Meinung

Ein tiefer Weltschmerz

Sabine Brandes Foto: privat

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Ein tiefer Weltschmerz

Sabine Brandes wünscht sich nach ihrer Impfung in Israel, dass endlich auch andernorts der Corona-Schutz kommt

von Sabine Brandes  25.01.2021 11:26 Uhr

Ich bin geimpft und fühle mich schrecklich. Dabei habe ich keinerlei Nebenwirkungen. Es ist eher mein Gewissen, das mir Beschwerden macht.

Noch vor einigen Wochen hatte ich mir ausgemalt, wie wundervoll es wird, wenn ich vollständig immunisiert bin und sich das Coronavirus nicht mehr bei mir einnisten kann. Dass Cafés und Geschäfte langsam öffnen und sich die Menschen des Lebens freuen – ich inklusive. Dann werde ich bald wieder in Italien Cappuccino trinken und noch davor Familie und Freunde in Deutschland besuchen.

abgeschieden Ich vermisse mein altes Leben, und Israel kommt mir in Zeiten der Pandemie noch kleiner und abgeschiedener vor als sonst. Die Krankenschwester sagte »Masal tow« und forderte mich auf, ein Selfie zu machen. Doch mir war nicht danach. Dabei bin ich mir bewusst, dass ich zu den bislang wenigen »Glücklichen« auf der Welt gehöre.

Die Zahlen der Kranken und Toten aus anderen Ländern schockieren mich immer wieder.

Doch ein Glücksgefühl will sich partout nicht einstellen. Es geht mir dabei nicht um Politik und auch nicht um die Moral. Immerhin trage ich als Geimpfte dazu bei, dass sich das Virus durch mich wahrscheinlich nicht weiterverbreiten kann. Das allein wäre Grund genug, sich die Spritze setzen zu lassen. Dennoch spüre ich einen tiefen Weltschmerz. Die Zahlen der Kranken und Toten aus anderen Ländern schockieren mich immer wieder.

unbeschwert Mein Vater in Deutschland hätte diese Impfung definitiv dringender gebraucht als ich. Er ist über 80 Jahre und hat gleich mehrere chronische Leiden. Ihm hätte ich gewünscht, dass er nach einem Jahr Sorge seinen Alltag wieder unbeschwerter leben kann. Wie den Millionen und Abermillionen Menschen überall, die sehnsüchtig auf die Spritzen warten.

Ich dagegen gehöre weder zu einer Risikogruppe noch bin ich Ärztin, Lehrerin oder Sozialarbeiterin. Mein einziger Vorteil: Ich lebe in Israel.
Gestern kam eine Textnachricht von meiner Schwester: »Wir vegetieren in diversen Lockdown-Formen vor uns hin. Keine Tests, keine Impfungen.« Manchmal ist es schwer, sich zu freuen. Auch, wenn es allen Grund dazu gibt.

redaktion@juedische-allgemeine.de

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