Mehr als drei Jahre hatte sie darauf gewartet: auf den »schönsten Tag im Leben«. Sie plante und stellte sich immer wieder vor, wie es wohl werden würde. Doch ein Aufschub folgte dem nächsten. Corona, der 7. Oktober und Krieg an allen Fronten, zudem war ihr Liebster im Ausland stationiert. Wieder und wieder machten ihre äußere Umstände einen Strich durch die Rechnung, unter die Chuppa zu treten und eine Familie zu gründen. In diesem Sommer aber sollte es geschehen. Endlich kein Warten mehr. Sarah und Tom hatten einen Termin.
Beide leben in den USA, aber die Hochzeit sollte in Israel stattfinden, dort, wo Sarah studiert hat und wo ihre Familie wohnt. Das war ihr Herzenswunsch. Eine Traumhochzeit mit Blick auf den Sonnenuntergang über dem Meer, umringt von allen Liebsten – ein Sommernachtstraum.
Ihre Schwester, eine Fotografin, schoss die Bilder für die Einladung am Strand. Schwerverliebt laufen sie barfuß durch den Sand, ein schönes junges Paar. Die Einladungen zur Hochzeit waren perfekt. Das Datum, 14. Juli, prangte über dem Foto der beiden.
Mehr als 50 amerikanische Gäste sagten zu
Alle freuten sich mit den beiden und wollten unbedingt bei der Feier dabei sein. Flüge wurden gebucht, Hotels reserviert, Geschenke gekauft. Mehr als 50 amerikanische Gäste sagten zu: Eltern und Geschwister, Onkel und Tanten des Bräutigams, Cousinen und Cousins, Arbeitskollegen, Freunde und Freudinnen.
Auch in Israel wurde gebucht und vorbestellt: eine Veranstaltungshalle, Ferienwohnungen für die Familie aus anderen Teilen des Landes, ein Hotelzimmer für die Hochzeitsnacht, Blumenarrangements, das Essen, die Torte …
Sarah reiste nach Israel, um alles vorzubereiten und ihrer Schwester zu helfen, die hochschwanger auf die Geburt ihres ersten Babys wartet, während Tom wegen seiner Arbeit in Amerika blieb. Eine bevorstehende Hochzeit, ein Baby auf dem Weg – die Freude in der jüdischen Großfamilie war unbändig. Zudem wollen Sarah und Tom nächstes Jahr Alija machen.
Sarah: »Menschen sind getötet worden, Familien haben ihre Häuser verloren, jede Nacht müssen Millionen in die Schutzräume. Was sind da schon meine kleinen Sorgen?«
Dann kam Donnerstag, der 12. Juni. Als sich die Nachrichten überschlugen, saßen die Schwestern vor dem Fernseher. »Israel ist bereit, den Iran anzugreifen«, hieß es auf allen Kanälen. Sie sprachen sich gegenseitig Mut zu. »Es wird sicher nichts passieren. Und wenn, wird es wie bei den beiden letzten Malen. Eine Nacht im Bunker, und der Spuk ist vorbei«, sagte die Schwester und nahm Sarah in den Arm. »Mach dir keine Sorgen.«
Drei Tage später versucht Sarah, stark zu sein. »Menschen sind getötet worden, Familien haben ihre Häuser verloren, jede Nacht müssen Millionen in die Schutzräume. Was sind da schon meine kleinen Sorgen?« Doch ihre Stimme verrät ihre Gefühlslage: Nur mit aller Kraft kann sie ihre Tränen zurückhalten.
Mit jeder Nachricht, die sie auf ihr Handy bekommt, schaut Sarah noch ein wenig trauriger. Eine Absage nach der nächsten trifft ein. Innerhalb von drei Tagen teilt die Hälfte der Gäste aus dem Ausland mit, dass sie nicht anreisen werden. »Und die andere Hälfte ist wahrscheinlich einfach zu höflich, um mich jetzt schon zu informieren.«
Das Leben sei schwer geworden in den vergangenen zwei Jahren in Israel, pflichtet ihre Schwester bei. »Wir können kaum noch planen. Und wenn, dann müssen wir immer davon ausgehen, dass doch alles wieder anders kommt. Unser Leben ist aus dem Ruder gelaufen. Es ist anstrengend. So anstrengend.«
Ständiges Umbuchen und Neuplanen kommt teuer zu stehen
Zudem kommt das ständige Umbuchen und Neuplanen teuer zu stehen. Viele Ausgaben für die bevorstehende Hochzeitsfeier und das Drumherum werden offenbar nicht erstattet. Die Betreiber der Veranstaltungshalle etwa würden sich weigern, die Summe zurückzuzahlen. Ihr Argument: »Ihr könnt eure Hochzeit verschieben. Denn aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«
Ihre Eltern allerdings raten davon ab, einen anderen Termin zu buchen. »Zu viel ist hier im Land in den vergangenen anderthalb Jahren passiert. Die Lage ist zu instabil. An einer der Fronten kann es immer wieder losgehen. Außerdem weiß niemand, wie lange der Krieg mit dem Iran dauern wird«, gibt Sarahs Vater zu bedenken. Dazu sei der Krieg gegen die Hamas in Gaza ja auch noch im Gange.
Dennoch will die angehende Braut noch nicht wahrhaben, dass ihr Sommernachtstraum geplatzt ist. Zu groß war die Vorfreude auf den »schönsten Tag des Lebens« unter israelischem Himmel. Obwohl Eltern und Schwiegereltern bereits vorgeschlagen haben, die Hochzeit zu einem etwas späteren Zeitpunkt in Amerika zu feiern. Auch Tom, ihr Liebster, wäre dafür. »Zur Sicherheit von allen«, wie er sagte. Doch Sarah ist nicht bereit, ihren Herzenswunsch, in Israel zu heiraten, ad acta zu legen.
Sie habe im jüdischen Staat feiern wollen, um ihre Liebe zu dem Land auszudrücken. Um Solidarität zu zeigen und in Zeiten des Krieges ein Zeichen der Hoffnung zu setzen. »Dass das Leben weitergeht und wir uns nicht unterkriegen lassen, ist doch das Motto von uns Israelis. Das wollte ich mit unserer Hochzeit zeigen. Und nun sage ich: Dafka – Krieg hin oder her. Jetzt erst recht!«