Frau Cusnir, Ihr Schwager Eitan Horn wird nach wie vor von der Hamas im Gazastreifen gefangen gehalten. Wie fühlen Sie sich als Angehörige einer Geisel, jetzt wo der Krieg gegen den Iran tobt?
Ich habe gemischte Gefühle. Vor einer Minute bin ich aus dem Sicherheitsraum gekommen. Wir haben Angst um unser Leben und denken gleichzeitig immer an die Geiseln. Sie haben keinen Bunker und keine App, die sie vor einer Bedrohung warnt. Und sie haben immer noch Hunger, sind krank, werden gefoltert. Oder sogar schlimmer…
Was meinen Sie mit »schlimmer«?
Jedes Mal, wenn die Armee einen Vormarsch in Gaza startet, oder der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas brach, wurde die Behandlung durch ihre Entführer schlimmer. Das wissen wir von freigelassenen Geiseln. Die Terroristen mögen es nicht, wenn Israel stark ist, und lassen ihre Wut an den Geiseln aus.
Wissen Sie, wie es Eitan oder anderen geht?
Wir haben nur die Berichte von Iair (der im Februar nach 498 Tagen aus der Geiselhaft freigelassen wurde, Anm, d. Red.). Er erzählte uns, dass der Tunnel, in dem sie festgehalten wurden, eingestürzt ist, weil die IDF darüber operierte. Die Terroristen brüllten »rennt!« Sie rannten und rannten, doch sie waren schwach und krank. An einem Punkt habe sich Eitan auf den Boden gesetzt, er konnte nicht weiter. Iair drängte ihn und sagte, dass er sterben werde, doch Eitan hatte aufgegeben. Also setzte sich Iair zu seinem Bruder. Er wollte bei ihm bleiben und mit ihm sterben. Das jedoch gab Eitan neuen Lebenswillen – und so rannten sie weiter. Jetzt, wo er draußen ist, fragt sich Iair: »Wer setzt sich nun zu Eitan, wer rettet ihn?«
Haben Sie neue Informationen von offizieller Stelle?
Nein. Manchmal bekommen wir Neuigkeiten, was in Gaza geschieht, aber nicht viele. Ich will keine Lebenszeichen mehr bekommen. Nicht, dass es falsch verstanden wird. Lebenszeichen sind wichtig, es ist eine enorme Erleichterung. Doch sie sind nur eine Momentaufnahme. Niemand weiß, ob die Geisel fünf Minuten später noch am Leben ist. Oder ob irgendwo ein Tunnel eingestürzt ist oder ein Terrorist seine Wut ausgelassen hat.
Was braucht es stattdessen?
Dass die Hamas die Geiseln endlich freilässt. Es braucht einen Deal. Ich will wissen, dass es endlich geschieht.
Wie bewerten Sie die Verbindung zwischen dem Iran-Krieg und dem in Gaza?
Es wäre wunderbar, wenn das Atomprogramm des Iran zerstört und die Gefahr von außen weg ist. Doch im Innern ist es nicht das Wichtigste für die Gesellschaft. Stellen Sie sich vor, Israelis haben heute keine Gewissheit, dass die Regierung hinter ihnen steht und alles tut, um sie zu befreien, wenn ihnen etwas zustößt.
Was sollte die Regierung Ihrer Meinung nach tun?
Die israelische Regierung muss jetzt erklären, dass der Krieg in Gaza vorbei ist und alle Geiseln auf einmal nach Hause kommen. Es darf keine Auswahl mehr geben, »dieser Mensch kommt frei, jener bleibt in Gaza«. Außerdem sollen unsere Soldaten nicht mehr sterben oder verletzt werden. 628 Tage sind viel zu lang.
Die Regierung argumentiert, dass militärischer Druck die Geiseln aus Gaza befreit. Glauben Sie das nicht?
Es ist nicht meine Analyse, sondern das, was Iair berichtet hat: »Alles in Gaza ist mit Fallen versehen. Jeder Tunnel ist vermint, sodass er explodiert, wenn die IDF hineingeht. Die Soldaten sterben, wenn sie versuchen, die Geiseln zu befreien – und die Geiseln werden von den Terroristen getötet.
Was muss stattdessen geschehen?
Dieser Krieg muss endlich enden. Und wenn er vorbei ist, bekommen wir nicht nur unsere Geiseln zurück, auch unsere Soldaten sind wieder zu Hause. Niemandem soll mehr auch nur ein Haar gekrümmt werden, weil der Krieg in die Länge gezogen wird. Dann muss sich die Regierung um das wirklich Wichtige kümmern: die Gesellschaft wieder aufzubauen. Damit wir das Gefühl zurückbekommen, dass wir wieder stolze Israelis sein können und wissen, dass Leben hier heilig ist.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Wenn der Krieg in Gaza beendet ist, könnten sich Länder an dem Szenario »Tag danach für Gaza« beteiligen, damit wiederaufgebaut wird. Vielleicht kann auch Deutschland dabei sein, das viel für Israel und die Geiseln getan hat und noch tut. Deutschland steht in dieser Krise wirklich auf der richtigen Seite der Geschichte. Für einen Wiederaufbau wird viel internationale Hilfe benötigt. Denn ich glaube ganz fest daran, dass eine Mutter in Gaza es genauso verdient wie ich, dass ihre Kinder in einer sicheren Zukunft leben.
Das Gespräch mit der Geisel-Angehörigen führte Sabine Brandes.