Kaiserslautern

Zutritt untersagt

Zweimal pro Woche Kistenschleppen für den Gottesdienst: »Das ist kein haltbarer Zustand«, sagt Geschäftsführerin Marina Nikiforova. Foto: Martin Köhler

Ausgesperrt aus dem eigenen Zuhause. So fühlen sich die Juden in Kaiserslautern seit Ende November. Die Stadtverwaltung schloss das Gemeindezentrum bis auf Weiteres für die meisten Aktivitäten – offiziell wegen eines fehlenden zweiten Fluchtweges. So hieß es Ende November. Auslöser für die Untersuchungen diverser Behörden war der Terroranschlag von Halle. Die Verantwortlichen der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz (JKR) fragen sich jedoch, ob mehr dahintersteht.

»Unsere Synagoge besteht schon seit 1964 in diesem Zustand ohne Notausgang. 55 Jahre lang hat sich niemand darum gekümmert: weder wir noch die Behörden«, wundert sich die Geschäftsführerin der JKR, Marina Nikiforova. Erst in den vergangenen Jahren sei ein zweiter unabhängiger Rettungsweg ins Gespräch gekommen. Die ideale Lösung sei, ihn an der Rückseite des Gebäudes, wo die Kultusgemeinde jahrelang zwei Parkplätze gemietet hatte, vorzusehen. Auf einen dieser Parkplätze wollte man verzichten.

Investoren Einen Strich durch die Rechnung machte jedoch der Verkauf des gesamten Grundstücks an eine Immobilien-Investorengruppe aus der Stadt. Diese würde laut Kultusgemeinde gerne aus dem Areal in bester Lage in der Kaiserslauterer Innenstadt ein Wohn- und Geschäftshaus machen. Daher habe sie kein Interesse daran, dass die Synagoge den vorgeschriebenen Rettungsweg auf ihr Grundstück erhalte, behauptet Nikiforova. Die Investorengruppe ließ eine Interview-Anfrage der Jüdischen Allgemeinen unbeantwortet.

Der Investor habe der Gemeinde einen niedrigen, sechsstelligen Betrag fürs Gemeindezentrum angeboten – verbunden mit der Zusage, fünf Jahre lang eines seiner Gebäude gegenüber mieten zu können. Doch danach wäre der Erlös wohl wieder aufgebraucht, und die Suche nach einem neuen Obdach beginne erneut, beschwert sich nicht nur Nikiforova.
Ein Nachbar bot an, den Notausgang auf sein Grundstück zu verlegen.

Angebot Die Gemeinde setzt nun ihre Hoffnung auf das Angebot eines anderen Nachbarn, den Notausgang auf dessen Grundstück durchbrechen zu können. »Dieser Nachbar kam auf uns zu und ist sehr verbindlich«, lobt die Geschäftsführerin. Schon bald soll ein Bauexperte eine entsprechende Studie vorstellen, wie die optimale Brandschutzlösung aussehen könnte.

Doch eigentlich, so die Vision der 350 Mitglieder starken jüdischen Gemeinde der Barbarossastadt, wünsche man sich einen Synagogenneubau am alten Standort, dem Synagogenplatz.
Derweil bestreitet die Pressestelle der Stadt Kaiserslautern vehement, dass die Sperrung des Gemeindezentrums und der geplante Neubau zusammenhängen.

»Die Schließung des Gebäudes der jüdischen Kultusgemeinde war die Folge einer aktuellen Vor-Ort-Begehung unseres Bauordnungsreferats. Auslöser war eine Kleine Anfrage im Landtag, weshalb das rheinland-pfälzische Finanzministerium als obere Bauaufsichtsbehörde die Stadt um eine Stellungnahme des Istzustands des Gebäudes bat.«

Bauvorschriften Die Bauauflagen sind heute strenger als vor 55 Jahren. Damals genügten offenbar zwei Fenster als zweiter Rettungsweg für die Baugenehmigung. Bei der Bauabnahme im Februar 1966 wurden von Behördenseite wohl zwei Augen zugedrückt, weil die Nutzung zugesagt war. »Beim Vorort-Termin im November zeigte sich, dass diese beiden Fenster jedoch gar nicht existierten. Auch gab es weitere sicherheitstechnische Beanstandungen, es fehlten Rauchmelder und Brandschutztüren, die die Stadt veranlassten – auch und gerade im Hinblick auf die Geschehnisse in Halle – zu reagieren. Zum Schutz der Mitglieder der jüdischen Kultusgemeinde wurde daher kurzfristig eine Nutzungsuntersagung ausgesprochen.«

Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz und die Stadtverwaltung unterstützen die Kultusgemeinde in ihrem Bestreben, das Gemeindehaus in der Basteigasse baldmöglichst wieder nutzbar zu machen. Darüber hinaus habe sich die Verwaltung bereit erklärt, Gespräche mit dem Eigentümer des Nachbargrundstücks zu führen.

»Selbstverständlich wird die Nutzungsuntersagung sofort aufgehoben, sobald alle sicherheitstechnischen Vorgaben erfüllt sind«, sagt die Stadt Kaiserslautern. Um Beschwichtigung ist auch Investor Karl-Jochen Mathieu bemüht: »Die jüdische Gemeinde wurde nie durch mein Projekt beeinträchtigt und muss nicht abgerissen werden«, teilte er per Mail mit.

Viele Mitglieder sind in Panik wegen der geschlossenen Synagoge.

Das Gemeindezentrum an der Basteigasse 4 ist der Mittelpunkt der jüdischen Gemeinschaft in Kaiserslautern: Synagoge, Sozialarbeiter-Sprechstunden, Jugendklub, Tanzgruppentreffen, Yoga-Kurse, Religionsunterricht und vier Sprachkurse fanden hier bislang statt. Dazu kommt noch die Wohnung des Gabbai Moshe Tsro-
yno im Obergeschoss, die ebenfalls gesperrt wurde. Er wohnt seitdem in einem Hotel. Marina Nikiforova sagt: »Unser ganzes System ist zum Erliegen gekommen. Viele Mitglieder sind in Panik.«

Entschuldigung Da sei es nur ein geringer Trost, dass sich Oberbürgermeister Klaus Weichel (SPD) bei der Chanukkafeier vor rund 120 Gästen bei der jüdischen Gemeinde entschuldigte: Die Zwangsschließung hätte »mit Ihnen besser und früher kommuniziert und geregelt werden müssen«. Dennoch sei sie aus sicherheitstechnischer Sicht richtig gewesen. Ein Anschlag wie in Halle hätte in der Kaiserslauterner Synagoge weit verheerendere Folgen haben können, sagte Weichel.

Die Stadt strebe eine Lösung des Problems in einer Zeit »unter einem Jahr« an, gab sich der Oberbürgermeister zuversichtlich, diesen ambitioniert klingenden Zeitplan einhalten zu können.

Ausweichquartier Die Sperrung des Gemeindezentrums wurde inzwischen gelockert. Die Sprechstunden der Sozialarbeiter können wieder darin stattfinden. Schabbat wurde direkt nach der Schließung in einem evangelischen Altenheim am Stadtrand gefeiert. Inzwischen mietet die Gemeinde zweimal pro Woche für jeweils 90 Euro pro Gottesdienst die zentral gelegene evangelische Unionskirche an.

Marina Nikiforova zeigt sich im Namen der gesamten Gemeinde äußerst dankbar, dass die beiden christlichen Kirchen als erste auf die Notlage der Juden mit Hilfsangeboten reagierten. Auch für die Sprachkurse und den Jugendklub gibt es neue Unterkünfte – jedoch in der Stadt verteilt, statt an einem zentralen Ort.

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