Justiz

Beistand mit Maske

Netanjahu mit der Likud-Führungsriege bei einer Pressekonferenz zum Prozessbeginn Foto: Flash 90

Das hatte er sich gewiss anders vorgestellt. So kurz nach seinem grandiosen politischen Manöver, das ihm die Macht sicherte, musste sich Premierminister Benjamin Netanjahu in einem kleinen Gerichtssaal ablichten lassen. Auf der Anklagebank nahm er erst Platz, als die Reporter den Raum verlassen hatten, doch dann war es real: Zum ersten Mal in der israelischen Geschichte muss sich ein amtierender Ministerpräsident in einem Strafprozess verantworten.

Mit einer blauen Maske vor dem Gesicht, die wegen der Corona-Krise Pflicht ist, war sein Gesichtsausdruck bei Verhandlungsbeginn nur schwer zu lesen. Doch Netanjahu ist so sehr Politprofi, dass man ihm auch ohne Maske wohl kaum angesehen hätte, wenn ihm dieser erste Prozesstag mehr zusetzen würde als zugegeben. Die Verhandlung war bereits nach einer Stunde beendet und hatte sich hauptsächlich um Formalitäten gedreht. Zum nächsten Termin am 17. Juli muss der Regierungschef nicht persönlich erscheinen.

Zum ersten Mal in der israelischen Geschichte muss sich ein amtierender Ministerpräsident in einem Strafprozess verantworten.

Nach jahrelangen Untersuchungen hatten die Ermittlungsbehörden und anschließend Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit im November 2019 entschieden, Netanjahu wegen Betrug, Veruntreuung und Bestechlichkeit anzuklagen. Dazwischen erlebte Israel eine der größten politischen Krisen und drei Wahlen, aus denen er am Ende erneut als Sieger hervorging.

UNTREUE Netanjahu wird Korruption in drei Fällen vorgeworfen. Der 70-Jährige streitet sämtliche Vorwürfe ab und spricht von einer »Hexenjagd« gegen sich und seine Angehörigen. Im Fall 1000 wird ihm vorgeworfen, wertvolle Geschenke von ausländischen Geschäftsleuten erhalten zu haben, darunter Zigarren, Schmuck und Champagner.

Im Fall 2000 soll Netanjahu mit Arnon Mozes, dem Eigentümer der Tageszeitung »Yedioth Ahronoth«, besprochen haben, den Wettbewerber »Israel Hayom« auf dem Zeitungsmarkt zu schwächen. Im Fall 4000 soll er als Gegenleistung für positive Berichterstattung Medienreformen mit Vorteilen in Höhe von Hunderten Millionen Dollar für den Eigentümer des Telekommunikationsunternehmens Bezeq angestrengt haben.

Doch bei diesem schweren Gang war Netanjahu die Unterstützung seiner politischen Verbündeten sicher. Die Führungsriege der Likud-Partei demonstrierte Einheit. Viele Minister, darunter Amir Ohana, David Amsalem, Tzipi Hotovely und Miri Regev, standen hinter Netanjahu, als er seine Worte an die Presse richtete. Regev sagte, man sei hier, um einen fairen Prozess für den Premier zu fordern, dessen »Blut vergossen« worden sei.

VORWÜRFE Als Netanjahu selbst vor dem Gerichtsgebäude zu Reportern sprach, wiederholte er seine Vorwürfe an Polizei, Justiz und Medien: »Dies ist der Versuch eines politischen Putsches der Polizei gegen den Willen des Volkes, um mich und das gesamte rechte Lager zu stürzen.« Der Prozess sei das Ergebnis der Bemühungen der Linken, die es seit zehn Jahren nicht schaffen würden, ihn an der Wahlurne zu schlagen.

Weder Justiz noch Medien würden Grenzen kennen, um ihm zu schaden, legte er nach. »Es handelt sich um eine fabrizierte und absurde Anklage.« Die Bürger würden das jedoch verstehen, resümierte Netanjahu, »und mit eurer sowie Gottes Hilfe werde ich kämpfen. Ich werde den Staat Israel auch weiterhin anführen«.

Der Prozess vor den Richtern Rivka Friedman-Feldman, Moshe Bar-Am und Oded Shaham findet hinter verschlossenen Türen im Saal 317 statt, in den maximal 20 Menschen passen. Richterin Friedman-Feldman hatte bereits den früheren Ministerpräsidenten Ehud Olmert der Korruption in der sogenannten Talansky-Affäre für schuldig befunden und ihn zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Olmert war nach Aufkommen der Vorwürfe zurückgetreten.

UNSCHULDSVERMUTUNG Netanjahus Ko­alitionspartner Benny Gantz von Blau-Weiß, der den Premier noch vor wenigen Wochen unumwunden aufgefordert hatte, es Olmert gleichzutun, sagte an diesem Tag, man habe volles Vertrauen in die Justiz. »Wie für jeden Bürger, so muss auch für den Premierminister die Unschuldsvermutung gelten, bis das Gegenteil bewiesen ist.« Netanjahus fünfte Amtszeit ist wegen des Prozesses umstritten.

Kritiker befürchten, er könnte versuchen, über eine Schwächung des Justizsystems und Gesetzesänderungen eine Verurteilung zu verhindern. Zurücktreten müsste er erst im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung. Bis dahin können Jahre vergehen. Sollte er wegen Bestechlichkeit verurteilt werden, drohen Netanjahu bis zu zehn Jahre Haft, im Falle eines Urteils wegen Betrug und Untreue wäre die Höchststrafe drei Jahre Gefängnis.

Koalitionspartner Benny Gantz bekräftigt sein Vertrauen in die Justiz.

Gemeinsam mit Netanjahu müssen sich drei weitere Angeklagte vor Gericht verantworten: der Hauptaktionär des Kommunikationsunternehmens Bezeq, Shaul Elovitch, und seine Frau Iris, Verdächtige im Fall 4000. Sowohl Netanjahu als auch Elovitch wird Bestechung vorgeworfen. Mozes von Yedioth Ahronoth ist im Korruptionsfall 2000 vorgeladen.

Im Verfahren sollen zahlreiche Zeugen befragt werden, darunter der US-Milliardär Sheldon Adelson, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Ronald Lauder, der Hollywood-Produzent Arnon Milchan und der australische Unternehmer James Packer. Auch Springer-Chef Mathias Döpfner erscheint in der Anklageschrift als einer von mehr als 300 Zeugen. Ein Großteil des Geschehens spielte sich vor dem Gerichtsgebäude ab: Hunderte Menschen protestierten für und gegen Netanjahu. Während die Unterstützer »Melech Bibi« (König Bibi) skandierten, hielten die Gegner Plakate mit der Aufschrift »Crime Minister« in die Höhe.

VERBÜNDETE Auch der Vorsitzende der Linkspartei Meretz, Nitzan Horowitz, war an diesem Sonntagnachmittag nach Jerusalem gekommen. Er wandte sich vor allem an seine einstigen politischen Verbündeten, die jetzt mit Netanjahu in einer Regierung sitzen. »Diejenigen, die mit mir gegen die Hetze gegen die Gerichte demonstrieren sollten, sind Gantz, Avi Nissenkorn, Amir Peretz und Gabi Ashkenasi.« Alle hatten sich ursprünglich als Mitte-Links-Lager gegen Ne­tanjahu gestellt, sind heute jedoch Teil der Regierung. »Jetzt dienen sie unter dem Angeklagten und geben ihm Bestätigung«, schimpfte Horowitz. »Es ist beschämend.«

Nach dem ersten Prozesstag erklärte Netanjahu in einem Interview mit Kanal 20, dass er erhobenen Hauptes vor das Gericht getreten sei. »Ich bin voller Energie, um für Gerechtigkeit für alle zu kämpfen.« An einem Abkommen mit der Staatsanwaltschaft sei er keinesfalls interessiert. »Wir sind nicht hier, um Deals zu machen, sondern damit die Wahrheit ans Licht kommt.« Dann verwies er auf die Linie seiner Verteidigung: »Eine ehrwürdige Bande von Staatsanwälten, der Polizei und den linken Medien hat ein paar wahnhafte Fälle zusammengestrickt, weil sie dachten, dass ich dann aufgebe.« Dass er das nicht vorhat, glaubt ihm jeder.

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