Der Druck auf Premier Benjamin Netanjahu wächst – und die Zeit drängt. Zumindest für das Vorhaben, das er sich selbst auferlegt hat. Immer mehr Staaten, Organisationen und Politiker weltweit sprechen sich gegen die von ihm angekündigte Annexion von Teilen des Westjordanlandes aus. Am 1. Juli soll es eigentlich so weit sein.
Am Wochenbeginn dann wollte sich Netanjahu aber nicht mehr festlegen, um welche Gebiete es sich überhaupt handeln soll. Anders als vor einigen Wochen, als er eine Karte präsentierte, die detailliert zeigte, dass es ihm zuerst um das Jordantal geht, den Korridor zwischen den Palästinensergebieten und dem Nachbarn Jordanien, gab er sich am Sonntag ausweichend und meinte: »Reden schadet der Annexion.«
Es geht vor allem um die Sicherheit im Jordantal.
Mittlerweile berichten immer mehr israelische Medien, dass dieses Gebiet wohl derzeit gar nicht mehr zur Debatte steht. Stattdessen wolle Netanjahu einige große Siedlungsblöcke wie Maale Adumim und Gusch Etzion unter israelisches Zivilrecht stellen. Diese würden im Fall eines Friedensvertrages ohnehin an Israel gehen. Das meint zumindest Jerusalem.
Ob es die intensive internationale Kritik, der Mangel an Unterstützung aus Washington, die Uneinigkeit innerhalb seiner Koalition oder die Tatsache ist, dass König Abdullah II. nicht mehr ans Telefon geht, wenn der israelische Regierungschef in Amman anruft, sagt er nicht. Netanjahu lässt sich nicht in die Karten schauen – und die Welt ungeduldig warten.
FREUNDSCHAFT Während das Weiße Haus in den vergangenen Wochen wenig zum Thema hören ließ, haben jetzt Politiker der Demokratischen Partei ihre Meinung kundgetan. Nachdem sich die Mehrheit der demokratischen Senatoren in den USA offiziell gegen eine Annexion ausgesprochen hatte, zieht das Repräsentantenhaus nun nach. In einem Brief warnen sie vor den Gefahren eines derartigen Schrittes.
Ziel des Schreibens ist es, einen breiten Konsens in der Partei für das kontroverse Vorhaben zu finden. Denn die betreffenden Demokraten kommen aus allen politischen Strömungen der Partei.
Auch bei dem Besuch des Bundesaußenministers Heiko Maas stand das heikle Thema auf der Tagesordnung. Auf den Gesichtsmasken der beiden Außenminister waren die Flaggen beider Länder aufgedruckt – als Zeichen der Freundschaft. Doch das Gesprächsthema zwischen Maas und seinem israelischen Amtskollegen Gabi Ashkenazi war ein schwieriges.
Deutschland habe »ehrliche und ernsthafte Sorgen« wegen der Annexionspläne, ließ Maas wissen. Er war am vergangenen Mittwoch trotz Corona-Krise nach Israel gereist.
EU-RATSPRÄSIDENTSCHAFT Maas traf auch auf Netanjahu und Verteidigungsminister Benny Gantz. Anschließend reiste er nach Jordanien weiter. Von dort aus unterhielt er sich per Videokonferenz mit dem palästinensischen Premierminister Mohammad Shtayyeh über die geplante Annexion. Es war der erste Besuch des SPD-Politikers bei der neuen Regierung in Jerusalem und seine erste Auslandsreise seit dem Ausbruch des Coronavirus.
Während des Treffens in Jerusalem habe Netanjahu die Sicherheit im Jordantal als Bedingung für jeglichen zukünftigen Deal betont und erklärt: »Die Welt soll aufhören, die Illusion zu vermitteln, dass Menschen aus ihren Häusern vertrieben werden.« Das gab das Büro des Premierministers an. Jeder realistische Plan müsse die israelischen Siedlungen in der Gegend anerkennen.
Beim Gespräch zwischen Maas und Ashkenazi betonte dieser, dass man die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands als großartige Möglichkeit sehe, die Beziehungen zur Europäischen Union zu stärken. »Wir wollen einen offenen und transparenten Dialog, wie es unter Freunden sein sollte.« Der Bundesaußenminister teilte »die deutsche Haltung und unsere ehrlichen und ernsthaften Sorgen als ganz besonderer Freund Israels über mögliche Folgen des Schrittes einer Annexion« mit.
Diese Sorgen teile man mit europäischen Partnern. »Annexion ist nicht mit dem internationalen Recht vereinbar. Wir stehen zu einer verhandelten einvernehmlichen Zweistaatenlösung«, machte Maas deutlich.
SANKTIONEN Auf die Frage, ob Deutschland eventuelle Sanktionen gegen Israel mittragen würde, machte Maas klar, dass er sich in Israel zunächst einmal über die Pläne der Regierung informieren wolle. »Ich halte nichts davon, dass man in Zeiten, in denen noch keine Entscheidungen getroffen sind, mit Drohungen Politik macht.« Er sei gekommen, um die historische Beziehung der beiden Länder auszubauen.
Die Beziehungen mit Israel stehen auch bei der Reaktion aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) obenan. »Wir möchten glauben, dass Israel eine Chance für uns ist, kein Feind.« Überraschende Worte eines arabischen Außenministers. Besonders, da sie nicht im persönlichen Gespräch hinter vorgehaltener Hand, sondern – für alle Welt zu lesen – in einer israelischen Tageszeitung geschrieben wurden. Sie kommen von Yousef Al Otaiba, Botschafter der VAE in den USA, persönlich.
Der Aupenminister der Vereinigten Arabischen Emirate betont die guten Beziehungen zu Israel.
Der Artikel wird nicht nur als letzter Aufruf an die Israelis und ihre Regierung gewertet, sondern auch als einer an US-Präsident Donald Trump. Der hatte zwar in seiner Initiative »Deal of the century« eine Annexion beschrieben, allerdings im Rahmen eines Gesamtabkommens, das letztlich zu einem eigenen Staat für die Palästinenser führen soll. Es wird gemunkelt, dass sich Trumps Schwiegersohn und Berater Jared Kushner mittlerweile ebenfalls gegen eine Annexion ausgesprochen hat.
Weiter schreibt Al Otaiba: »Wir sehen uns vielen gemeinsamen Gefahren ausgesetzt und auch ein riesiges Potenzial in besseren Beziehungen. Eine Entscheidung Israels zur Annexion würde allerdings die Frage aufwerfen, ob Israel diese Dinge genauso sieht.« Mit den Gefahren bezieht sich der Diplomat auf die Bedrohung durch den Iran und den radikalen Islam.
normalisierung Al Otaiba wird noch konkreter und führt die Gefahren einer Annexion aus – darunter Unruhen beim Nachbarn Jordanien, wo 70 Prozent der Bevölkerung palästinensische Wurzeln haben. Diese Gewalt könnte sich schnell auf andere arabische Staaten ausweiten. Hamas, Hisbollah und Fatah haben den Artikel von Al Otaiba bereits verurteilt. Sie alle stellen sich gegen eine Normalisierung der Verbindungen zu Israel.
Doch auch sie können den Zug der Zeit nicht aufhalten. Die arabischen Staaten und Israel nähern sich einander an, ob die Extremisten es wollen oder nicht. Allerdings könnten durch die unilaterale Entscheidung aus Jerusalem die Beziehungen schnell wieder auf den Gefrierpunkt fallen.