Jerusalem

Frommer Krawall

Am Ortseingang zu Jerusalem brennen Autoreifen, Demonstranten blockieren Straßen, wütende Männer versuchen, den Obersten Gerichtshof zu stürmen, Polizisten werden als Nazis beschimpft, Faustschläge werden ausgeteilt. Seit einigen Tagen kochen die Emotionen in Israels nationalreligiöser Gemeinschaft über. Nach der Verhaftung von Dov Lior, dem Oberrabbiner der Siedlung Kiriat Arba unweit Hebrons, sind seine Anhänger in Aufruhr. Und alles wegen eines Buches.

»Torat Ha’Melech« (Lehre des Königs) ist schon im Jahr 2009 von dem Rabbiner Yitzhak Schapira verfasst worden, einem Einwohner der Westbank-Siedlung Yishar, einer Enklave am politisch äußeren rechten Rand.

Darin wird im Kriegsfall das Töten von Nichtjuden in bestimmten Fällen gerechtfertigt. Wie für jedes Werk üblich, in dem das jüdische Gesetz ausgelegt wird, stehen auch in diesem Befürwortungen anderer Rabbiner. Bei Torat Ha’Melech sind es vier. Eine davon ist von Dov Lior, eine andere vom Sohn des religiösen Oberhauptes der orthodoxen Schass-Partei, Yaakov Yosef.

Vorladung Aus diesem Grund sind die beiden Männer in den vergangenen Tagen von der Polizei festgenommen worden. Seit Monaten ignorieren sie bereits die Vorladungen und weigern sich standhaft, freiwillig zu einer Anhörung auf die Wache zu kommen. Im letzten Jahr waren sie schon einbestellt worden, im Januar dieses Jahres dann folgte der Haftbefehl.

Lior sagte öffentlich, dass er angeordnete Festnahme nicht anerkenne, weil er »nicht legitim« sei. Die Auseinandersetzung eskalierte, als Zivilbeamte die Rabbiner schließlich unabhängig voneinander in ihren Fahrzeugen kontrollierten und festnahmen, als sie nicht von Getreuen abgeschirmt werden konnten. Sowohl Lior als auch Yosef wurden jedoch nach einem Verhör von weniger als einer Stunde wieder auf freien Fuß gesetzt. Dennoch randalierten ihre Anhänger in Jerusalem und skandierten ihre Unterstützung für die beiden lautstark durch die Nächte.

Das Buch, um das sich alles dreht, ist kein gewöhnliches. Es ruft zum Töten von Gojim, den Nichtjuden, auf. Zumindest in bestimmten Fällen sei dies legitim. Laut »Torat Ha’Melech« sollen Juden im Falle eines Krieges Nichtjuden töten dürfen. Sogar, wenn diese gar keine Schuld an der Situation tragen und als Gerechte gelten.

Siedler Was genau Krieg ist, ist dabei wohl Auslegungssache. Für viele Anhänger der nationalreligiösen Siedlerbewegung befindet sich Israel seit seiner Gründung in einem permanenten Kriegszustand mit seinen Nachbarn – für manche sogar mit der ganzen Welt.

Besonders verstörend finden viele Israelis, auch aus der religiösen Gemeinschaft, eine Passage, in der das Buch zum Töten von den Kindern und Babys der Gojim aufruft, sofern man davon ausgehen könne, dass diese im Erwachsenenalter für Juden schädlich sein könnten.

Der Autor selbst und die anderen Befürworter seiner Thesen waren bereits vor Längerem verhört und anschließend wieder freigelassen worden. Die jüngsten Verhaftungen jedoch zogen den Zorn der Extremisten auf sich. Mit bösen Worten verunglimpften sie die Beamten und den Staat Israel, der sich an den »Rabbinern vergangen« hätte. Yosef selbst sagte nach seiner Freilassung, »derart brutales Verhalten könne nicht entschuldigt werden. Nur in einem Staat ohne Demokratie kann die Polizei tun, was sie will«.

Unmut Sofort nach der Festnahme demonstrierten Anhänger vor seinem Haus in Jerusalem. Einige begannen, Autofahrer und Sicherheitskrfte zu attackieren. Der Knessetabgeordnete Michael Ben-Ari von der Nationalen Union machte seinem Unmut Luft und meinte, es sei eine Hexenjagd des Staatsanwaltes. »Dies ist keine Anwendung des Gesetzes. Es ist die Verfolgung der Tora und erinnert an dunkle Zeiten in der Geschichte. Aber wir sagen dem Justizminister: ›Das wird die Tora nur stärken, es wird das jüdische Volk stärken.‹«

Im Februar hatten Parlamentsabgeordnete der religiösen Parteien Schass, Nationale Union und Agudat Israel das »Dov Lior Gesetz« vorgeschlagen. Demzufolge sollte Rabbinern Immunität verliehen werden, wenn sie halachische Texte veröffentlichen oder Meinungen äußern, die mit der Tora zu tun haben.

Sicherheitsminister Yitzhak Aharonovitch machte indes klar, dass er Lior wegen des Verdachtes der Aufwiegelung zur Gewalt und Rassismus vorgeladen hatte. Und nicht, wie seine Gefolgsleute glauben machen wollen, wegen seiner Meinung zu einer Auslegung der Halacha, des jüdischen Gesetzes. Lior wies die Vorwürfe als haltlos zurück und erklärte, dass das kontroverse Buch »nur das Töten von Nichtjuden in Kriegszeiten behandle.

Knesset Die Geschehnisse der vergangenen Tage brachten auch Knessetmitglieder der nationalreligiösen Parteien auf. Vorsitzender der Nationalen Union, Yaakov Katz, drohte sogar mit Rache: »Wir werden jene, die für Rabbi Liors Festnahme verantwortlich sind, schon kriegen«, wetterte er in einem Interview mit einer frommen Publikation. »Netanjahu und alle, die auf seine Befehle hören, werden für immer mit der Schande in Verbindung gebracht werden, dieses Genie Israels verhaftet zu haben.«

Wie wüst die Beschimpfungen auch ausfielen: Aharonovitch ließ keinen Zweifel offen: »Torat Ha’Melech« sei vom Büro des Generalstaatsanwaltes untersucht und Teile daraus als Hetze eingestuft worden. Der Rabbiner sei daraufhin von der nationalen Untersuchungseinheit für schwerwiegende und internationale Verbrechen befragt worden. »Denn in einem jüdischen und demokratischen Staat ist jeder Mensch gleich vor dem Gesetz. Und niemand steht darüber.«

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