Münster

Zeitreise in der Klosterstraße

Erst waren es Mauern aus dem Fundament. Dann stießen die Bagger auch auf Fassadenornamente der 1938 in der Pogromnacht 1938 zerstörten Synagoge – dem Vorgängerbau des Anfang der 60er-Jahre entstandenen heutigen Gotteshauses. Der Ende Oktober gestartete, eine Million Euro teure Umbau am Gemeindezentrum erweckt schmerzhafte Erinnerungen – an die Schoa und das Auslöschen der traditionsreichen Jüdischen Gemeinde in Münster.

»Mit diesen Funden haben wir nicht gerechnet. Das waren bewegende Momente, als wir die ersten Steine in den Händen hielten«, gibt Gemeindevorsitzender Sharon Fehr seine Gefühle wieder. Die Gemeinde wolle deshalb auch einzelne Stücke restaurieren und ausstellen. »Die wollen wir der Öffentlichkeit zugänglich machen und so dokumentieren, was hier einmal gestanden hat«, sagt Fehr bestimmt.

Mittelpunkt Seit 1880 war das prächtige alte Synagogengebäude in der Klosterstraße direkt am Münsterschen Promenadenring Mittelpunkt der wachsenden Jüdischen Gemeinde. Die hatte kurz vor der »Machtergreifung« durch die Nationalsozialisten mit 700 Mitgliedern fast die gleiche Größe wie heute. Die Flammen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstörten diesen sichtbaren Mittelpunkt jüdischen Lebens.

Schon wenige Tage später wurden die Trümmer beseitigt. Die Fundamente und die Reste wurden offensichtlich dem Erdboden gleichgemacht und einfach liegen gelassen, wie sich heute zeigt. Die Kosten dafür hatte die Jüdische Gemeinde zu tragen. Seither stand das Areal unbebaut – bis Anfang der 60er-Jahre auf demselben Grundstück die heutige Synagoge im Stil der Zeit, ein nüchterner Zweckbau aus rotem Ziegelstein mit weißen Umrandungen, entstand.

Aufbewahren »Wir werden Steine der alten Synagoge aufbewahren«, betont Fehr. Die Mauerreste einfach abzutransportieren, wie schon einmal Ende der 30er-Jahre geschehen, kann sich der Vorsitzende nicht vorstellen. Wie genau man die Spuren zeigen will, vermag Fehr noch nicht abschließend zu sagen. Zunächst muss sich die Gemeinde auf die Bauarbeiten konzentrieren.

»Schon der Umbau ist für viele ältere Mitglieder nicht einfach. Mit den Räumen aus den 60-ern verbinden die Menschen nicht nur Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten. Sie sind auch ein Symbol des Neuanfangs nach der Schoa, verknüpft mit der Generation der Auschwitz-Überlebenden«, berichtet Fehr.

Umbau Die Dimensionen werden der deutlich gewachsenen Gemeinde angepasst. Erstmals wird der komplette Bau alten- und behindertengerecht. Rampen und ein Aufzug verbinden die Stockwerke. Ein großer Saal für 300 Personen wird aufgestockt. Er schafft Raum für Veranstaltungen einer Gemeinde, die heute sechs Mal größer ist als zur Zeit ihrer Wiedergründung vor 50 Jahren. »Mitte nächsten Jahres soll der Umbau abgeschlossen sein.« Das wünscht sich Fehr zumindest.

Überraschung Dass im Boden noch so viele Reste der alten Synagoge steckten, überraschte selbst die Experten. »Während der Funde haben wir die Bauarbeiten angehalten, aber wir bleiben im Zeitplan«, betont Fehr sichtlich froh darüber und hofft daher, auch an der weiteren Planung festhalten zu können.

Während der Bauarbeiten geht das Gemeindeleben weiter: Für den Religionsunterricht nutzt man Räume einer städtischen Schule, die die Stadt Münster zur Verfügung stellte. Auch der Chor probt derzeit außerhalb. Die Bibliothek allerdings konnte die Gemeinde nicht auslagern. Sie bleibt während des Umbaus geschlossen. Nur der Gottesdienst findet weiter im Gemeindezentrum statt. Auf dem Weg in die Synagoge passieren die Besucher eine Baustelle.

Improvisation Weil die Frauen-Empore besonders vom Baustaub betroffen ist, stellte die Gemeinde den weiblichen Gottesdienstbesuchern während der Arbeiten frei, das Erdgeschoss zu nutzen. Da der alte Gemeindesaal derzeit zur Küche umgebaut wird, muss man am Schabbat für den Kiddusch in einen kleinen Seminarraum ausweichen.

Die Münsteraner Gemeinde erträgt die Behelfssituation diszipliniert. Dabei hilft sicher die Vorfreude auf die neuen Räumlichkeiten. Spätestens im Sommer möchte der Vorsitzende dann auch wieder den regulären Betrieb aufnehmen – und das neue Haus voll haben. »Wir werden die Menschen einladen, einen Tag der offenen Tür veranstalten und ein großes Fest feiern«, kündigt Sharon Fehr schon jetzt an – wenn nicht doch noch etwas dazwischenkommt.

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