Am ersten Tag der neuen »humanitären Feuerpausen« im Gazastreifen sollen zahlreiche aus Ägypten gelieferte Hilfsgüter geplündert und anschließend auf lokalen Märkten verkauft worden sein. Das berichtet die in London erscheinende, von Katar finanzierte Zeitung »Al-Araby Al-Jadeed« unter Berufung auf eigene Quellen.
Von insgesamt 130 Lkw, die am Sonntag über den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen gelangten, seien 73 auf dem Weg zur Verteilstation in der Nähe des sogenannten Morag-Korridors abgefangen worden. Die Route liegt zwischen Rafah und Chan Junis und steht unter israelischer Kontrolle.
Nur 37 Laster erreichten demnach tatsächlich die Lagerhäuser des Palästinensischen Roten Halbmonds und eines ägyptischen Hilfskomitees. 20 weitere Lastwagen sollen von Israel aus bislang nicht bekannten Gründen zur Grenze zurückgeschickt worden sein. Eine Stellungnahme der israelischen Armee lag zunächst nicht vor.
Dramatische Versorgungslage
Es war das erste Mal seit der israelischen Übernahme des Rafah-Grenzübergangs im Mai, dass Kairo wieder Hilfslieferungen in den Küstenstreifen schickte. Die Lieferungen fielen mit dem Start eines neuen israelischen Hilfskonzepts zusammen: Seit Sonntag gelten täglich zehnstündige Kampfpause, in denen humanitäre Transporte passieren dürfen. Die Maßnahme ist eine Reaktion auf den wachsenden internationalen Druck angesichts der dramatischen Versorgungslage im Gazastreifen.
Doch bereits am ersten Tag wurde deutlich, wie prekär die Lage auf der Empfängerseite ist. Immer wieder kommt es zu Übergriffen auf Transporte. Die Beute landet häufig auf Schwarzmärkten, wo Grundnahrungsmittel und Medikamente zu überhöhten Preisen verkauft werden.
In einem Interview mit der »Times of Israel« hatte der frühere US-Sondergesandte für humanitäre Fragen, David Satterfield, jüngst vor einer systematischen Schwachstelle gewarnt. Während UN-Hilfen lückenlos dokumentiert und überwacht würden, fehle es beim Palästinensischen Roten Halbmond an Transparenz. »Diese Lieferungen sind besonders anfällig für Diebstahl durch Hamas oder kriminelle Netzwerke«, sagte Satterfield. Internationale Rechenschaftspflicht gebe es nicht.
Glaubhafte Wahrnehmung
Auch Israel hatte in der Vergangenheit wiederholt beklagt, dass ein Teil der Hilfsgüter nicht bei der Zivilbevölkerung, sondern in den Händen der Hamas lande. Ägypten wiederum steht unter Druck, seine Rolle als Vermittler zwischen Israel, der Hamas und der internationalen Gemeinschaft glaubhaft wahrzunehmen. Ein sichtbares Scheitern der Hilfsaktion könnte die fragile Koordination zwischen Kairo und Jerusalem erneut belasten.
Ob die täglichen Feuerpausen unter diesen Bedingungen Bestand haben, ist offen. Beobachter warnen, dass sich die humanitäre Krise weiter verschärfen könnte, wenn weder Verteilungssicherheit noch Kontrolle gewährleistet werden können. ja