Armee

Frauen an die Front

Abschlussfeier von Infanterie-Ausbilderinnen: Frauen mussten für ihre Gleichstellung in der Armee vor den Obersten Gerichtshof gehen. Foto: Flash 90

n der Nacht des 29. November 1954 tobte ein ungewohnt heftiger Sturm im israelischen Kernland, schüttelte Bäume und Palmen kräftig durch und brachte schließlich auch die Lichter auf der Landebahn der Luftwaffenbasis Hatzor zum Erlöschen. Yaakov Salomon, ein Kampfpilot, wollte dennoch die Landung wagen, was sich als fatale Fehlentscheidung erwies: Das Flugzeug schlug auf, zerbrach und ging in Flammen auf. Sofort eilte ein Notfallteam zu der Unglücksstelle, darunter die damals 17-jährige Soldatin Esther Arditi.

Ohne einen Führerschein zu besitzen, wie es in einem Nachruf der Luftwaffe heißt, steuerte sie den Rettungswagen im strömenden Regen zur Landebahn. Arditi ignorierte alle Warnungen ihrer Kameraden, sich dem Flugzeug zu nähern, sprang aus dem Wagen und rannte auf das brennende Wrack zu. Erst zog sie den verletzten Navigator, dann den bewusstlosen Piloten aus den Trümmern, und das alles nur wenige Momente, bevor die Maschine explodierte. Der Navigator, Shlomo Hertzman, erlag zwar später seinen Wunden, doch der Pilot konnte sich erholen. Arditi erhielt für ihre Tapferkeit eine Medaille für herausragende Dienste.

Heldin Esther Arditi, in Israel bekannt als »Engel in Weiß«, gilt seither als Heldin der israelischen Streitkräfte. Zudem ist sie ein Beispiel dafür, was Frauen in den Streitkräften alles leisten können. Denn die Mehrheit der Frauen in Israel muss für zwei Jahre eine Uniform tragen – weltweit eine Seltenheit. Wer will, kann sich für einen längeren Zeitraum verpflichten. Nur eine Handvoll Staaten wie Nordkorea und Bolivien verpflichtet Frauen zum Dienst an der Waffe. Als erster und einziger NATO-Staat entschied sich 2015 Norwegen mit dem Hinweis auf die Gleichbehandlung von Frauen dazu.

Die Wurzeln einer weiblichen Beteiligung an der Landesverteidigung sind übrigens älter als der Staat Israel selbst. Sie reichen weit zurück in die Zeit des britischen Mandats, als der Jischuw, die vorstaatliche jüdische Bevölkerung in Palästina, seine Verteidigung in paramilitärischen Organisationen wie der Hagana selbst in die Hand nahm.

Auch Frauen beteiligten sich damals an dieser Aufgabe, vor allem im Sanitäts- und Kommunikationsdienst, manche sogar an der Front. Zu ihnen zählte unter anderem Ruth Westheimer, heute eine weltweit gefeierte Sex-Therapeutin und Autorin. 1928 in Deutschland geboren, schloss sie sich 1945 der Hagana in Jerusalem an, diente als Kundschafterin und Scharfschützin.

Wehrpflicht Wenige Monate nach der Staatsgründung 1948 schrieb Israels Parlament die allgemeine Wehrpflicht für Frauen gesetzlich fest. »Es wird keine Sicherheit geben, solange die Frauen unserer Nation nicht kämpfen können«, erklärte damals Premierminister David Ben Gurion. Anfänglich dienten sie überwiegend im administrativen Bereich und als Ausbilderinnen. Kämpfende Einheiten blieben jahrzehntelang eine Bastion der Männer.

Auch eine Laufbahn als Pilotin blieb ihnen lange verwehrt – bis im Jahr 1994 eine Offizierin namens Alice Miller vor dem Obersten Gericht dagegen klagte, und zwar mit Erfolg. Miller scheiterte anschließend jedoch am Eingangstest der Luftwaffenakademie. Aber das Urteil gab den Anstoß für einen neuen Passus, den das Parlament im Jahr 2000 dem Militärrecht beifügte: »Frauen haben das gleiche Recht, in jeder Funktion der Streitkräfte zu dienen, wie Männer.« Ein Jahr später schloss die erste Kampfpilotin ihr Training ab.

Die Gesetzesänderung verschaffte Frauen den Zugang zu einer ganzen Reihe von Armeepositionen. »Konnten sie zuvor in nur 65 Prozent der Funktionsbereiche Flagge zeigen, so stehen ihnen heute wohl 85 Prozent aller Jobs offen«, sagt Oshrat Bachar, stellvertretende Beraterin zu Gender-Angelegenheiten beim Stabschef der Armee. Noch gibt es einige Kampfeinheiten, die ausschließlich männlichen Soldaten vorbehalten sind.

kampfverbände Parallel dazu wurden mittlerweile drei Verbände ins Leben gerufen, in denen Männer und Frauen gemeinsam kämpfen, etwa die »Löwen des Jordantals«. Derzeit wird überprüft, ob Frauen auch in Panzereinheiten eingesetzt werden können. Aktuell sind neun Prozent aller kämpfenden Soldaten weiblich, Tendenz weiter steigend: Die Zahl der Frauen, die sich freiwillig für solche Kampfverbände meldeten, hat sich in den vergangenen fünf Jahren verfünffacht.

Junge Frauen in olivgrüner Uniform, gelegentlich eine Maschinenpistole lässig von der Schulter baumelnd, gehören in Israel seit Langem zum Straßenbild. Dennoch befeuern sie nach wie vor Fantasien und Debatten, innerhalb und jenseits der Landesgrenzen. Dass die israelische Schauspielerin Gal Gadot, weltbekannt dank ihrer Hauptrolle in Wonder Woman, früher in einer Kampfeinheit diente, darf in keinem Porträt über sie fehlen und diente der Internationale der Israelgegner als Grund, zum Boykott des Blockbusters aufzurufen.

Der Berliner Fotograf Simon Akstinat porträtierte 2014 Soldatinnen der israelischen Armee für einen Bildband. Zu sehen sind darin Frauen in schwerer Gefechtsmontur, wie sie in Funkgeräte sprechen, Geländewagen steuern oder lachend vom Kanonenrohr eines Panzers baumeln. Und mehr als 155.000 Nutzer des Fotodienstes Instagram folgen einem Account mit dem bezeichnenden Namen »hotisraeliarmygirls«, auf dem sich weibliche Soldaten mit und ohne Uniform präsentieren. Selbst Menschen aus Ländern, in denen feindselige Haltungen gegen Israel vorherrschen, lassen sich begeistern: »Egypt loves Israel«, kommentierte ein offenbar aus Ägypten stammender Nutzer das Foto einer Bikinischönheit am Strand.

debatten Doch das Thema provoziert auch ernste Fragen und Debatten, quer durch das religiös-politische Spektrum der israelischen Gesellschaft. Von links etwa kommt Kritik aus feministischen Nichtregierungsorganisationen wie der »Koalition von Frauen für Frieden«, deren selbst erklärtes Ziel darin besteht, »die Idee von Sicherheit aus einer feministischen Perspektive« zu betrachten.

Eine ihrer Vertreterinnen erklärte der Neuen Zürcher Zeitung kürzlich, die Armee missbrauche die scheinbare Geschlechtergleichheit, um sich einen liberalen Anstrich zu geben. Lauter und einflussreicher dagegen sind die Kritiker aus dem nationalistisch-religiösen und ultraorthodoxen Milieu.

Israels sefardischer Oberrabbiner Yitzhak Yosef wurde 2016 mit den Worten zitiert, Frauen, die in den Krieg zögen, sollten besser »die Wäsche machen«, keinesfalls jedoch selbst zur Waffe greifen. Der Rabbiner Yigal Levinstein, Direktor eines Programms, das religiöse männliche Rekruten auf den Wehrdienst vorbereitet, beklagte öffentlich, Frauen würden »nichtjüdisch« von der Armee zurückkommen.

Geschlechterrollen Mitglieder einer zivilen Organisation namens »Brüder in Waffen«, die sich gegen gemischte Kampfeinheiten richtet, verteilen Flyer, betreiben Lobbyarbeit und sprechen sogar gezielt junge Frauen im wehrpflichtigen Alter an. Die Kritiker aus dem religiösen Milieu lehnen einerseits die enge Zusammenarbeit von Frauen und Männern ab, die sie für unzüchtig halten. Zudem kollidiert das Bild weiblicher Soldaten mit konservativen Geschlechterrollen.

»Eine Frau mit ihrer Sanftheit und Empathie sollte nicht kämpfen«, so der Rabbiner Eli Sadan, der mit Levinstein kooperiert. Auch im Armeealltag kommt es gelegentlich zu Konflikten, zumal sich die Armee seit einigen Jahren verstärkt darum bemüht, ultraorthodoxe Männer für den Wehrdienst zu begeistern.

Den Strenggläubigen, in deren Gemeinden strikte Geschlechtertrennung herrscht, gewährt die Armee spezielle Rahmenbedingungen. So können sie, wenn denn gewünscht, jeglichen Kontakt mit Frauen vermeiden. Infolgedessen kommt es immer wieder zu Beschwerden von Soldatinnen, weil sie eilig ihren Posten räumen mussten, um bloß nicht einem herannahenden Regiment ultraorthodoxer Männer zu begegnen. Auch geschah es mehrfach, dass religiöse Soldaten den Auftritt weiblicher Sänger auf Armeeveranstaltungen boykottierten.

religion Weibliche Soldaten aus dem national-religiösen Milieu berichten gleichfalls von anonymen Textnachrichten mit beleidigenden Inhalten. Doch sie lassen sich nicht einschüchtern. Zwar sind junge Frauen, die glaubhaft belegen können, einen streng religiösen Lebensstil zu führen, vom Wehrdienst befreit. Doch immer mehr von ihnen melden sich freiwillig, auch wenn es dazu keine offiziellen Zahlen gibt.

Oshrat Bachar spricht von »mehreren Tausend« religiösen Frauen, die derzeit ihren Wehrdienst leisten. Laut israelischen Medienberichten hat sich ihre Zahl in wenigen Jahren vervielfacht. Befürchtungen, sie könnten während ihres Dienstes die Bindung zum Glauben verlieren, scheinen unberechtigt. Laut einer Studie der nichtstaatlichen Alumna-Organisation, die der religiösen Kibbuzbewegung nahesteht, geben 89 Prozent der befragten religiösen Soldatinnen an, dass die Jahre in Uniform ihren Glauben sogar gestärkt hätten.

In den obersten Rängen sind Frauen, wie in der Wirtschaft und Politik, noch unterrepräsentiert. 2011 ernannte der damalige Verteidigungsminister Ehud Barak die Karrieresoldatin Orna Barbivai zum ersten weiblichen Major-General. Derzeit bekleiden immerhin sieben Frauen den Rang eines Brigadiergenerals, den zweithöchsten Rang in der Hierarchie. Damit bilden sie jedoch eine kleine Minderheit.

Bis die israelischen Streitkräfte ihre erste Stabschefin bekommen, dürften noch einige Jahre vergehen. Es wäre sicher in David Ben Gurions Sinn. »Die Armee ist das höchste Symbol von Pflicht«, sagte er, »und so lange, wie Frauen den Männern bei der Erfüllung dieser Pflicht nicht gleichgestellt sind, haben wir wahre Gleichheit noch nicht erreicht.«

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