darum geht es uns«, sagt Kobi Tadmor. »Wir wissen, heute haben wir eine unterschiedliche Kundschaft – deshalb brauchen wir auch unterschiedliches Design.« Etwas farbenprächtiger sei es für den russischen Markt, etwas eleganter für den südeuropäischen und durchaus etwas schriller für den amerikanischen.

Verkauft wird weltweit. Zum einen sind es die hochwertigen Papierwaren, zum anderen kommen immer mehr Produkte hinzu, denen das Turnowsky-Team ein maßgeschneidertes Design verpasst. Denn in Zeiten von Twitter, E-Mails und elektronischen Grußpostkarten hat es Papier nicht leicht. Auch nicht jenes mit dem besonderen Turnowsky-Design.

FAMILIE Dabei hatte alles mit einem Reisebüro begonnen und mit einem Mann namens Walter Turnowsky. Der Sohn von Josef und Rosa Turnowsky, deren Gräber noch heute in Wien auf dem Zentralfriedhof zu finden sind, wurde vermutlich 1894 geboren und wuchs in Wien auf. Über den jungen Walter lässt sich heute wenig rekonstruieren. Nur so viel: Er kämpfte, wie viele andere Juden auch, im Ersten Weltkrieg und war ein glühender Verehrer der zionistischen Ideen von Theodor Herzl.

Es muss um 1923 gewesen sein, als er beschloss, mit seiner kleinen Familie nach Palästina zu gehen. An seiner Seite: Margarete Pinner, eine Jüdin aus Koscian bei Poznan, die später zu einer der führenden Sozialwissenschaftlerinnen und Publizistinnen Israels werden sollte. Als sie 1982 starb, war sie eine hochgeachtete Publizistin und Vermittlerin der Sozialwissenschaft ihres Landes. In einem Zeitungsartikel wird sie als »Hüterin der jüdischen Tradition und des sozialen Gewissens« beschrieben

Bis 1927 lebte sie mit ihrem Mann Walter und den beiden Töchtern Miriam und Rachel in Jerusalem. Die Eltern waren beseelt von der Idee, als Juden das Land aufzubauen und anderen die Ankunft zu ermöglichen. Sie erlebten die großen Flüchtlingsbewegungen vor allem aus Osteuropa, sahen die Not der Neueinwanderer und wollten ihren Beitrag leisten, deren Ankunft zu erleichtern. Beide waren in zionistischen Vereinigungen aktiv und arbeiteten – wie schon zuvor in Deutschland – für jüdische Hilfsfonds.

neugestaltung Es gibt auch ein Buch von Walter Turnowsky. Er schrieb sich seine Erfahrung regelrecht vom Herzen. Es sind kritische Worte, die er 1938 im Selbstverlag mit durchaus bitterer Note herausbringt: Technik der zionistischen Propaganda: Kritik und Neugestaltung.

Seinen Lebensunterhalt verdiente er in den Anfangsjahren mit einer kleinen Reiseagentur, der er den Namen »Egypt and Palestine Lloyd« (»Peltours«) gab. Es dürfte eine der Ersten dieser Art im Land gewesen sein, denn Walter Turnowsky wird später als ein »Pionier der Touristik« bezeichnet. Zusammen mit der Berlinerin Käte Dan, die den Vorläufer der Dan-Hotels gründete, mit Salman Schocken, der in Haifa investierte, und vielen anderen, die den jüdischen Staat aufbauten, gilt er als wesentlicher Akteur dabei.

Auch Else Lasker-Schüler buchte ihre Reisen mit Turnowskys Reiseagentur.

Auch Else Lasker-Schüler buchte ihre Reisen mit diesem Büro und schwärmte von den Ausflügen ins Heilige Land in ihren Tagebüchern, ebenso vom »jugendlichen Direktor« der Reiseagentur. Walter war ein wesentlicher Kontaktmann zwischen vielen Hilfsfonds und jüdischen Gemeinden, die bis zuletzt in Deutschland versuchten, entweder zu überleben oder später die Ausreise ihrer Mitglieder zu organisieren.

HILFSFONDS Seine Frau Margarete hatte bereits im Kaufhaus in Chemnitz für Salman Schocken gearbeitet und war vermutlich auch einige Zeit in Berlin zu Hause. Sie betreute Sozial- und Stipendienfonds für Frauen, kümmerte sich um die Öffentlichkeitsarbeit für Schocken in Chemnitz und engagierte sich für Wohltätigkeitsfonds. Ihr Fokus galt dabei der Frage, wie es gelingt, Frauen die gleichen Chancen zu ermöglichen, damit sie Bildung erhalten und in sozialer Sicherheit leben können. Es sollte das Thema ihres Lebens werden.

Auch von ihr gibt es heute in den Archiven etliche Publikationen. Nur eines ging recht schnell zu Bruch: die Ehe mit Walter Turnowsky. 1927 kehrte Margarete nach Berlin zurück, um dort mit ihren beiden Töchtern von vorn anzufangen. Als die politische Situation immer unerträglicher und eine ihrer Töchter von Schulkameraden mit verfaulten Pflanzen eingerieben und dann als »stinkender Jude« auf der Straße gedemütigt wurde, kehrten alle 1933 zurück nach Palästina. Es sollte ihre neue Heimat werden.

Walter Turnowsky baute unterdessen sein kleines Unternehmen auf, engagierte sich für den Hilfsfonds von Keren Hayesod. Auch darüber gibt es eine Publikation von ihm. Er heiratete zum zweiten Mal, sein Sohn Dan Toren wurde geboren. Er und seine Halbschwester Rachel werden später das kleine Unternehmen des Vaters als Familienunternehmen weiterführen. Und: Jahrzehnte später führt sie der Weg auch wieder nach Deutschland.

KALENDER Mit ihren großformatigen Kalendern, die Blatt für Blatt Kunstwerke sind, gedruckt auf hochwertigem Papier mit einer damals einzigartigen Prägung, erzielen sie nicht nur hohe Absatzzahlen, sondern werden zur Marke. Fortan steht der Name Turnowsky für hochwertig gedruckte Kalender, farbenfrohe Post- und Grußkarten, deren Technik und Stil im Laufe der Jahre viele andere Hersteller kopieren.

Dan Toren wird zu den großen Messen, auch nach Stuttgart, eingeladen, um dort immer wieder Preise entgegenzunehmen. Einige Jahre vor seinem Tod erzählte er in einem Interview, wie es für ihn war, durch Deutschland zu fahren. Es sei »schon ein wenig komisch, auch schwer«, und er vermochte es nicht, »wie ein Tourist mit leichtem Herzen dort zu reisen«. Das Land war noch immer eines mit schwerer Last für seine Seele.

BEGEGNUNG Geändert hat das Georg Lutz, der Geschäftsführer des Berliner Verlags »Kunst und Bild«. Er hat seinen Firmensitz im Hinterhof eines alten Industriebaus in der Gitschiner Straße. Auf einer weiträumigen Fabriketage stapeln sich auch hier Kartons, Karten und viele Erinnerungsstücke.

Als Lieferant verkauft Lutz Postkarten europaweit. Bis zu drei Millionen könnten es jährlich sein. Für Turnowsky ist er der Händler, der in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Karten zu den Kunden bringt. Begonnen hat alles vor etwa 20 Jahren. »Ich traf damals zum ersten Mal israelische Geschäftsleute. Es war wie Seelenverwandtschaft, als ich Dan und Rachel zum ersten Mal begegnete. Wir haben uns vom ersten Augenblick an hundertprozentig vertraut«, erzählt er.

Heute ist Lutz regelmäßig in Tel Aviv und in Jerusalem unterwegs, privat und beruflich, erzählt er. Das Land, die Menschen, die Kultur und Kunst – er brauche einfach diese Atmosphäre. Zu den Kindern und nun auch Enkeln und Urenkeln von Walter Turnowsky ist mittlerweile eine tiefe, herzliche Verbindung entstanden, etwas, das weit über eine Geschäftsbeziehung hinausgeht. »Wenn ich heute in die Ben Zakkai gehe, dann ist das wie nach Hause kommen. Unbeschreiblich. Wir fallen uns um den Hals, alle freuen sich und wissen: ›Aha, der Lutz kommt!‹ Das ist einfach ein Fest.«

SCHEICH Georg Lutz kennt die Höhen und Tiefen des Unternehmerlebens auf beiden Seiten. Er blickt kurz von seinem Berliner Schreibtisch hoch und erzählt, wie schwer es ist, heute im digitalen Zeitalter Papierwaren zu verkaufen. Das Kalendergeschäft sei vollständig eingebrochen. Und die guten alten Gruß- und Geburtstagskarten?

Georg Lutz lacht, die würden nach wie vor verkauft, vor allem in Skandinavien, Russland, den USA, Kanada, China und quer durch Europa. Er erzählt von einer Messebegegnung vor einigen Jahren: Ein arabischer Scheich wollte unbedingt Turnowsky-Karten in großen Stückzahlen ordern, noch dazu mit einem schicken Verkaufsregal. Er habe ihm daraufhin vorsichtig erklärt, dass diese Karten aus Tel Aviv kommen. »Es war kein Problem. Er wollte die Ware trotzdem – und wir haben geliefert!«

Und heute, wie leicht oder schwer haben es Papierkarten? Das sei unterschiedlich, meint Georg Lutz. Aber vielleicht bringt eine Zeit wie diese, eine dauerhafte Ausnahmesituation wie die weltweite Corona-Pandemie, auch Menschen wieder verstärkt dazu, zu Füller und Postkarte zu greifen, um Gedanken und Grüße zu verschicken.

Die Designs für Russland sind farbenprächtig, die für Amerika schrill und die für Europa elegant.

In Israel führt heute Dans Tochter Yael das Unternehmen im Geiste der Familie. Die neue Generation hat neue Aufgaben übernommen und die Leitlinien für die Zukunft festgelegt, um die Marke Turnowsky krisensicher zu machen.

Das typische Design ihres internationalen Teams wird zunehmend als Lizenzen verkauft und ist mittlerweile auf Keramik, Heimtextilien, Haushaltswaren, Thermoskannen, Kaffeetassen und sogar als Tapete zu finden – ein völlig neues Geschäftsfeld, das es auch braucht, um trotzdem die guten, alten Papierwaren anbieten zu können. Denn allein davon, sagt Kobi Tadmor, könne man heute als Unternehmen nicht mehr leben.

VERANTWORTUNG Seit fast zehn Jahren führt er als Geschäftsführer das Business und lenkt auf sehr menschliche, eindrucksvoll zurückhaltende Art die Geschicke des nun 80-jährigen Unternehmens. Eigentlich ist er Philosoph und wirkt auf den ersten Blick branchenfremd. Doch Postkarten zu verkaufen, sagt Tadmor, hat auch etwas mit »Werte vermitteln« zu tun. »Und wir machen nichts anderes: Wir vermitteln Werte, von einer Generation zur nächsten, die Turnowsky-Werte. Und ich? Ich bin hier nur zu Gast, habe Respekt und trage Verantwortung dafür, dass genau diese Werte weitergegeben werden.«

Diese Werte seien das Geheimnis des Erfolges, sagt er im Weitergehen und erzählt von den 25 Mitarbeitern, von manchen, die einst hier im Team waren und heute im Ausland leben, um von dort »Teil der Turnowsky-Familie« zu sein. Eines wird klar: Es ist ein ungewöhnliches Unternehmen, das die Werte von Walter Turnowsky auf seine Art erhält, weiterentwickelt und den Menschen als liebevolles Design weltweit zur Verfügung stellt.

Gutes Design, meint Kobi Tadmor, habe immer eine Funktion. »Es berührt, fasziniert, transportiert Botschaften und kann voller Details, Überraschungen und Feinheiten sein.« Da stecke viel Liebe drin. »Wir müssen als Designer heute verstehen, was in der Welt passiert. Welche Themen gibt es? Dann überlegen wir, was wir daraus machen wollen. Wir verbinden unser Erbe, unsere Geschichte mit der Zukunft.«

Am Laptop seiner Kollegin entsteht derzeit der Produktkatalog für 2022. Man müsse immer der Zeit einen Schritt voraus sein, bemerkt Kobi Tadmor etwas verschmitzt und macht klar: In der kleinen Ben-Zakkai-Straße werden auch die großen Themen der Welt verhandelt.

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