Forschung

»Das große Erdbeben wird kommen«

Notfallübung zur Simulation eines Erdbebens in der Nähe von Aschdod, Dezember 2019 Foto: Flash 90

Es ist die umfassendste Forschung ihrer Art in der ganzen Welt: 200.000 Jahre auf einen Blick. Die ersten Bohrungen unter dem Boden des Toten Meeres zeigen: Bereits in den kommenden Jahren wird ein großes Erdbeben der Stärke 6,5 oder höher auf der Richterskala in Israel befürchtet.

Vor zehn Jahren wurde eine Bohranlage im Zentrum des Toten Meeres eingerichtet, und die Bohrungen begannen. Die Forscher unter der Leitung von Professor Shmuel Marco von der Fakultät für Umwelt und Geowissenschaften an der Tel Aviver Universität (TAU) bohrten in einer Tiefe von mehreren Hundert Metern unter dem Meeresboden und konnten dadurch die Geschichte der Erdbeben in dieser Region in den vergangenen 200.000 Jahren analysieren.

bodenbeschaffenheit Gemeinsam mit Marco untersuchten Yin Lu (TAU), Professor Amotz Agnon von der Hebräischen Universität in Jerusalem, Nicolas Waldmann von der Haifa-Universität, Nadav Wetzler von Israels Geologieinstitut und der US-amerikanische Kollege Glenn Biasi vom US Geological Survey die Bodenbeschaffenheit. Die Ergebnisse wurden im prestigeträchtigen Magazin »Science Advances« vorgestellt.

Die Häufigkeit von Erdbeben im Tal des Toten Meeres ist zeitlich nicht eindeutig festgelegt.

Dabei wurde deutlich, dass die Häufigkeit von Erdbeben im Tal des Toten Meeres zeitlich nicht eindeutig festgelegt ist. Zwar zeigten die Daten, dass der durchschnittliche Zyklus eines Bebens dieses Ausmaßes 130 bis 150 Jahre beträgt, doch es gebe auch Perioden, in denen zwischen zwei Erdbeben lediglich einige Jahre lagen.

»Es gab Fälle, in denen mächtige Beben in kurzem Abstand von wenigen Jahrzehnten auftraten«, so das Resümee. Die Forscher warnen daher: »Es ist wahrscheinlich, dass es in den nächsten Jahren ein zerstörerisches Erdbeben in Israel geben wird, bei dem Hunderte von Menschen sterben könnten.«

stärke Das letzte Beben der Stärke 6,5 wurde vor nahezu einem Jahrhundert, im Jahr 1927, am Toten Meer gemessen. Die Schwingungen waren Hunderte von Kilometern entfernt zu spüren. 500 Menschen starben, außerdem gab es Verletzte in Jerusalem, Bethlehem, im jordanischen Amman und sogar in Jaffa bei Tel Aviv, zeigen die historischen Aufzeichnungen.

»Ein weiteres Beben dieser Art ist sehr wahrscheinlich – noch zu unseren Lebzeiten«, gibt Marco zu bedenken. »Entweder in einigen Jahrzehnten oder sogar schon in ein paar Jahren.«

Vor acht Jahren wurden zum ersten und bislang einzigen Mal in der Geschichte des Landes die Folgen nach einem Beben simuliert.

Israel ist kein unbekanntes Erdbebengebiet. Fachleute sind sich bewusst, dass ein Beben der Stärke von 1927 heute viel größere Schäden anrichten würde, hauptsächlich wegen der Bevölkerungsdichte und der ausgeprägten Infrastruktur. Vor acht Jahren wurden zum ersten und bislang einzigen Mal in der Geschichte des Landes die Folgen nach einem Beben simuliert. Denn schon lange geht die Angst vor »The Big One« um.

ÜBUNG Doch die landesweite Übung »Wendepunkt 6« von 2012 zeigte vor allem eines: Israel ist nicht vorbereitet. Neben der Bereitschaft der Sicherheitskräfte sollte die Übung vor allem Aufmerksamkeit bei der Bevölkerung wecken, die zwar mit Gefahren durch Raketen und Kriege umgehen kann, vom Verhalten bei Erdbeben jedoch kaum etwas weiß.

Die neue Forschung im Toten Meer wurde unter der Schirmherrschaft des International Continental Scientific Drilling Program (ICDP) durchgeführt. Das ICDP ist eine internationale Organisation zur Förderung und Unterstützung der Geowissenschaften im Bereich von wissenschaftlichen Kontinentalbohrungen.

Da das Tote Meer der tiefste Ort der Erde ist, tragen die Fluten, die jedes Jahr im Winter hinabfließen, Sedimente mit sich, die am Meeresboden Schichten bilden, erläutert Marco.

Die dunkle Schicht, etwa einen Millimeter dick, stammt aus den Wassern dieser Blitzfluten. Eine hellere Schicht derselben Dicke zeigt die steigende Verdunstung des Wassers während der Sommermonate. Zwei Schichten bildeten jeweils ein Jahr ab.

MODELLE Im Fall eines Erdbebens, so der Wissenschaftler, würden diese Sedimente durcheinandergewirbelt und setzten sich dann in einem anderen Muster wieder ab. Mithilfe von Gleichungen und Computermodellen, die die Forscher speziell für diese Untersuchungen entwickelten, waren sie in der Lage, die Physik des Prozesses zu verstehen und aus den geologischen Geschichtsaufzeichnungen zu rekonstruieren.
»In Israel wird die Häufigkeit von Erdbeben unterschätzt«, sagen die Forscher.

Bislang wurde in Fachkreisen angenommen, dass es an dieser Stelle etwa alle Zehntausend Jahre ein massives Beben von 7,5 oder höher auf der Richterskala gibt.

Bislang wurde in Fachkreisen angenommen, dass es an dieser Stelle etwa alle Zehntausend Jahre ein massives Beben von 7,5 oder höher auf der Richterskala gibt. Nun jedoch weiß man: Diese Erdbeben treten viel häufiger auf: etwa alle 1300 bis 1400 Jahre.

Das Fazit der Wissenschaftler: »In Israel wird die Häufigkeit von Erdbeben in großem Maße unterschätzt.« Das letzte dieser Art habe die Region wahrscheinlich im Jahr 1033 getroffen, vor etwas weniger als 1000 Jahren. »Also können wir in einigen Jahrhunderten damit rechnen, dass es wieder passiert.«

alarm Etwas weniger schwere Beben indes würden sogar alle 130 bis 150 Jahre auftreten. »Ich will keinen Alarm schlagen«, macht Marco klar. »Doch wir leben in einer tektonisch aktiven Zeit. Die geologischen Aufzeichnungen lügen nicht – und ein großes Erdbeben wird geschehen.«

Natürlich habe man keine Möglichkeit, akkurat vorherzusagen, wann die Wände wackeln, doch es gebe statistische Projektionen. »Leider kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass ein Beben mit Hunderten von Opfern in den nächsten Jahren kommen wird. Es kann in zehn oder Dutzenden von Jahren sein, aber auch schon in der nächsten Woche. Und wir müssen ständig darauf vorbereitet sein.«

Israelische Soldaten sollen über den Winter auf dem Berg Hermon bleiben

 13.12.2024

Israel

Paraguay eröffnet Botschaft in Jerusalem erneut

Präsident Santiago Peña: »Es werden viele Reden geschwungen. Für uns sind Taten wichtig.«

von Imanuel Marcus  13.12.2024

Nahost

US-Gesandter Sullivan: Netanjahu bereit für Geiseldeal und Waffenruhe

Ein Berater des US-Präsidenten kündigt an, es könne schon bald soweit sein

 13.12.2024

Nahost

Warum Israel Syriens Militär fast vollständig zerstört hat

In den vergangenen Tagen hat die israelische Armee nach eigenen Angaben 80 Prozent der syrischen Militärkapazitäten zerstört

von Sara Lemel und Johannes Sadek  12.12.2024

Nahost

Netanjahu trifft US-Gesandten, Gespräch zur Lage in Syrien

Die überraschende Machtübernahme durch Rebellen sendet Schockwellen durch die ganze Region

 12.12.2024

Nach Eklat

Vatikan entfernt Jesus-Kind mit Keffiyeh

Nach tagelanger Kritik hat die katholische Kirche nun reagiert, auch wenn sie sich öffentlich nicht äußert

von Nils Kottmann  12.12.2024

Westjordanland

Kind stirbt nach Terrorangriff

Der Junge war Passagier in einem Bus. Drei weitere Personen sind verletzt

 12.12.2024 Aktualisiert

Nahost

Nach Umsturz in Syrien: Hoffnung auf Gaza-Deal

Die Hamas hat den Kernforderungen Israels in zwei Kernpunkten nachgegeben

von Lars Nicolaysen  12.12.2024

Leitartikel

Islamisten als Befreier?

Nach dem Sturz der blutigen Assad-Diktatur atmet die Welt auf. Was die Umwälzungen für den Nahen Osten bedeuten – und für Israels Sicherheit

von Peter R. Neumann  12.12.2024