Israel erwachte am Mittwoch zu der Nachricht auf, dass die sterblichen Überreste von Dror Or, dem Käsemeister des Kibbuz Be’eri nach Hause überführt wurden. Der 49-Jährige war während des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 ermordet und entführt worden. Für seine Familie, seine Gemeinde und ein Land, das noch immer mit dem Trauma dieses schwarzen Tages ringt, bedeutete die Rückkehr, nach 780 Tagen der Ungewissheit würdevoll Abschied nehmen zu können.
Die Rückführung des Leichnams am Dienstagabend aus der Gewalt der Hamas in Gaza erfolgte im Rahmen des Waffenstillstands- und Geiselbefreiungsabkommens. Israel beschuldigt die Terrororganisation, die Herausgabe der toten Geiseln zu verzögern. Noch immer werden zwei tote Geiseln von der Hamas festgehalten: Ran Gvili, ein israelischer Polizeioffizier und Sudthisak Rinthalak, ein thailändischer Landarbeiter.
Er war für sein sanftes Wesen bekannt
Or, der in Be’eri und der umliegenden Region für sein sanftes Wesen und sein außergewöhnliches Können als Käsemeister bekannt war, hatte sich ein Leben aufgebaut, das von Handwerk, Gemeinschaft und der Liebe zu seiner Familie geprägt war. Über 15 Jahre lang leitete er die Käseproduktion der Kibbuz-Molkerei und verwandelte die lokale Milch in Laibe und Scheiben. Freunde sagten oft, der Käse schmeckte wie er selbst – ruhig, warm und tief mit der Heimat verwurzelt.
Er lebte mit seiner Frau Yonat und ihren drei Kindern – Yahli, Noam und Alma – in Be’eri. Ihr Haus war voller Bücher, Fahrräder, Musikinstrumente und dem allgegenwärtigen Duft von reifendem Käse aus der Küche. Für alle, die ihn kannten, war er ein Vater, der aufmerksam zuhörte und seine Sprösslinge zum Entdecken und Fragenstellen ermutigte. »Er gab den Kindern Freiraum, sich zu entwickeln, aber er war immer für sie da«, sagte sein Bruder Elad Or. »So war Dror.«
Am Morgen des 7. Oktober, als die Raketen aus Gaza flogen, flüchtete die Familie in den Schutzraum ihres Hauses. Der älteste Sohn Yahli war zu dieser Zeit in der Armee im Norden des Landes. Kurz nachdem die Horden der Hamas den Kibbuz stürmten, steckten sie das Haus der Ors in Brand. Um die Kinder vor dem sicheren Tod zu retten, schickten die Eltern sie aus dem Fenster. Doch Terroristen warteten schon. Yonat wurde ermordet, Alma und Noam als Geiseln genommen und 50 Tage später im Rahmen des ersten Abkommens im November 2023 freigelassen.
Elad Or: »Die Familien verdienen Gewissheit. Die Würde muss wiederhergestellt werden, selbst im Tod.«
Das Schicksal des Familienvaters allerdings blieb monatelang ungewiss. »Wir haben jeden Tag, jede Stunde gewartet«, so seine Mutter, Dorit Or, damals. »Man klammert sich an den kleinsten Hoffnungsschimmer, weil die Alternative schlicht unerträglich ist.
Im Mai 2024 kamen die Behörden nach umfangreichen forensischen Untersuchungen zu dem Schluss, dass auch Dror Or bereits am 7. Oktober ermordet und seine Leiche von der Hamas nach Gaza verschleppt worden war. Von da an begann für seine Familie eine zweite Phase des Wartens – stiller, schwerer, geprägt nicht von Hoffnung, sondern von der quälenden Sehnsucht nach Abschluss.
Sein Bruder Elad setzte sich unermüdlich für die Rückkehr aller Geiseln ein, der Lebenden wie der Toten. «Die Familien verdienen Gewissheit», sagte er immer wieder. «Die Würde muss wiederhergestellt werden, selbst im Tod.»
Nach seiner Rückkehr erinnert sich seine Familie an seinen liebevollen Einfluss: zum Beispiel, als er Noam Gitarre spielen beibrachte, Alma mit seinem Klapprad vom Tanzunterricht abholte und bis spät in die Nacht neben Yonat las. «Er war nicht laut», erzählt sein Bruder, «aber seine Anwesenheit erfüllte jeden Raum, den er betrat».
Kinder müssen nach der Mutter auch den Vater beerdigen
«Er hätte es verdient, alt zu werden», fügt seine Mutter hinzu. «Er hätte es verdient, weiterhin Käse herzustellen, seine Kinder großzuziehen und seine Frau zu lieben. Wir werden ihn immer in Erinnerung behalten. Endlich ist er nun zu Hause.»
Die Kinder von Yonat und Dror Or stehen vor der schweren Aufgabe, auch ihren Vater zu beerdigen - neben der Mutter. «Kein Kind sollte so etwas ertragen müssen», erklärte ein Mitglied des Kibbuz‘ am Mittwochmorgen. «Doch die ganze Gemeinde ist steht an ihrer Seite.»
Im Kibbuz Be’eri laufen die Vorbereitungen für die Beerdigung, zu der Hunderte erwartet werden. Viele Bewohner sagen, sein Verlust verkörpere die Geschichte des Kibbuz selbst – eines Ortes, der einst für seine Kultur, Kunst und sein soziales Miteinander bekannt war und nun für immer von dem Massaker gezeichnet ist.
Drors Kollegen in der Molkerei von Be’eri veröffentlichten eine Erklärung, in der sie ihn als «Meister seines Fachs, sanftmütigen Menschen und Freund von allen» beschrieben. Jeden Tag habe Dror damit begonnen, mit dem Fahrrad zur Molkerei zu fahren und die Milchtanks in einem stillen Ritual zu überprüfen: «Er berührte das Metall, atmete den Duft ein und passte die Temperatur nach Gefühl an, nicht nach Zahlen. Dror machte Käse, so wie manche Menschen Gedichte schreiben.»