Jerusalem

Eine ganz besondere Verbindung

Schoa-Überlebende, Vertreter der Jerusalem Foundation und Repräsentanten der EU-Delegation in Israel
Anlässlich des Jom Haschoa trafen sich am Montag in Jerusalem Schoa-Überlebende, Vertreter der Jerusalem Foundation und Repräsentanten der EU-Delegation in Israel. Foto: Sabine Brandes

Es war der Zug Nummer 322. Das weiß Walter Bingham noch genau. Dabei ist es fast 84 Jahre her, dass er als 14-jähriger Junge nach der Pogromnacht in die Eisenbahn nach Hause stieg. Sein Vater war gerade von den Nazis abgeholt worden. Damals hieß er Wolfgang und fuhr nach Karlsruhe. Heute erzählt er in Jerusalem seine Geschichte. Im Rahmen des Jom Haschoa hatte die Jerusalem Foundation Schoa-Überlebende eingeladen, die regelmäßig am Programm »Café Europa« teilnehmen.

Auch die Delegation der Europäischen Union in Israel war dabei. EU-Botschafter Dimiter Tzantchev dankte den Überlebenden für ihre Geschichten. »Wir wollen von Ihnen hören«, versicherte er, »und verneigen uns in Ehrfurcht davor, dass Sie, nachdem Sie die Hölle auf Erden erlebten, dennoch ein Leben aufbauten.«

Shai Doron, Präsident der Jerusalem Foundation, nannte es eine moralische Verpflichtung, den Überlebenden einen würdevollen Lebensabend zu ermöglichen. »Wir möchten ihnen ein Gefühl der Sicherheit und Liebe geben, in einer Welt, die viel zu wenig gab, als sie noch Kinder waren.«

Gruppe Die etwa 10.400 in Jerusalem lebenden Holocaust-Überlebenden gehören zu einer der gefährdetsten Gruppen, oft konfrontiert mit psychischen und physischen Problemen und nicht selten arm. Mehr als 650 Männer und Frauen nehmen an den Aktivitäten von Café Europa in fünf Zweigstellen teil, die über die Stadtviertel verteilt sind. Es gibt französisch-, englisch-, hebräisch- und russischsprachige Gruppen sowie zwei getrennte für charedische Männer und Frauen.

Je älter die Menschen, desto wichtiger sind die Angebote, weiß die Leiterin der Gemeinschafts- und Sozialprojekte der Jerusalem Foundation, Keren Naveh. Fast alle Überlebenden sind über 80 Jahre alt, und ihr Hauptproblem sei die Vereinsamung.

Das Programm, das vor 13 Jahren ins Leben gerufen wurde, wird in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und Gemeindezentren organisiert, die Jerusalem Foundation übernimmt die Kosten für Aktivitäten und Sozialarbeiterinnen. »Doch ohne private Förderung aus der ganzen Welt könnten wir nicht bestehen«, betont Naveh und ruft zum Spenden auf. »Denn dieses Programm wird es nicht mehr lange geben.«

batmizwa Besonders stolz ist sie auf das »Batmizwa-Projekt«. Im vergangenen Jahr feierten dabei zehn überlebende Damen mit einer Schulklasse ihre Batmizwa, die sie als Mädchen nie hatten. »Es war ein sehr emotionales Projekt mit Momenten, die das Herz brachen, doch zugleich jeder Menge Spaß.« Die Schoa-Überlebenden würden sich auch für andere engagieren, etwa Kinder aus sozial schwachen Familien. »Durch Café Europa sind sie Teil einer Gemeinschaft.«

Neben den sozialen und kulturellen Angeboten – von Vorträgen und Konzerten über Reisen bis zu Gedenkveranstaltungen – helfen Fachleute, Zugang zu Rechten und Diensten zu erhalten. Zudem gibt es einen mobilen Dienst für Hausbesuche, der während der Pandemie besonders wichtig war.

Viele der Überlebenden erinnern sich heute noch an die kleinsten Details, auch wenn die Geschehnisse mehr als acht Jahrzehnte zurückliegen. Je mehr Zeit verstrichen ist, desto drängender ist oft der Wunsch, sich mitzuteilen. So ist es bei dem 98-jährigen Walter Bingham, der mit einem Kindertransport nach England gelangte und in Jerusalem noch immer als Journalist arbeitet. Auch er kommt regelmäßig ins Café Europa. »Es ist so viel mehr als ein Sozialklub mit Kaffeetrinken« für ihn.

»Es ist so viel mehr als ein Sozialklub mit Kaffeetrinken.«

Walter Bingham (98)

Auch Rena Quint will erzählen: »Ich hatte sechs Mütter, war mal Junge, mal Mädchen, bin in Polen oder Deutschland geboren – alles, um zu überleben.« Nachdem ihre gesamte Familie von den Nazis ermordet worden war, brachte man das kleine Mädchen nach Schweden. Von dort gelangte sie in die USA, wo sie aufwuchs. »Doch ich wusste nie, wer genau ich war, denn alle waren tot. Niemand konnte mir erzählen, ob das, woran ich mich erinnerte, so geschehen war.«

Später emigrierte sie nach Israel und begann, als Volontärin für Yad Vashem zu arbeiten. Sie fand ihre Geburtsurkunde und das Heiratszertifikat der Eltern. »Da wusste ich, es stimmt alles.« Rena Quint vermittelt durch die Gedenkstätte Tausenden Menschen, was ihr geschehen ist. »Wir Überlebenden wollen reden. Und es ist wichtig, dass wir es tun, solange wir noch können.«

amerikaner Das sagt auch Jose Levkovich. 1939, als er 13 Jahre alt war, wurde er in einem Arbeitslager von seinem Vater getrennt. Der Rest seiner Großfamilie, die damals etwa 250 Menschen umfasste, wurde von den Nazis getötet. Er ist der einzige Überlebende. Das wusste er noch nicht, als er die schlimmsten Todeslager überstehen musste: Auschwitz, Mauthausen, Ebensee. Nach sechs Jahren befreiten ihn die Amerikaner. Als er in sein Elternhaus zurückkehrte, wurde ihm klar, dass es keinen seiner Lieben mehr gab. Er war allein auf dieser Welt.

»Ich redete mir ein, dass dies einen Sinn haben muss, und begann, etwas zu tun.« Zunächst rettete er 600 versteckte jüdische Kinder im kommunistischen Polen und setzte anschließend seine ganze Energie ein, um die Nazi-Täter vor Gericht zu bringen. Levkovich war verantwortlich für die Festnahme und Verurteilung des »Schlächters von Plaszow«, Amon Goeth.

Im Café Europa kommen sie alle zusammen: Walter Bingham, Jose Levkovich und Rena Quint. Debbie Shalom ist seit acht Jahren Sozialarbeiterin dort und leitet die englischsprachige Abteilung. »Es ist eine fröhliche Gruppe, die die Unterhaltung liebt. Bei uns geht es vor allem darum, das Leben zu genießen.« Alle Mitglieder seien Schoa-Überlebende, doch stünde der Holocaust nicht immer im Vordergrund. »Viele der Teilnehmer sind stark traumatisiert, und das erschwert es ihnen oft, sich im Alltag mit Gleichaltrigen zu verständigen, die nicht dasselbe Schicksal haben«, sagt Shalom. »Hier kommen sie her und wissen: ›Man versteht mich.‹ Was wir in erster Linie vermitteln wollen, ist ein Gefühl der Zugehörigkeit.«

anschluss Lilly Schechter kommt genau aus diesem Grund. Sie ist ursprünglich aus Wien und jede Woche dabei. »Das ist nicht immer einfach, denn ich bin nicht sehr sozial und 89 Jahre alt.« Dennoch lässt sie sich die Treffen nicht nehmen. »Ich spreche mit meinen Bekannten und nehme eine Jause. Unter Menschen, die Ähnliches erlebten, fällt mir der Anschluss leichter.«

Ihre Freundin Hani Zimmerspitz-Jäckel, eine Malerin, sieht es genauso. »Ich bin sehr glücklich, dass es die Treffen gibt«, sagt sie, während ihre Tochter zustimmend nickt. Zwar sei sie gesellig, aber im Alltag sei es trotzdem anders. »Im Café Europa habe ich das Gefühl, dass ich eine ganz besondere Verbindung zu den Menschen habe. Hier gehöre ich wirklich dazu.«

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