Tel Aviv

Graffiti auf dem Küchentisch

Sie kommen meist in der Nacht. Mit Farb-Spraydosen bewaffnet sprühen, schreiben und malen sie: die Straßenkünstler von Tel Aviv. Im Viertel Florentin im Süden der Stadt prangt die knallbunte Kunst an fast jeder Häuserwand. Die Industriedesigner Ariel Zuckerman und Eran Shimshovitz haben sich die Kreativität der Gegend auf ganz besondere Weise zu eigen gemacht: Sie fertigen aus den Graffitiwerken einzigartige Möbelstücke.

Für ihr Projekt »Street Capture« – übersetzt heißt das so viel wie Straßen-Schnappschuss – schrauben die beiden willkürlich ein etwa zwei bis drei Quadratmeter großes Brett an eine Häuserwand in Florentin. »Wir bieten den Künstlern praktisch eine weiße Leinwand. Und dann warten wir einfach ab.«

Am Abend ist es noch ein leeres Brett, am Morgen danach könnte es schon ein Kunstwerk sein. Meist aber bleibt das Holz drei bis vier Wochen hängen. Denn »Straßenkunst ist etwas, das sich entwickelt«, weiß Zuckerman und zeigt Beispiele an den Wänden und Toren der alteingesessenen Werkstätten, die typisch für die Gegend sind. »Auf diese Weise entsteht ein Graffiti über dem nächsten. Manchmal ist es ein ganzes Bild, manchmal nur ein einziges Wort.«

Handwerk Von den Leuten, die hier wohnen und arbeiten, wird Florentin mittlerweile »Graffiti-College« genannt. In den Straßen und Gassen toben sich die jungen Künstler aus, hier lernen sie ihr Handwerk. Einige von ihnen haben mittlerweile internationalen Ruf: Dede Bandaid etwa, der jüngst eine Ausstellung in Berlin veranstaltete, oder Pilpeled, der es mit seiner Kunst in eine Kampagne von Coca-Cola schaffte.

Gefällt den Designern das Resultat, wird das Brett abgenommen und direkt in die Werkstatt von Shimshovitz getragen. Dort wird es bearbeitet und vielleicht zur Tischplatte auf dem Frühstückstisch, zum Nachtschrank oder zu einer Sitzbank verarbeitet. Genau auf diese Weise entstand ihr erstes Möbelstück, eine Kommode mit Schubladen in Hellblau, Grün und Schwarz, von der zwei Augen blicken.

Die Kunstwerke sind alles Originale, keine Drucke oder Kopien. »Besonders der Anfang war sehr authentisch«, erzählen die Macher. »Denn niemand wusste von unserem Projekt. Wir haben die Bretter heimlich, still und leise aufgehängt, und so entstand die Kunst völlig anonym.«

Keine Angst vor Rechteverletzung? Zuckerman schmunzelt. »Vielleicht hatten wir den einen oder anderen Gedanken daran, haben aber schnell gemerkt, dass das wirklich kein Problem ist.« Eine junge Graffiti-Künstlerin sei während der ersten Ausstellung auf der »Fresh Paint« in Tel Aviv auf die beiden zugekommen, habe auf die Kommode gezeigt und gesagt: »Das habe ich gemacht« – und war stolz.

Kunst Die Künstler lieben ihre Aktion und wollen mehr davon, erzählen sie. »Denn auf diese Weise erhalten ihre Werke eine ganz neue Bedeutung, verwandeln sich in etwas Bleibendes, und sie selbst erlangen Bekanntheit.« Mittlerweile kennt fast jeder das Projekt, und die Künstler kommen von selbst auf die Initiatoren zu, um mitzumachen.

Einer, der kürzlich in das Projekt eingestiegen ist, hat keine Spraydosen in der Hand. Es ist der bekannte Grafikdesigner des Landes. Dan Reisinger hat die berühmtesten Symbole und Logos für Israel entworfen, darunter für die Knesset und die Armee. Jetzt gibt es seine Werke als Tisch. Der wird zusammen mit vielen anderen Stücken von Zuckerman und Shimshovitz ab dem 25. Juni in der renommierten Galerie Tirosh zu sehen sein.

»street capture« Aus zweidimensionalen Graffiti werden durch »Street Capture« dreidimensionale Möbel. Alle Stücke sind käuflich, für ein großes Möbelstück muss man mit 3500 bis 5000 Euro rechnen. Doch hinter dem Projekt steckt mehr als nur eine hübsche Idee, macht Zuckerman klar: »Es ist die Verbindung von Gegenwart und Zukunft – denn das alte Viertel Florentin wird bald mitsamt seinen Graffiti verschwinden. Neue Bauten sind von der Stadtverwaltung schon geplant. Wir bewahren die Werke auf diese Weise.« Außerdem werde konzeptionelle Kunst mit Praktischem verbunden.

Die beiden Initiatoren wollen ihre Idee nicht nur auf Tel Aviv beschränken. Sie sind in Verhandlungen mit verschiedenen Städten in aller Welt: Toronto, New York City, Tokio. Auch nach Berlin würden sie gern kommen. Am liebsten wäre ihnen ein noch recht ursprüngliches Viertel, in dem jede Menge Graffiti zu finden sind. Zuckerman freut sich auf die anderen Städte. »Ich kann mir vorstellen, dass jede Stadt ihre Besonderheiten hat und die Graffiti überall einzigartig sind. ›Street Capture‹ ist so, als würde man einen Schnappschuss davon machen.«

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