Arbel Yehoud

Ex-Hamas Geisel berichtet erstmals ausführlich von ihrem Schicksal

Arbel Yehoud wird am 30. Januar 2025 von ihren Geiselnehmern vorgeführt und anschließend im Rahmen einer Vereinbarung zwischen Israel und den Terroristen freigelassen. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Die 29-jährige Arbel Yehoud wurde am 7. Oktober 2023 von palästinensischen Terroristen als Geisel genommen. Bis Anfang diesen Jahres war sie Gefangene des Islamischen Dschihad in Gaza. Dann, am 30. Januar 2025, wurde sie von ihren Geiselnehmern bei einer Terrorpropaganda-Veranstaltung vorgeführt und anschließend freigelassen.

Aufgrund des von Israel ausgeübten, enormen militärischen Drucks und der Drohungen des damals designierten US-Präsidenten Donald Trump kam damals eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand zustande, die auch die Freilassung von Geiseln im Austausch für weitaus mehr palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen enthielt.

Nun, genau drei Monate nach ihrer Freilassung, gab Arbel Yehoud dem israelischen Fernsehsender Kanal 13 ein Interview und erinnerte sich an die Drohungen der Terroristen des Islamischen Dschihad, sollte die israelische Armee sie finden: »Ich sitze neben ihnen, sie halten geladene Waffen und ich weiß, dass sie mir als Erstes in den Kopf schießen werden, wenn die Armee kommt.« Aufgenommen wurde das Gespräch in der Ruine ihres Hauses im Kibbuz Nir Oz.

Befreiungsoperation in Rafah

Dort lebte sie bis zum Morgen des 7. Oktober 2023 mit ihrem Freund Ariel Cunio, der nach 572 Tagen noch immer als Geisel festgehalten wird. Ein Viertel der bis dahin 400 Einwohner von Nir Oz wurden damals entweder ermordet oder als Geiseln genommen.

In dem Interview sprach Arbel Yehoud auch über den 12. Februar des vergangenen Jahres, als die israelischen Streitkräfte (IDF) im Zeltlager Rafah, in dem sie gefangen gehalten wurde, eine Operation zur Befreiung der Geiseln Louis Har und Fernando Marman durchführten.

»Ich sah Leuchtraketen auf der anderen Seite der Zeltplane, und dann kamen die Flugzeuge. Es waren Kampfflugzeuge, die sehr tief und sehr nah waren. Die Bombardierungen begannen, und dann hörte ich die Schüsse und das Rennen.« Einer ihrer Entführer habe mit einem geladenen Gewehr auf das Zelt gezielt, in dem sie festgehalten worden sei.

»Ich habe aufgehört zu weinen«

»Ich glaube nicht, dass es ein Wort gibt, das die Angst vor dem Geräusch der Kämpfe beschreiben kann - die Bombardierungen, die Flugzeuge, die wenigen Sekunden des Geräuschs, bevor eine Rakete fällt, die Schießereien. Diese Angst ist lähmend, sie ist erschreckend. Man weiß nicht, ob man in der nächsten Minute noch atmet und wo es einen erwischt.«

Im Interview stellte sie eine rhetorische Frage, die ihre Wut ausdrückte: »Wo war das alles am 7. Oktober? Ihr kämpft jetzt, um anzugreifen, aber ihr habt damals nicht gekämpft. Als ich in Gaza ankam, gab es kein einziges Flugzeug«, so die frühere Geisel der Palästinenser.

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In der Gefangenschaft geweint habe sie zum ersten Mal, als sie im Radio vom »Nir-Oz-Massaker« gehört habe. »Sie mögen es nicht, wenn man weint. Es ist nicht cool, dort zu weinen. Irgendwann habe ich mich einfach daran gewöhnt. Ich habe aufgehört zu weinen«, sagt Arbel Yehoud. »Die Tränen flossen einfach, aber ich weinte nicht.«

Bruder ermordet

Yehoud schildert, dass es während der Zeit in Geiselhaft Momente gegeben habe, in denen sie sich gesagt habe: »Es reicht. Lasst uns dies hinter uns bringen.«

Auch erinnerte sie sich in Gaza daran, dass sie, ihre Geschwister und ihre Großmutter am Abend vor dem Angriff mit den Eltern von David und Ariel im Kibbuz ein Schabbatessen hatten. »Es gab viel Freude, Kinderlärm, gutes Essen, wie immer, und als das Essen am Freitagabend vorbei war, gingen wir zu unseren Freunden«, sagte sie. »Dort waren wir zu mehreren. Am nächsten Morgen waren 80 Prozent dieser Leute nicht mehr da«.

Unter den Ermordeten war auch Arbel Yehouds Bruder Dolev, der aus seinem Haus geeilt war, um Leben zu retten, als die Terroristen ankamen. Zunächst war angenommen worden, dass er sich als Geisel in Gaza befinde. Dann, im Juni des vergangenen Jahres, wurden seine sterblichen Überreste in Israel identifiziert. Zwei Wochen später brachte seine Frau Sigal seine Tochter zur Welt.

Grab noch nicht besucht

Arbel Yehoud wurde fast 500 Tage lang von verschiedenen Familien festgehalten, die Unterstützer des Palästinensischen Dschihad waren. In dieser Zeit habe sie ein Baby dabei gehabt, sagt sie den Interviewern. Der kleine Junge habe sie an ihre Neffen und ihre Nichte erinnert, die sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kannte. »Es gab eine gewisse Verbindung. Ich habe mich ein bisschen um ihn gekümmert«, erklärt sie.

Vom Tod ihres Bruders erfuhr Arbel Yehoud während ihrer Geiselhaft. »Nach ein paar ziemlich dunklen Wochen sprach ich mit ihm und kam zu dem Entschluss, dass ich nicht allein trauern kann«, sagte sie im Fernsehinterview.

»Ich erinnere mich, dass ich mich bei ihm entschuldigt habe, dass ich mich von der Situation abkoppeln musste.« Sein Grab habe sie noch nicht besucht. Der Grund: »Ich glaube nicht, dass ich in der Lage sein werde, zu trauern und den Verlust zu verarbeiten, bevor Ariel und alle anderen zurückkehren.«

Stark und geduldig

In der Gefangenschaft habe sie sich gezwungen, Arabisch zu lernen. Am zweiten Tag habe sie das einzige Mal mit sich selbst gesprochen: »Arbel, du bist nach Gaza entführt worden, du bist in Gaza, du weißt nicht, wie lange das dauern wird, du musst stark und geduldig sein.«

Dennoch hätte sie sich nie vorstellen können, dass es 482 Tage dauern würde, bis sie zurückkehren würde. Sie erinnerte sich daran, dass sie im November 2023 von der einwöchigen Waffenruhe erfuhr, bei der die Hamas 105 Frauen und Kinder freiließ, und dachte, dass auch sie bald frei sein würde.

Als Frau allein in Gefangenschaft zu sein, sei »eine andere Geschichte«, sagte Yehoud, ohne näher darauf einzugehen. »Es gibt Dinge, die später enthüllt werden oder die vielleicht nie enthüllt werden.« Einige Details habe sie nicht einmal ihren Eltern mitgeteilt: »Es ist besser, wenn sie es nicht wissen.«

»Schmutz, Sand und Mäuse«

In der Gefangenschaft, so Yehoud, habe sie sich nie sauber gefühlt und sei ständig von »Schmutz, Sand und Mäusen« umgeben gewesen. Am Anfang habe ihr eine Maus in den Finger gebissen, und gegen Ende sei sie aufgrund der Tiere fast verrückt geworden. »Ein paar Mal töteten einige der Terroristen die Mäuse. Gegen Ende ertappte ich mich dabei, wie ich Mäuse zerquetschte.«

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In dem Zeltlager in Rafah, in dem sie festgehalten wurde, war es im Sommer »wahnsinnig heiß« und im Winter »extrem kalt«, sagte Arbel Yehoud, die während ihrer gesamten Gefangenschaft barfuß war. In der kalten Jahreszeit habe sie versucht, »irgendwie Socken zu improvisieren«.

Etwa sechs Wochen vor ihrer Freilassung hatte Yehoud Zugang zu einem Fernseher und konnte so die Freilassung der ersten drei Gefangenen verfolgen, die im Rahmen des im Januar unterzeichneten Waffenstillstandsabkommens freigelassen wurden, sagte sie.

Erstes Lächeln

Inmitten der Krise wurde Yehoud im Gazastreifen zu einer Art Berühmtheit. In arabischen Medienberichten wurde sie immer wieder als »die Soldatin Arbel Yehoud« bezeichnet, sagte sie. Erst da begriff sie, dass sie bald freigelassen werden würde. In den Tagen vor ihrer Freilassung zwangen Yehouds Entführer sie, in Propagandavideos aufzutreten, darunter ein Video, in dem zu sehen war, wie sie Süßigkeiten an Kinder im Gazastreifen verteilte.

In einem anderen Propagandavideo war sie wieder mit ihrem Nir-Oz-Kollegen Gadi Mozes vereint. Es sei ihr erstes echtes Lächeln und das erste Mal seit fast 16 Monaten gewesen, dass sie mit einer anderen Person Hebräisch sprach.

Yehoud, Mozes und fünf thailändische Staatsangehörige, wurden an diesem Tag gemeinsam freigelassen. Sie erinnerte sich, dass der 80-jährige Mozes alle zum Lachen brachte, indem er Witze riss und kleine Tänze aufführte«, um sich warm zu halten, während sie und die Thailänder in eine Decke eingewickelt waren.

Von Bewohnern umzingelt

Thema des Interviews war auch ihre Freilassung. Bewohner Gazas hatten an diesem Tag das Fahrzeug, in dem sie transportiert wurde, umringt. Als Arbel Yehoud erkannte, dass ihre Entführer die Geiseln dabei filmen wollten, wie sie durch die Menge gingen, zeigte sie auf den größten Terroristen im Auto und sagte zu ihm: »Du wirst meine Hand halten.«

Der Gang durch die Menge fühlte sich ihr zufolge wie eine Ewigkeit an. »Es wurde immer massiver, es wurde geschubst und gedrängelt.« Sie sei schließlich zu einem Vertreter des Roten Kreuzes gebracht worden, der sie aus der Menge herausgezogen und in ein Fahrzeug geschoben habe, sagte sie.

In ihrem früheren Haus interviewt zu werden, war Arbel Yehoud wichtig: »Schließlich wurden Ariel und ich gemeinsam entführt. Wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass er dies sieht, dann ist es mir wichtig, dass er weiß, dass ich auf ihn warte.« ja

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