Jerusalem

»Absolute Transparenz«

Muslimisches Gebet: Täglich sollen Bilder vom Tempelberg in alle Welt übertragen werden. Foto: Flash 90

Es ist kompliziert. Kein vorübergehender Beziehungsstatus, sondern Dauerzustand auf dem Tempelberg. Als eines der wohl umstrittensten Gebiete in der ganzen Welt sorgt der Hügel inmitten Jerusalems in regelmäßigen Abständen für blutige Unruhen und Kämpfe zwischen Israelis und Palästinensern. Nun soll eine technische Anlage Ruhe auf dem heiligen Platz bringen. Demnächst werden Kameras installiert, die rund um die Uhr Bilder vom Tempelberg schicken – in die ganze Welt.

Der jüngste Konflikt, ausgebrochen vor rund zwei Monaten, brachte nicht nur die sogenannte Messer-Intifada ins Rollen, sondern sorgte zudem für eine ernsthafte Krise zwischen Israel und Jordanien. Der jüdische Staat und das haschemitische Königreich hatten 1994 einen Friedensvertrag geschlossen und pflegen seitdem, wenn auch keinen sonderlich warmen, so doch einen respektvollen Umgang.

Idee Die Auseinandersetzungen um den Tempelberg jedoch ließen die Beziehung zusehends frostig werden. Erst der Besuch von US-Außenminister John Kerry brachte die Wende in der Diplomatie. Der Vorschlag, Kameras aufzubauen, eine Idee des jordanischen Königs Abdullah, fand die Akzeptanz der Beteiligten. Offenbar wussten alle, dass auf die Schnelle keine politische Dauerlösung gefunden werden könne, dem explosiven Geschehen aber unbedingt Einhalt geboten werden müsse.

Ronni Shaked, Korrespondent für palästinensische Angelegenheiten bei der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth und Doktorand im Bereich Nahoststudien der Hebräischen Universität in Jerusalem, hält die Installation der Kameras für einen »genialen Trick«. Denn sowohl Palästinenser wie Juden, die den Tempelberg besuchen, hätten Angst davor, gefilmt zu werden. »Die Palästinenser wollen definitiv nicht, dass jemand sieht, wie sie Steine oder Brandbomben in die Al-Aksa-Moschee schleppen.«

Juden andererseits wollten nicht erwischt werden, wenn sie dort beten, da das strikt verboten ist. »Das war ein schlauer Schachzug, seitdem herrscht wieder Ruhe«, sagt Shaked. Sofort nach dem Einverständnis der Staatschefs hätten sich die Gemüter etwas beruhigt. Auch die Entscheidung von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, am vergangenen Freitag den Zugang zum Tempelberg für Muslime nicht mehr auf Frauen und Männer über 40 Jahre zu beschränken, sondern für alle Gläubigen zu öffnen, hat nach Meinung des Experten zu einer Entspannung der Lage geführt.

Status Quo Netanjahu erklärte zudem vor der internationalen Presse: »Wir sind dem Status quo verpflichtet und schützen ihn. Israel wird seine lange währende Politik fortsetzen: Muslime beten auf dem Tempelberg, Nichtmuslime besuchen den Tempelberg.«

Noch müssten die Details zwischen dem islamischen Waqf Jordaniens, der die Stätte verwaltet, und den israelischen Behörden koordiniert werden, doch die Kameras sollen schon in den nächsten Tagen installiert werden. Und dann, erklärten Offizielle beider Seiten, »für die absolute Transparenz sorgen«. Netanjahu erläuterte vor seinem Kabinett, dass die Videos zunächst der Regierung in Jerusalem und den Leuten vom Waqf überspielt werden, doch das Ziel sei, die Bilder permanent live im Internet zu streamen, an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr an alle, die sie sehen möchten. »Wir haben nichts zu verbergen. Die Transparenz ist gut für uns.«

Die Palästinensische Autonomiebehörde unkte indes, dass »die Israelis die Kameras für ihre eigenen Zwecke ausnutzen und als Vorwand für die Verhaftung von Palästinensern nehmen würden«. Dafür aber holte sie sich einen Rüffel von Jordanien ab. Der Minister für Waqf-Angelegenheiten, Hayel al-Daoud, äußerte sich knapp: »Die Entscheidung wurde getroffen, um die Al-Aksa-Moschee zu schützen und um zu dokumentieren, was auf dem Gelände vor sich geht. Und sonst nichts.«

Kompromiss
Dass das Überwachen der Geschehnisse sich positiv auswirkt, davon ist Ronni Shaked überzeugt. Denn: »Zwei Völker streiten über diesen Ort bis aufs Messer. Er ist das Herz des jüdischen Volkes und extrem wichtig für die Palästinenser. Darüber werden sie keinen Kompromiss finden. Und eine Heilige Stätte kann man nicht einfach zerteilen. Deshalb gibt es ständig Spannungen.« Er ist sicher, dass die Fanatiker unter den Palästinensern und Juden die Unruhen bald wieder schüren könnten. »Wenn den Palästinensern etwas nicht gefällt, geht es wieder los.«

Es gibt ein Dekret des Oberrabbinats, dass der Tempelberg von Juden nicht betreten werden darf, welches nach Ausbruch der jüngsten Unruhen noch einmal bestätigt wurde. Die Oberrabbiner David Lau und Yitzhak Yosef sowie mehr als 100 prominente israelische Rabbis veröffentlichten eine Erklärung, die es Juden verbietet, das Gebiet auch nur zu betreten. »Daran halten sich auch mehr als 99 Prozent der Juden«, weiß Shaked, »doch die winzig kleine Minderheit, die es nicht tut, verursacht oft ein großes Chaos«.

»Jemand müsste klug genug sein, einen ganz neuen Weg für eine Lösung zu finden.« Allerdings sei dieser Jemand momentan auf keiner der beiden Seiten zu finden. »Und bis dahin ist der Tempelberg eine tickende Zeitbombe. Mit oder ohne Kameras. Es braucht nur eine einzige Person, die über die Stränge schlägt. Gewalt kann jeden Tag ausbrechen, schon morgen wieder. Deshalb ist es dort so brandgefährlich.«

Diplomatie

Donald Trump reist nach Nahost - aber lässt Israel aus

Der US-Präsident stellt vorher eine »sehr, sehr große Ankündigung« in Aussicht

 07.05.2025

Israel

Knesset-Ausschuss will Christen besser schützen

Übergriffe auf Christen in Israel sind keine Seltenheit - und werden mehr. Damit befasste sich nun ein Parlamentsausschuss. Er fordert ein systematisches Vorgehen gegen das beunruhigende Phänomen

 07.05.2025

Israel

Geiselfamilien schockiert über Äußerungen Trumps

Nachdem Präsident Trump von weiteren toten Geiseln gesprochen hat, wächst die Sorge bei Angehörigen: Sie fordern Aufklärung, Transparenz – und eine sofortige Waffenruhe zur Rettung der Verschleppten

 07.05.2025

Gesellschaft

Influencer mit Ehrendoktor

Die Ben-Gurion-Universität zeichnet den Israeli Nas Daily und sechs anderen Persönlichkeiten aus

von Sabine Brandes  07.05.2025

Gaza/Israel

Trump: Drei weitere Hamas-Geiseln tot

Die Angaben des amerikanischen Präsidenten stimmen nicht mit israelischen Erkenntnissen überein

 07.05.2025

Nahost

Trump verkündet überraschend Huthi-Kapitulation

Während Israel als Reaktion auf den jemenitischen Dauerbeschuss Huthi-Ziele bombardiert, überrascht US-Präsident Donald Trump mit einer Ankündigung: Die Miliz hätte kapituliert. Was das genau bedeutet, bleibt zunächst völlig unklar

 06.05.2025

Berlin

Merz: »Israel macht uns allergrößte Sorgen«

Noch am kommenden Wochenende soll der neue Außenminister Wadephul nach Israel reisen. Der neue deutsche Kanzler sendet schon jetzt eine klare Nachricht nach Jerusalem

 06.05.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  06.05.2025

Eurovision Song Contest

Israelische Sängerin Yuval Raphael wird von der Schweiz nicht extra geschützt

Die Basler Sicherheitsbehörden wissen um die angespannte Lage, das Sicherheitsrisiko in der Schweiz ist hoch

von Nicole Dreyfus  06.05.2025