Interview

»Das Ziel ist nicht Suweida, sondern Jerusalem«

In Suweida kämpfen beduinische Milizen gegen Drusen Foto: picture alliance/dpa

Frau Rozin-Aharonson, deutsche Medien berichten über Zusammenstöße zwischen Drusen und sunnitischen Gruppen in Syrien. Israelische Medien hingegen sprechen von Massakern an Drusen in Suweida und ziehen sogar Parallelen zum 7. Oktober. Wie beurteilen Sie das?
Als Israelin bin ich sehr, sehr vorsichtig mit dem Vergleich zum 7. Oktober. Aber ich halte ihn bei diesem Massaker für gerechtfertigt. Der Konflikt begann zwischen sunnitischen Beduinen und Drusen, dann schalteten sich interne Sicherheitskräfte des syrischen Interimspräsidenten Ahmed al-Scharaa, früher Al-Jolani, ein – angeblich als Friedensstifter. Doch sie begingen die schlimmsten Gräueltaten: Misshandlungen, Vergewaltigungen, Enthauptungen. Die Täter waren grausam und dumm. Sie filmten ihre Taten, verbreiteten die Videos und prahlten damit. Und das Regime nutzte die Situation, um Suweida zu unterwerfen.

Hiesige Medien beschreiben das Regime als eine sunnitisch dominierte Regierung. Entspricht das der Realität?
Viele westliche Beobachter verkennen, dass es sich nicht um eine normale Regierung handelt, sondern um eine Koalition islamistischer Dschihadisten. Zu den Sicherheitskräften gehören Tausende ausländische Kämpfer – Afghanen, Uiguren, Tschetschenen, Pakistani –, die damals gegen Assad gekämpft haben und von Jolani mit Zustimmung der USA in seine Truppen integriert wurden. Diese Menschen wurden mit einer extremistischen Ideologie indoktriniert. Es ist illusorisch zu glauben, dass sie sich nun ändern, tolerant werden und Stabilität bringen könnten.

Hat sich Interimspräsident al-Scharaa selbst gewandelt, wie manche hoffen?
Nein. Selbst wenn er geläutert wäre – was ich bezweifle –, kontrolliert er nur Teile Syriens, nicht das ganze Land. Er hat die Kontrolle über den größten Teil von Damaskus und einige weitere Städte. Der Rest des Landes ist zersplittert zwischen dschihadistischen Milizen, die sich gegenseitig bekämpfen. Auch wenn al-Scharaa inzwischen dem amerikanischen Präsidenten die Hand geschüttelt hat, in europäischen Hauptstädten empfangen wurde und die Sanktionen aufgehoben wurden: Seine Regierung bleibt salafistisch und radikal. Wir in Israel und im Westen wollen glauben, dass es sich um einen Konflikt zwischen einzelnen Stämmen handelt, und dass das Regime für Stabilität sorgen kann. Aber das ist Wunschdenken. Und das ist eine weitere Ähnlichkeit zum 7. Oktober – hier geht es nicht nur um die politische Kontrolle von Territorien, sondern darum, anderen Bevölkerungsgruppen den radikalen Islam aufzuzwingen.

Ein Religionskrieg also.
Ja, darum handelt es sich. Der Unterschied zwischen dem vorherigen und dem jetzigen Regime in Damaskus besteht darin, dass Assad Menschen ermordet hat, die seine Regierung politisch herausgefordert haben. Al-Scharaa tut dies gegen religiöse Gegner. Wir haben gesehen, was mit den Alawiten passiert ist. Vor einigen Monaten wurden Tausende Alawiten abgeschlachtet. Sie wurden ermordet, entführt, verbrannt. Und nun haben sie versucht, dasselbe mit den Drusen zu tun. Ein saudischer Scheich unter dem Schutz von Jolanis Rebellengruppe HTS erklärte, dass die Juden die Nächsten seien. Ein Cousin von Jolani forderte kürzlich sogar die Erneuerung einer Fatwa, die die Vergewaltigung von Drusinnen legitimieren würde. Jolani selbst hat dem Dschihad nie abgeschworen. Er hat nur gesagt, dass er mit allen gut auskommen will – doch ich glaube, dass er derzeit alles sagen würde, um seine Macht im Land zu festigen. Das Ziel der Dschihadisten ist, wie sie wiederholt betonen, nicht Suweida, sondern Jerusalem.

Was kann und muss Israel tun?
Israel hat sowohl ein strategisches als auch ein moralisches Interesse am Schutz der Drusen. Wir haben ihnen gegenüber eine Verpflichtung – sie sind Teil von uns. Wenn Israel nicht hilft, könnten die Drusen ein ähnliches Schicksal erleiden wie die Alawiten. Auch Christen sind bedroht – wie etwa der Anschlag auf die Maronitenkirche zeigt –, ebenso wie alle anderen Minderheiten, die den radikalen Islam ablehnen.

Wie sehen Sie die geopolitische Lage insgesamt?
Wir haben es mit einer neuen Achse zu tun – Türkei, Syrien, Katar –, die von Katar finanziert und ideologisch von der Muslimbruderschaft geprägt ist. In Syrien stellt diese neue sunnitisch-dschihadistische Front eine echte Gefahr dar. Wenn wir nichts unternehmen, riskieren wir einen zweiten »7. Oktober«, diesmal an der Nordgrenze Israels. Die Täter würden sich in ihrer Ideologie und ihrem Verhalten nicht von der Hamas unterscheiden.

Wie sollte Israel reagieren?
Wir dürfen uns nicht täuschen lassen, nur weil al-Scharaa heute im Anzug auftritt. Er hat dem Dschihad nicht abgeschworen. Wenn der Westen ihn nicht abschreckt, werden sich die Gräuel wiederholen. Wenn Israel entschlossen handelt, kann das abschreckend wirken. Das Schicksal anderer Minderheiten hängt davon ab – und letztlich auch die Sicherheit Israels. Israel könnte eine Einigung mit Jolani erzielen – auf der Grundlage seines Verständnisses, dass Israel sein Regime stürzen kann, wenn es ihn und seine extrem islamistische Regierung abschreckt.

Mit der Wissenschaftlerin des Moshe Dayan Center for Middle Eastern and African Studies an der Universität Tel Aviv und ehemaligen Leiterin der Abteilung Außenpolitik im Nationalen Sicherheitsrat sprach Detlef David Kauschke.

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