Naturkatastrophen

»Ein Desaster«

Bergungsarbeiten: israelische Retter beim Einsatz in Haiti Foto: Flash 90

Naturkatastrophen

»Ein Desaster«

Israel rechnet mit starkem Erdbeben – ist aber nicht vorbereitet

von Sabine Brandes  28.01.2010 00:00 Uhr

Es kann in einigen Sekunden soweit sein oder erst in zehn Jahren. Klar ist aber: Israel ist bereits überfällig. Hier, an der aktiven afrikanisch-syrischen Spalte, lässt den Statistiken zufolge etwa alle 80 Jahre ein heftiges Erdbeben das Land erzittern. Das letzte mit einer Stärke von 6,2 auf der Richter-skala, wurde 1927 im Toten Meer gemessen. Gefühlt wurde es von Nord nach Süd, 500 Menschen starben, 700 wurden verletzt. Heute, 83 Jahre später, ist die Bevölkerung um ein Vielfaches angewachsen. Im Falle eines Bebens wie jetzt in Haiti mit wohl Hunderttausenden von Toten, wäre die Zerstörung auch im modernen Israel massiv, warnen Experten. Tausende von Menschen könnten ihr Leben verlieren. Die Bergungsteams, berühmt für ihre Leistungen in der ganzen Welt, müssten in diesem Fall zu Hause ihre schwierige Arbeit tun.

Prognosen »Obwohl niemand voraussagen kann, wie stark ein Erdbeben wird, gibt es keinen Zweifel, dass das kommende immens sein wird. Wahrscheinlich wird es das schlimmste, das Israel je erlebt hat«, sagt Avi Schapira, Leiter der seismologischen Abteilung am Ministerium für Transport und Infrastruktur. »Es wird dann wohl ein Desaster von nationalem Ausmaß werden.«

Das geophysikalische Institut Israels sammelt ständig Informationen über die Bewegungen der Erdplatten und wertet diese aus. Auch simuliert es kleine Beben, um Rückschlüsse auf größere ziehen zu können. Jetzt präsentierten die Wissenschaftler der Regierung die Ergebnisse einer Studie, die zeigt, was bei einem Erdbeben der Stärke 7,5 geschehen würde. Sie zeigte ein Szenario des Grauens: 16.000 Tote und 90.000 Verletzte, dazu nahezu 380.000 Menschen, die obdachlos werden. Mindestens 10.000 Gebäude würden komplett einstürzen, so die Geophysiker, 20.000 stark sowie weitere 100.000 mittel bis leicht beschädigt.

Zwar existiert hierzulande ebenfalls eine Erdbeben-Sicherheitsnorm für Gebäude, die sich an der striktesten der Welt in Kalifornien orientiert, sie ist jedoch erst seit 1980 Standardpraxis. Sämtliche Bauwerke, die davor errichtet worden sind, und das ist der Großteil, würden bei einem massiven Beben einstürzen oder zumindest nicht unbeschadet standhalten, sind sich Fachleute einig. Bereits vielfach haben die Wände in den vergangen Jahren gewackelt, zuletzt viermal hintereinander 2007, jedoch nie so massiv, dass Menschen zu Schaden gekommen sind. Doch Grund genug für die Regierung, im Jahr 2005 ein nationales Programm zur Verstärkung älterer Gebäude ins Leben zu rufen. Mittlerweile jedoch zeigt sich, dass das Programm mit Namen »Tama 38« nicht mehr als ein Papiertiger ist. Innerhalb von fünf Jahren sind nicht einmal 15 alte Gebäude im ganzen Land erdbebensicher gemacht worden.

Dabei sind es vor allem die öffentlichen Bauten wie Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser, die dringend Verbesserung benötigen. Die meisten von ihnen sind vor 1980 gebaut worden. Daher ist die Angst vor einem Erdbeben in den Morgenstunden am größten, wenn sich die Bevölkerung in den unsicheren Gebäuden aufhält, die dann schnell zu Todesfallen werden können. Auch die antiken Kunstschätze von Gamla über Caesarea bis zur Jerusalemer Altstadt, die Israels Charakter ausmachen, sind nicht geschützt und würden bei einem starken Beben wahrscheinlich unwiederbringlich zu Staub zerfallen.

Frühwarnsystem Ebenso mangelhaft ist die Frühwarnung der Bevölkerung im Notfall, ein nationales Warnsystem ist schlicht nicht vorhanden. Diese Art von Frühwarnsystemen sendet Signale anhand von Sensoren, die an den Erdplatten angebracht sind. In sämtlichen Gebäuden, die als unsicher gelten, könnten Sirenen installiert werden. Damit hätten die Menschen bis zu 60 Sekunden Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, bevor die Schockwellen die Häuser erreichen. Derartige Systeme gibt es in erdbebengefährdeten Regionen wie der Türkei, Japan, Italien sowie Kalifornien.

Der Verteidigungshaushalt in Milliardenhöhe ist für jede Regierung selbstverständlich, um die Bevölkerung vor eventuellen Angriffen feindlicher Nachbarländer oder dem Iran zu schützen. Der Antrag eines Knessetmitgliedes auf Bereitstellung von Geldern zur Verstärkung öffentlicher Gebäude hingegen ist 2009 nicht bewilligt worden. Wenn woanders die Erde bebt, sind die Israelis immer mit als Erste zur Stelle, um zu helfen. Es wird Zeit, jetzt endlich auch einmal vor der eigenen Haustür aufzuräumen. Bevor der Erstfall eintritt.

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