Purim

Feiern im Schatten des Krieges

Aviram Carmeli düst jedes Jahr zu Purim im Kostüm auf seinem Longboard durch Tel Aviv und hat damit inzwischen Kultstatus erreicht. Foto: Screenshot

Einhornanzüge in Pastell, quietschgrüne Marsmännchen oder Prinzessinnenkleider in allen Farben des Regenbogens: Für Abwechslung ist gesorgt in den Pop-up-Kostümläden, die dieser Tage wieder in Israel ihre Pforten öffnen. Gruselmasken, künstliches Blut oder Waffen aber fehlen dieses Jahr meist im Sortiment. Purim in Israel steht in diesem Jahr ganz im Schatten des andauernden Krieges. Das gefragteste Kostüm für Kinder ist die IDF-Uniform.

Nach mehr als fünf Monaten Krieg, 1500 Toten und 130 Geiseln in Gaza ist die Stimmung im ganzen Land nach wie vor gedämpft. Das Bildungsministerium hat ein Verbot ausgesprochen, in Schulen und Kindergärten »Panik auslösende« Kostüme zu tragen. Ob am Sonntag in den Schulen Feiern veranstaltet werden oder nicht, überließ das Ministerium den Schulleitungen. Schließlich steht im Buch Esther über Purim, es sei ein Tag der Freude, ein fröhliches Fest.

Ein Tag der Freude

Nach diesem Grundsatz planen private Veranstalter, Klubs und Pubs jede Menge Partys. Studentin Mika Levy aus Aschdod wird nicht dabei sein. »Viele meiner Freunde waren in Gaza und im Norden oder sind immer noch dort. Ich kann nicht feiern, während sie um ihr Leben kämpfen.« Allerdings verstehe sie, dass Leute wieder ausgelassen sein wollen. »Wir stehen morgens auf, gehen arbeiten oder zur Uni, und irgendwann gehört es auch wieder zum Leben, Spaß zu haben. Für mich dauert es allerdings noch.«

Auch in der Tel Aviver Oberschule Gymnasia Ha’Iwrit entschied man sich gegen eine Party. Stattdessen gehen die Klassen am 24. März ins Kino. Ob sie sich dabei verkleiden, bleibt den Schülern selbst überlassen. Die traditionellen Geschenkpäckchen (Mischloach Manot), die an Purim üblicherweise mit Süßigkeiten und Osnei-Haman-Keksen vollgestopft sind, füllt das Gymnasia Ha’Iwrit mit Hygieneartikeln und Verbandszeug für die Soldatinnen und Soldaten, die noch immer an zwei Fronten kämpfen.

Viele Stadtverwaltungen haben Groß­events auf öffentlichen Plätzen abgesagt, darunter Tel Aviv. Auch den Zombie-Walk, der sich über die Boulevards der Metropole schleppte und die Städter das Gruseln lehrte, wird es nicht geben. Stattdessen erklärte die Verwaltung, dass es »familienorientierte Veranstaltungen gibt, die lokale Geschäfte unterstützen«. Denn Purim bringt nicht nur Spaß und Freude, sondern jedes Jahr auch Lokalen, Klubs, Kostüm- und Dekorationsverkäufern Millionen von Schekeln Umsatz. Geld, das die angeschlagene israelische Wirtschaft dringend braucht.

»Für mich ist Purim Hoffnung und zeigt, dass wir stark sind und bleiben.«

Alma Rozen

Die größte Parade des Landes, genannt Adlojada – eine Abkürzung für den aramäischen Ausdruck, dass man so viel trinken soll, bis man sich an nichts mehr erinnert –, zieht jährlich durch Cholon. Hunderttausende Zuschauer säumen dann die Straßenränder. Doch Stadtsprecherin Nurit Beisky erklärte: »Angesichts des anhaltenden Krieges und der in Gaza festgehaltenen Geiseln hat unsere Gemeinde entschieden, dass es nicht angemessen wäre, unsere traditionellen freudigen Feierlichkeiten abzuhalten, wenn sich so viele Familien um ihre Angehörigen sorgen oder um ihre Liebsten trauern.«

Jerusalem sieht das anders. Denn als die Verwaltung ihre Adlojada plante, gab es weder Krieg noch Geiseln. Es ist die erste Purim-Parade seit 42 Jahren, und Bürgermeister Moshe Leon will nach vorn schauen: »Die Adlojada wird ein Hauptereignis sein, bei dem Jerusalem seine Tore öffnet und das Volk Israel mit Freude empfängt, mit der Hoffnung auf eine vielversprechende Zukunft und die Einheit des Volkes.«

Jetzt erst recht!

»Jetzt erst recht!« könnte auch das Motto der Rozens lauten. Vater und Tochter haben die Qual der Wahl. Sie stehen in einem Laden auf der King-George-Straße in Tel Aviv und suchen nach passenden Kostümen. David Rozen will ein Flintstone werden, die elfjährige Alma Cheerleader. »Oder vielleicht ein Cowgirl?«, fragt sie und beäugt die Hüte. Der Schülerin der fünften Klasse ist Purim wichtig. »Es bringt viel Freude für alle Menschen im Land. Durch die bunten Kostüme und die Mischloach Manot, die wir uns gegenseitig und auch Bedürftigen schenken. Für mich ist Purim Hoffnung und zeigt, dass wir stark sind und bleiben.«

Almas Vater nickt. »Natürlich war der 7. Oktober ein völlig außergewöhnliches Ereignis, doch wir haben schon viele schwierige Phasen durchlebt, und auch diese werden wir überstehen.« Fünf Monate nach dem Horror sei es an der Zeit, langsam wieder ins Leben und auch in die Freude am Leben zurückzufinden, meint der 52-Jährige. »Nach dem Motto: ›Wir werden wieder tanzen.‹ Ganz sicher geben wir dem Feind nicht die Genugtuung, dass wir alle in eine Depression fallen. Wir werden die Geiseln nicht vergessen und nicht vergeben, was uns angetan wurde, nur weil wir auf eine Party gehen.«

»Wir werden die Geiseln nicht vergessen, nur weil wir auf eine Party gehen.«

David Rozen

Ähnlich sieht das Aviram Carmeli: »Was geschehen ist, ist schrecklich und traurig für alle. Aber deshalb brauchen wir etwas, das unsere Stimmung hebt und Hoffnung bringt.« In Tel Aviv ist Carmeli für seine originellen Kostüme bekannt, mit denen er auf seinem elektrischen Longboard an Purim durch die Straßen düst: So verwandelt er sich in Aladdin auf dem fliegenden Teppich oder besteigt wie Britney Spears im Musikvideo »Toxic« sein Papp-Flugzeug. Auch dieses Jahr will er den Menschen ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Und zwar mit Hilfe der Avatare: Auf »Appa«, dem treuen Begleittier von »Aang« fuhr Carmeli durch die Straßen von Tel Aviv.

Gleichsam versteht Carmeli die Debatte, ob Feiern bereits angemessen ist oder nicht. Er ist Miteigentümer des beliebten Tel Aviver Klubs »Kuli Alma«. »Natürlich hatten auch wir nach dem 7. Oktober erst einmal geschlossen. Aber wir hatten ein Bauchgefühl, dass wir wieder öffnen müssen – und zwar schnell. Es stellte sich als richtig heraus, denn die Leute kommen zu uns, um abzuschalten, auch viele Soldaten. Ich wusste damals noch nicht, wie wichtig es ist, zu feiern. Doch die Menschen brauchen es wirklich.«

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