Es ist nicht das erste Mal, dass eine Mehrparteienkoalition von Benjamin Netanjahu ins Straucheln gerät. Israels Langzeit-Premier – er kam erstmals 1996 in das Amt – hat Erfahrung im Umgang mit Regierungskrisen.
Jetzt steht im wieder eine ins Haus. 68 der 120 Abgeordneten in der Knesset hielten bislang zu ihm. Doch nun hat die rechtsreligiöse Partei Vereinigtes Torah-Judentum (UTJ) angekündigt, das Regierungsbündnis zu verlassen. Die sieben Abgeordneten der UTJ repräsentieren die Interessen der ultraorthodoxen aschkenasischen Wählerschaft. Noch dramatischer wäre es, wenn auch ihr Pendant, die Partei der »Sephardischen Tora-Wächter« (Schas) sich aus der Regierungskoalition verabschieden würde. Denn Schas verfügt über elf Sitze in der Knesset.
Morgen will die Parteiführung ihre Entscheidung bekanntgeben. Wichtigster Zankapfel ist die Diskussion um die Befreiung von Jeschiwa-Studenten von der Wehrpflicht – eine Forderung, die seit Jahrzehnten in Israel kontrovers diskutiert wird und die ultraorthodoxen Parteien mit Nachdruck verteidigen. Doch eine bislang geltende Ausnahmeregelung für Jeschiwa-Studenten läuft nun aus.

Allerdings hat vor allem die Schas ein Interesse daran, an den Schalthebeln der Macht zu bleiben, denn viele weniger begüterte Israelis wählen die Partei auch deshalb, weil sie sich für staatliche Sozialprogramme einsetzt. Nach Ansicht vieler Beobachter würde die Aufkündigung des Regierungsbündnisses durch die Schas von einer großen Zahl ihrer Wähler nicht goutiert und ihre künftigen Wahlchancen schmälern. Zudem gilt Schas-Chef Aryeh Deri als enger Verbündeter Netanjahus.
Ein Austritt beider haredischen Fraktionen würde die Netanjahu-Regierung zwar nicht automatisch zu Fall und Israel Neuwahlen bringen. Ende kommender Woche beginnen in Israel nämlich die parlamentarischen Sommerferien. Ein Misstrauensantrag wäre dann vorerst nicht mehr möglich. Hinzu kommt, dass der Ministerpräsident versuchen könnte, sich erneut eine Mehrheit zu organisieren.
Doch dem Premier droht zusätzliches Ungemach von anderen Koalitionspartnern. Erst vor kurzem waren ihm die Parteien »Mafdal – HaTzionut HaDatit« und »Otzma Jehudit« schon von der Fahne gegangen. Sollte es zu einem Abkommen über einen Waffenstillstand in Gaza kommen, ist damit zu rechnen, dass Finanzminister Bezalel Smotrich und der Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, Netanjahu erneut den Rücken kehren werden. Sie lehnen eine Einigung mit der Hamas am Verhandlungstisch strikt ab. Die beiden rechtsextremen Politiker und ihre Parteien verfügen zusammen über 13 Mandate in der Knesset.
Ob sich Netanjahu in einem solchen Szenario für vorgezogene Neuwahlen im Herbst entscheidet – regulär muss die Knesset erst im Herbst 2026 neu gewählt werden – oder versucht, Parteien der bisherigen Opposition ins Boot zu holen, ist noch schwer abzuschätzen. Sollte es ihm gelingen, die UTJ umzustimmen, könnte auch bei Schas ein Umdenken einsetzen. Ein namentlich nicht genannter »Insider« wurde von der »Times of Israel« mit den Worten zitiert: »Schas ergreift niemals die Initiative, sie folgt.« mth