Sie haben sich verpflichtet, anderen zu helfen. Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger in israelischen Kliniken und Arztpraxen arbeiten nicht nur nahezu rund um die Uhr, sie sind auch zunehmend roher Gewalt ausgesetzt. Dabei geht es nicht nur um böse Worte, sondern um verletzte Menschen und zerstörte Notaufnahmen. In der vergangenen Woche gab es zwei extreme Übergriffe. Jetzt ziehen die Mediziner in den Streik, um gegen die Gewalt zu protestieren.
Als erste Maßnahme schränkten sie 24 Stunden lang ihren Dienst ein. Der Streik könne aber jederzeit ausgeweitet werden. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Gesundheitsministeriums über Gewalt in staatlichen Krankenhäusern zeigt, dass es im Jahr 2021 bisher 4631 Vorfälle gab, was mehr als zwölf Fällen pro Tag entspricht. Jedoch liege die Dunkelziffer noch höher. Lediglich in rund 20 Prozent der Fälle habe es eine Verurteilung gegeben.
risiko Das Risiko von Gewalt an einem medizinischen Arbeitsplatz gehört zu den höchsten in Israel. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2010 der Ärztevereinigung des Landes führte aus: »Die Forschung weist auf einen klaren Zusammenhang zwischen der gegen medizinisches Personal ausgeübten Gewalt und den Bedingungen in den Krankenhäusern und Kliniken hin.«
»Recherchen in den Notaufnahmen zeigten, dass die Hauptgründe für Übergriffe lange Wartezeiten und Unzufriedenheit der Patienten über den Mangel an Service seien. So entfaltet sich ein Prozess, in dem ausgerechnet die Ärzte zu Sündenböcken und Objekten der Gewalt aufgrund des Mangels werden, unter dem sie als Erste leiden, und aufgrund des schlechten Zustands des Systems, in dem sie arbeiten.«
Das medizinische Personal sei von der Gewalt schwer betroffen, resümierte die Studie, die Betroffenen würden unter »Schuldgefühlen, Wut, Angst, Niedergeschlagenheit, Enttäuschung und posttraumatischen Symptomen leiden«.
traumaraum Bei dem vorerst letzten Vorfall wurden vor einer Woche Mitarbeiter eines Krankenhauses im Norden Israels von wütenden Familienmitgliedern eines verstorbenen Patienten angegriffen. Dutzende von Personen versuchten nach Angaben der Polizei, in den Traumaraum des Medizinzentrums in Nahariya einzudringen, nachdem sie über den Tod eines 28-jährigen Mannes informiert wurden, der einen Motorradunfall hatte.
Lediglich in rund 20 Prozent der Fälle gab es eine Verurteilung.
Das Video von der Szene zeigt die Menge, die Wachen vor dem Gebäude angreift, um sich Zutritt zu verschaffen. Die Sicherheitsmänner setzten Pfefferspray ein und wehrten die Angreifer ab. Nach Angaben des Krankenhauses wurden mehrere Wachmänner dabei leicht verletzt.
Nur zwei Tage zuvor hatten die Mediziner einen Streik angekündigt, als im Hadassah-Krankenhaus in Jerusalem Familienmitglieder eines verstorbenen Patienten medizinisches Personal massiv angegriffen und erhebliche Schäden auf der Intensivstation angerichtet hatten, nachdem sie über seinen Tod informiert worden waren. Der Patient war von einem palästinensischen Krankenhaus in der Stadt ins Hadassah verlegt worden, weil die Mitarbeiter dort eine entsprechende Reaktion der Familie befürchteten.
Nach dem Tod des Mannes durch eine Überdosis sagte der behandelnde Arzt, er habe Angst, die Angehörigen zu informieren. Tatsächlich begann der Angriff unmittelbar danach. Der Arzt wurde von zwei Männern geschlagen. Sie hielten ihm eine Glasscherbe an den Hals, während andere Verwandte in der Notaufnahme randalierten. Sie schlugen Türen und Fenster ein, beschädigten die Schwesternstation, rissen Kabel aus der Wand, schmissen Computer und Geräte auf den Boden und griffen weiteres Personal an. Zwei Mitarbeiter wurden verletzt und mussten medizinisch versorgt werden.
GESETZESBRECHER Die Angreifer gehören einer palästinensischen Familie aus Ost-Jerusalem an, aber das Krankenhauspersonal betont, dass der Angriff weder anti-israelisch noch antijüdisch gewesen sei. Einer der angegriffenen Ärzte sei Palästinenser. Hadassah erklärte anschließend: »Wir fordern die Regierung und das Gesundheitssystem auf, entschlossen gegen die Gesetzesbrecher vorzugehen, die das Sicherheitsgefühl der medizinischen Teams und der Patienten gleichermaßen verletzen und genau jenen schaden, die sich für die Prinzipien des Mitgefühls und der Liebe zur Menschheit einsetzen.«
Der Streik soll vor allem aus Protest gegen das Versäumnis der Regierung erfolgen, einen Plan zur Bekämpfung der Gewalt gegen medizinisches Personal sofort umzusetzen.
Der Streik soll vor allem aus Protest gegen das Versäumnis der Regierung erfolgen, einen Plan zur Bekämpfung der Gewalt gegen medizinisches Personal sofort umzusetzen. Bereits im November hatten Krankenschwestern des medizinischen Zentrums Rambam in Haifa mehrere Stunden lang gestreikt, um gegen einen gewalttätigen Vorfall zu protestieren, bei dem Mitarbeiter von der Familie eines sterbenden Krebspatienten geschlagen und bedroht wurden.
Im selben Monat gab das Rambam an, es musste Dutzende von Menschen von der Bereitschaft entfernen lassen, die sich außerhalb der Einrichtung versammelt hatten und randalierten, nachdem ein Opfer von Gewalt zur Behandlung dorthin gebracht worden war.
Schutz »Hier ist Krieg ausgebrochen«, sagte Benny Keller, der Sicherheitschef von Rambam, in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender Kan. «Zwei- oder dreimal pro Woche verwandelt sich das Krankenhaus in ein Schlachtfeld zwischen verfeindeten Clans.«
Kurz darauf wurden in der südlichen Stadt Beer Sheva vier Menschen verletzt und 19 bei einer massiven Schlägerei von Angehörigen eines Patienten vor dem Soroka-Krankenhaus festgenommen. Es fielen sogar Schüsse. 2017 verbrannte ein Mann in einem der schwersten Fälle der vergangenen Jahre die 55-jährige Krankenschwester Tova Kararo in einer Poliklinik in Cholon, in der sie arbeitete. Sie starb an den Folgen ihrer Verletzungen.
Das Kaplan Medical Center in Rechovot meldet nach eigenen Angaben täglich Vorfälle. »Keine Schicht vergeht ohne Gewalt«, wird eine Krankenschwester aus der Notaufnahme zitiert. »Kein Tag, an dem wir nicht die Sicherheit alarmieren, um uns vor Patienten oder Angehörigen zu schützen. Wir haben das Gefühl, dass die Situation alle Grenzen überschritten hat. Wir dienen der Gemeinschaft und verdienen es, geschützt zu werden.«