Nachruf

Eine unabhängige Beobachterin mit Herzensbildung

Christine Kensche (1982-2025) Foto: Marlene Gawrisch/ausblenden.de/WELT

Die WELT weint um Christine Kensche. Besonders ihr Feingefühl wird uns fehlen. Christines Fähigkeit, sich in andere Personen hineinzuversetzen und auf sie einzugehen, war eine ihrer herausragenden menschlichen und journalistischen Qualitäten. Vielleicht braucht ein Auslandskorrespondent dieses Feingefühl an keinem anderen Ort so sehr wie in Israel, diesem unendlich komplexen Land.

Israelis, die mit Christine zusammengearbeitet haben oder mit ihr befreundet waren, erzählen, wie schnell sie persönliche Beziehungen geknüpft hat, als sie 2020 Korrespondentin in Tel Aviv wurde. Wie klug ihre Fragen waren. Wie sehr sie das Land verstehen wollte. Und wie sehr sie sich allen Klischees und Stereotypen verweigerte, einer Versuchung, der leider zu viele Korrespondenten im Nahen Osten erliegen. Stattdessen zeichnete sich Christine als unabhängige Beobachterin aus. Im Kleinen, aber auch im Großen. Ihre Vor-Ort-Reportagen waren so präzise wie ihre Politik-Analysen.

Beeindruckende Reporterin mit exzellenter Ausbildung

Voraussetzung dafür war eine exzellente akademische und journalistische Ausbildung. Studiert hat Christine Geschichte, Politik und Neue Deutsche Literatur, sie war auch als Dozentin an der Universität Bonn tätig. Das journalistische Handwerk erlernte sie an der Axel Springer Akademie in Berlin. Aus Israel berichtete sie erstmals von 2013 bis 2014, damals noch als freie Journalistin für diverse deutsche Medien, darunter das ZDF, Spiegel Online und Emma.

Lesen Sie auch

In den folgenden Jahren arbeitete Christine für WELT als Investigativ-Reporterin. Hier machte sie sich unter anderem durch ihre Reportagen und Enthüllungen aus dem Clan-Milieu einen Namen und beeindruckte die Redaktion mit ihrem Mut. Den Chef eines berüchtigten Berliner Clans traf sie auf dessen Terrasse. Drohungen, die aus ihrer Berichterstattung erfolgten, ließen sie unbeeindruckt. Ihre eindringlichen Recherchen publizierte sie auch in einem Buch.

Ihren kritischen Geist bewahrte sie sich bei aller Liebe zu Israel auch als Korrespondentin. Schonungslos kommentierte sie etwa die umstrittene Justizreform, aber sie verwechselte nie Kritik an einer Regierung mit Pauschalkritik an Israel. Was sich im ersten Moment wie eine Selbstverständlichkeit anhören mag, hat leider im deutschen Journalismus Seltenheitswert. Die Fairness, mit der Christine berichtete, brachte eine weitere ihrer besonderen Qualitäten zum Vorschein – Herzensbildung.

»Sie beschrieb, was manch andere nicht ans Licht der Öffentlichkeit bringen konnten oder wollten.«

Ihr Einfühlungsvermögen zeichnete auch Christines Berichterstattung über den Terror gegen Israel am 7. Oktober aus. Für das Leid und die Grausamkeiten, die eigentlich unbeschreiblich sind, suchte und fand Christine Worte. Sie beschrieb die sexuelle Gewalt gegen israelische Frauen, die manch andere nicht ans Licht der Öffentlichkeit bringen konnten oder wollten.

Sie recherchierte auch die Netzwerke des Terrors, die Finanzströme, die teilweise über Deutschland liefen. Und der Terror machte buchstäblich vor ihrer eigenen Haustür in Tel Aviv nicht halt. Was Christine in Israel gesehen, beschrieben, eingeordnet hat, hinterließ Spuren – selbst bei einer gestandenen Journalistin.

»Solange wir leben, werden auch sie leben, denn sie sind nun ein Teil von uns, wenn wir uns an sie erinnern«, heißt es in einem jüdischen Gebet. Wir werden Christine in unserer Erinnerung bewahren.

Israel

Auch British Airways fliegt Israel wieder an

Langsam nehmen internationale Fluggesellschaften Israel wieder in ihre Flugpläne auf

 22.01.2025

Vermisst

Hoffnung und große Angst

Warten auf Shiri Bibas und ihre Kinder

von Sabine Brandes  22.01.2025

Israel

Knesset stellt Leugnung der Hamas-Massaker unter Strafe

Die Regelung entspricht dem Gesetz zur Leugnung des Holocausts, das schon 1986 verabschiedet wurde

 22.01.2025

Jerusalem/Kairo/London/Gaza

Bericht: Grenzübergang Rafah soll von der Autonomiebehörde betrieben werden

Der Schin Bet, der Mossad und der ägyptische Geheimdienst haben dieser Lösung offenbar zugestimmt

 22.01.2025

Kommentar

Die europäische Iran-Politik braucht eine Zeitenwende

Die Chancen, das Mullah-Regime zu schwächen und damit den Nahen Osten zu stabilisieren, sind mit der Präsidentschaft Donald Trumps gestiegen

von Remko Leemhuis  22.01.2025

Meinung

Kennen Sie Abed Hassan?

Medien feiern den Berliner als »deutsche Stimme aus Gaza«, dass er den Terror der Hamas verharmlost, scheint sie nicht zu stören

von Susanne Stephan  22.01.2025

Westjordanland

Erneuter Einsatz gegen den Terror

Die Hamas ruft währenddessen zur »Generalmobilisierung« gegen Israel auf

 22.01.2025 Aktualisiert

Terror

Mehrere Verletzte bei Messerangriff in Tel Aviv

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage kommt es in Tel Aviv zu einem Messerangriff. Der Täter wird erschossen

 21.01.2025

Meinung

Trump und Israel: Eine unbequeme Wahrheit

Der designierte 47. US-Präsident hat noch vor Amtsantritt mit seiner Nahostpolitik der maximalen Abschreckung und Härte mehr in Israel und Gaza erreicht als die Biden-Administration und die Europäer in den vergangenen 13 Monaten

von Philipp Peyman Engel  21.01.2025 Aktualisiert