Knesset

Ein Tag vor der Wahl

Alles ist vorbereitet: 30 Parteien oder Bündnisse stellen sich am Dienstag zur Wahl. Foto: Flash 90

Weniger als 24 Stunden – dann gehen die Israelis wieder einmal an die Urnen. Zum zweiten Mal in einem Jahr wählen sie ein neues Parlament. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vom rechtsgerichteten Likud tritt gegen seinen Herausforderer, den einstigen General Benny Gantz von der Union Blau-Weiß, an. Noch immer prognostizieren die Umfragen meist einen Gleichstand, je nach Institut plus/minus ein bis zwei Sitze.

30 Parteien oder Bündnisse stellen sich insgesamt zur Wahl, 17 weniger als im April. Es wird erwartet, dass von denen jedoch nicht mehr als zehn in die Knesset einziehen werden. Der Großteil wird unter der 3,25-Prozent-Hürde bleiben. Die relevanten Parteien sind: Likud, Union Blau-Weiß, Vereinte (arabische) Liste, Israel Beiteinu, Yamina, Vereinigtes Tora-Judentum, Schas, Demokratische Union, Arbeitspartei-Gescher und Otzma Jehudit. Bei der letztgenannten, der rechtsextremen Nachfolgepartei der Kahane-Bewegung, ist der Einzug laut jüngsten Umfragen allerdings noch unklar.

Plakate Erst seit wenigen Tagen prangen überall die Konterfeis der Politiker und versuchen, die Menschen allein mit ihrem Blick zu überzeugen, für sie zu stimmen. Netanjahu vom Likud zeigt sich besonders gern auf überdimensionalen Plakaten an Häuserwänden beim Händeschütteln mit US-Präsident Donald Trump und gibt sich wenig bescheiden mit dem Slogan: »Netanjahu – eine andere Liga«. Der Premier steht seit vielen Monaten unter Korruptionsverdacht. In drei Fällen hat die Polizei eine Anklage vorgeschlagen.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu kämpft um eine weitere Amtszeit.

Netanjahus Herausforderer Gantz schaut ernst aus seinen stahlblauen Augen auf Israel herab. Sein Bündnis Blau-Weiß aus drei Generälen (Gantz, Gaby Aschkenasi und Moshe Yaalon) sowie Yair Lapid von Jesch Atid hatte im April für viele einen Überraschungserfolg mit 35 Sitzen erzielt. Daran will die Union anknüpfen, um eigenen Aussagen zufolge »eine Zentrumsregierung zu bilden und Netanjahu endlich vom Thron zu stoßen«.

Für Netanjahu wäre es die fünfte Amtszeit, für den Politikneuling Gantz die erste. Doch ganz gleich, wer von ihnen am Dienstag die meisten Stimmen holen mag, für beide wird es schwierig, eine funktionierende Koalition auf die Beine zu stellen. Der Amtsinhaber könnte wieder, wie bereits im April, an der kategorischen Weigerung Avigdor Liebermans von der Partei Israel Beiteinu scheitern, in einer Regierung mit den ultraorthodoxen Parteien zu sitzen und einen Block aus rechten und religiösen Parteien zu bilden. Doch ohne Letztere ist keine Mehrheit in Sicht.

hürden Auch für Gantz stellen sich Hürden, die eine Mitte-Links-Regierung gar nicht erst zustande kommen lassen könnten. So müsste auch er Lieberman überzeugen, dass seine Regierung den Wertevorstellungen von Israel Beiteinu entspricht. Möglich auch, dass sich die anderen potenziellen Koalitionspartner weigern, miteinander zu koalieren.

Einer der großen Gewinner dieser Wahl steht schon jetzt fest: Es ist Lieberman. Während im April zeitweise sogar infrage gestellt wurde, ob er es über die Hürde schafft, könnte Israel Beiteinu jetzt bis zu elf Mandate holen. Außerdem scheint es, dass er über Israels Regierungsgeschicke in naher Zukunft entscheiden wird. Jeder will den Königsmacher in sein Boot holen, weil ohne ihn kein Block zustande kommen wird.

Kann der 69-jährige Netanjahu es zum fünften Mal schaffen?

telefonwerbung Der einstige Ministerpräsident Ehud Barak geht persönlich ans Telefon. »Schalom, hier ist Ehud Barak. Nur noch wenige Stunden, dann müssten Sie sich entscheiden. Es gibt nur eine Liste, die gegen Korruption, Rassismus und die Zerstörung der Demokratie agiert«, spricht er vom Band in der politischen Telefonwerbung. »Gehen Sie zur Wahl und stimmen für die Demokratische Union

Unter dem Titel »Shut Up Miri« (Verbietet Miri den Mund) werben sie für eine Regierung ohne Netanjahu und Kulturministerin Miri Regev. Barak, der extra für diese Wahl aus dem politischen Ruhestand zurückkehrte, hat sich mit der Linkspartei Meretz unter dem Vorsitz von Nitzan Horowitz zusammengeschlossen. Die holte beim letzten Mal fünf Sitze. Gemeinsam mit Barak werden ihr einer mehr vorausgesagt.

Auch Yamina ist ein neues Bündnis – allerdings mit bekannten Gesichtern. Statt einer Mischung bei der Hierarchie ist hier alles beim Alten. Die nationalreligiöse Partei Jüdisches Haus mit Bezalel Smotrich und Rafi Peretz macht gemeinsame Sache mit Hajamin Hachadasch von Ayelet Shaked und Naftali Bennett. Bennett hatte die Zeichen der Zeit erkannt und der charismatischen Rechtspolitikerin Ayelet Shaked diesmal den Vortritt gelassen, nachdem sie im April an der Eintrittshürde gescheitert waren. Sie könnten acht bis neun Mandate holen.

Bei der Vereinten (arabischen) Liste kommt es voll und ganz auf die Wahlbeteiligung an. Im April war die bei der arabischen Gemeinde Israels auf ein Rekordtief gesunken. Zu viele meinen, sie hätten ohnehin keinen Einfluss auf die Geschicke des Landes. Die Politiker der vier größten arabischen Parteien dieses Bündnisses haben daher in den vergangenen Wochen vor allem die Werbetrommel für den Urnengang allgemein gerührt. Vorsitzender der größten Partei, Chadasch, ist Ayman Odeh, der regelmäßig mit Netanjahu lautstark aneinandergerät.

Erwartet wird ein knappes Rennen zwischen Likud und dem oppositionellen Bündnis der Mitte.

Für die ultraorthodoxe Partei Vereinigtes Tora-Judentum kommt die Wahl zu einem eher ungünstigen Zeitpunkt: Der Parteivorsitzende, der amtierende Gesundheitsminister Yaacov Litzman, steht unter Verdacht, einer vermeintlich pädophilen Schuldirektorin, die in Australien von der Polizei gesucht wird, zur Flucht verholfen zu haben. Außerdem wird ihm Bestechlichkeit vorgeworfen.

Die Ermittlungsbehörden schlagen eine Anklage vor. Dass dies charedische Wähler, die von ihren Rabbinern aufgefordert werden, für diese Partei zu stimmen, davon abhält, den Stimmzettel abzugeben, darf jedoch bezweifelt werden. Daher keine Schwankungen bei den acht Mandaten im April und den Prognosen.

Ähnlich sieht es bei der streng religiösen Schas aus. Die Sefardenpartei mit ihrem Vorsitzenden, Innenminister Arie Deri, wird mit sieben bis acht Sitzen gehandelt. Auch Deri steht zum wiederholten Mal unter Korruptionsverdacht.

Mindestlohn Der Gemeinschaftsaktion Arbeitspartei-Gescher mit Amir Peretz und Orli Levy-Abekassis an der Spitze werden fünf bis sechs Sitze vorausgesagt. Sie haben sich soziale Themen auf die Fahnen geschrieben, wollen den Mindestlohn anheben und kostenlose Bildung ab der Geburt anbieten. Auf ihren Plakaten steht: »Zuallererst der Mensch«. Das könnte fünf bis sechs Sitze bringen.

Die zweite Wahl in einem Jahr ist ein Novum in der Geschichte des Nahoststaates mit weniger als neun Millionen Einwohnern. Der Lust der Landsleute auf Politik gibt dies allerdings keinen Auftrieb. Umfragen zufolge ist das Interesse an der Wahl so gering wie selten zuvor. Viele freuen sich stattdessen auf Freizeit, denn der Wahltag ist zu einem nationalen Feiertag erklärt worden, an dem Schulen, Kindergärten, öffentliche Einrichtungen und die meisten Büros geschlossen bleiben.

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