Regierung

»Es ist noch nicht zu spät«

»Der Oberste Gerichtshof schützt uns alle«, steht auf den Plakaten. Foto: Flash90

An diesem Tag sprachen sie kein Recht, sondern ihre Wahrheit. Hunderte von israelischen Anwälten, ehemaligen Richtern und anderen Beschäftigten der Justiz demonstrierten am Donnerstag im ganzen Land gegen den Plan der neuen Regierung, das Justizsystem zu schwächen.

Auch etliche andere Mitglieder des israelischen Establishments äußerten sich, darunter der frühere Staatspräsident Reuven Rivlin und die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Esther Hayut.

PROTEST »Das Ziel ist es, der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, dass die Systemänderungen de facto bedeuten, den Zweig der Justiz zu schließen«, erklärten die Protestinitiatoren. Unter anderem stand auf ihren Plakaten: »Der Oberste Gerichtshof schützt uns alle.«

Der Protest richtet sich gegen den umfassenden Plan des neuen Justizministers Yariv Levin (Likud), das Justizsystem zu überarbeiten, unter anderem durch eine Machtbeschränkung des Obersten Gerichtshofs. Außerdem soll die Zusammensetzung des Ernennungsausschusses von Richtern angepasst werden, wodurch die Regierung mehr Kontrolle über das Auswahlverfahren erhalten würde.

Levin hatte am Mittwoch einen ersten Entwurf veröffentlicht. Zu den Vorschlägen gehört die sogenannte Aufhebungsklausel, die das Gleichgewicht der Mächte zwischen Israels Judikative und Legislative radikal verändern würde.

»Der Plan der neuen Regierung soll die Justiz in eine stille Institution verwandeln.«

Esther Hayut, Präsidentin des Obersten Gerichtshofs

Auch Israels ehemaliger Präsident Reuven Rivlin sprach sich entschieden gegen die vorgeschlagenen Reformen aus. »Es ist nicht hinnehmbar, Gesetze aus Rachegefühlen oder unlauteren Motiven zu verabschieden.« In einem Interview mit der Tageszeitung »Yedioth Ahronoth« forderte er die Einführung eines Grundgesetzes zur Regelung des Verfahrens. »Trotz der Atmosphäre, die geschaffen wurde, ist es noch nicht zu spät, einen gangbaren Weg zu finden«.

MEHRHEIT Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Esther Hayut, äußerte sich am Donnerstag auf einer Konferenz der Vereinigung für öffentliches Recht in Haifa. Sie erläuterte, dass die Aufhebungsklausel es der Knesset ermöglichen würde, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs mit einer knappen Mehrheit im Parlament aufzuheben, und die Regierung so in der Lage sei, »Menschenrechte außer Kraft zu setzen«.

»Der Plan der Regierung von Benjamin Netanjahu, die israelische Justiz radikal zu reformieren, wird das Justizsystem erschüttern. Er soll eine tödliche Wunde für deren Unabhängigkeit sein und sie in eine stille Institution verwandeln.« Auch die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara sprach sich vehement gegen die Reform aus.

Oppositionsführer Yair Lapid unterstützte Hayut auf Twitter und zitierte sie mit den Worten, dass »Demokratie nicht nur die Herrschaft der Mehrheit ist. Die Mehrheit hat niemandem einen Blankoscheck gegeben, um zu tun, was sie will«.

NEUTRALITÄT Justizminister Levin beschuldigte Hayut der Aufwiegelung. Sie habe »die Menschen aufgerufen, die Straßen in Brand zu setzen. Wir haben keine Neutralität gehört, wir haben keine ausgewogene juristische Position gehört. Ihre Haltung zu Lapid beweist, dass sich die Justiz verirrt hat«.

Levins Amtsvorgänger, Gideon Saar, der einst selbst Mitglied des Likud war, ließ auf den sozialen Netzwerken wissen: »Hayut hat in einer ausgezeichneten Rede dargelegt, welcher Schaden den Rechten und Freiheiten der Bürger Israels zugefügt werden könnte, wenn der Plan zur Zerstörung der Justiz wie geplant durchgeführt wird. Alle, die Freiheit lieben, unabhängig von politischen Neigungen, müssen sich im Kampf für Israels Zukunft zusammenschließen.«

Die Polizei warnte vor möglichen Unruhen bei Massenkundgebungen gegen die Regierung an diesem Wochenende.

Währenddessen warnte die Polizei am Donnerstag vor möglichen Unruhen bei Massenkundgebungen gegen die Regierung an diesem Wochenende. Beamte hätten dem ultrarechten Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, mitgeteilt, dass es in Tel Aviv und Jerusalem zu Unruhen kommen könnte. Die Organisatoren wiesen dies zurück.

GRUNDRECHT In einer Erklärung bezeichnete die Polizei die Demonstrationen als »Grundrecht jeder Person in einem demokratischen Land« und forderte die Demonstranten auf, »den Frieden zu wahren und darauf zu achten, dass die Proteste rechtmäßig abgehalten werden«.

Unterdessen forderte Oppositionsführer Yair Lapid in einem Brief den israelischen Polizeikommissar Kobi Shabtai auf, bei den Kundgebungen gegen die Regierung keine Gewalt anzuwenden. »Diese Demonstranten lieben Israel, und so sollte man sie behandeln.« Lapid bat Shabtai unter anderem, keine Wasserwerfer einzusetzen. »Ihre Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die Polizei nicht politisch ist«, fügte er hinzu.

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  02.12.2025 Aktualisiert

Netanjahu fordert »entmilitarisierte Pufferzone« in Syrien

 02.12.2025

Israel

Israel erhält »Befunde« aus Gazastreifen

Israel wartet auf die Übergabe der beiden letzten getöteten Geiseln durch die Hamas. Nun ist die Rede von »Befunden«, die übermittelt worden seien. Der genaue Hintergrund ist unklar

 02.12.2025

Ehemalige Geiseln

»In Gaza war ich wie ein toter Mensch«

Der junge Israeli Alon Ohel erlebte in den Tunneln der Hamas unvorstellbare Qualen und sexuelle Gewalt. Jetzt spricht er zum ersten Mal darüber

von Sabine Brandes  02.12.2025

Berlin

Israel-Flagge vor Rotem Rathaus eingeholt

Nach mehr als zwei Jahren wurde die Fahne am Dienstag vom Mast geholt. Die Hintergründe

 02.12.2025

Westjordanland

Messer- und Autoangriff auf israelische Soldaten

Innerhalb weniger Stunden kam es zu gleich zwei Anschlägen auf Vertreter des israelischen Militärs

 02.12.2025

Tel Aviv

Was passiert nach Netanjahus Begnadigungsantrag?

Versuche, die Prozesse durch eine Absprache zu beenden, gab es bereits. Selbst die Richter regten eine Einigung an. Wie steht es um die beantragte Begnadigung?

 01.12.2025

Ehemalige Geiseln

»Eli war wie ein Vater für mich«

Alon Ohel und Eli Sharabi treffen sich nach der Freilassung zum ersten Mal wieder

von Sabine Brandes  01.12.2025

Haifa

Nach abgesagter Auktion: Holocaust-Zeugnisse jetzt in Israel

Die geplante Versteigerung von Holocaust-Zeugnissen in Deutschland hatte für große Empörung gesorgt. Nun wurden viele der Objekte nach Israel gebracht und sollen dort in einem Museum gezeigt werden

von Sara Lemel  01.12.2025