Centrum Judaicum

»Wir pfeifen auf dem letzten Loch«

Direktor Hermann Simon bangt um die weitere Finanzierung

von Christine Schmitt  26.05.2015 14:17 Uhr

Wahrzeichen und Baudenkmal: die goldene Kuppel der Neuen Synagoge Berlin Foto: imago

Direktor Hermann Simon bangt um die weitere Finanzierung

von Christine Schmitt  26.05.2015 14:17 Uhr

Schon von Weitem leuchtet die goldene Kuppel der Neuen Synagoge. Vielen Touristen gilt sie als eines der Wahrzeichen Berlins. So auch Pierre Lemarc. Wie viele Berlinbesucher, die vor dem Eingang der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum Schlange stehen, blättert der Franzose in seinem Reiseführer. Darin hat er etwas über das Centrum Judaicum gelesen, ist neugierig geworden und möchte es sich nun während seines Berlinaufenthalts anschauen.

Gotteshaus Just in diesem Moment stoppen etwa zehn Radfahrer auf ihrer Besichtigungstour durch Berlin. »Die Neue Synagoge war einmal das größte und prächtigste jüdische Gotteshaus Deutschlands«, erklärt der Reiseleiter.

In wenigen Sätzen hält er das Wichtigste fest: »Das im maurischen Stil gehaltene Gebäude entstand von 1859 bis 1866 nach Plänen von Eduard Knoblauch. 3000 Gläubige fanden damals Platz. Die große goldene Kuppel krönt das Gebäude. In der Pogromnacht 1938 wurde die Synagoge vor größeren Schäden bewahrt, allerdings im Zweiten Weltkrieg durch Bomben schwer beschädigt. 1958 standen nur noch die an der Straße gelegenen Gebäudeteile. Wiedereröffnet 1995.«

Eine Etage über dem Eingang sitzt Hermann Simon in seinem Büro und telefoniert. »Wir haben in unserem Archiv leider keine Daten über Ihre Großmutter«, sagt der Direktor der Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum in den Hörer. Der Anrufer lässt nicht locker und will ihm noch mehr aus seinem Leben erzählen. Geduldig hört Hermann Simon zu.

»Wir rufen jeden zurück, denn es könnte ja eine tolle Geschichte herauskommen«, sagt er später. Er muss es wissen, denn er leitet vom ersten Tag an das Centrum Judaicum, das vor 20 Jahren mit der Dauerausstellung »Tuet auf die Pforten« eröffnet wurde.

Zuschuss »Wir brauchen jeden Besucher«, sagt Hermann Simon eindringlich. »Denn wir pfeifen finanziell auf dem letzten Loch.« Schließlich habe der Berliner Senat den Zuschuss bereits seit Jahren nicht mehr erhöht. Das bestätigt Diedrich Wulfert, Büroleiter der Berliner Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten. »Das Land Berlin gewährt seit 2004 einen jährlichen Zuschuss in Höhe von 420.000 Euro für Personalausgaben.« Diese Summe ist seit elf Jahren unverändert – trotz deutlich gestiegener Ausgaben.

Zur Zuschusshöhe oder »etwaigen Planungen im Haushalt 2016/ 17« könne die Senatskanzlei »zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussage treffen«. Man sei mitten in den Verhandlungen zum Etatentwurf. »Ich gehe davon aus, dass den Verantwortlichen das Problem bewusst ist«, hofft Simon. Der Zuschuss vom Land Berlin reiche nicht mehr aus, »um den Fehlbedarf zu auszugleichen«, sagt Simon. In den letzten Monaten gab es bereits einige Gespräche dazu.

einnahmen Der Senatszuschuss deckt gerade einmal die Personalkosten. Darüber hinaus finanziert sich das Centrum Judaicum über Eintrittsgelder, Zinserträge aus dem Stiftungsvermögen, zweckgebundene Zuschüsse für Projekte und Umsatzerlöse aus Buchverkauf und Gebühren. Von konstanten Einnahmen könne aber nicht die Rede sein. »Lediglich der Zuschuss vom Land Berlin ist seit 15 Jahren konstant. Die Einnahmen aus Eintrittsgeldern und Zinserträgen sind grundsätzlich risikobehaftet«, erläutert Simon. »Die Zinserträge haben sich in den letzten 15 Jahren um 58 Prozent verringert. In diesem Jahr wird es noch weniger sein.«

Etwa 120.000 interessierte Besucher nutzen jährlich das Angebot des Centrum Judaicum, erzählt die stellvertretende Direktorin Chana Schütz. Sie arbeitet seit 20 Jahren an Hermann Simons Seite. Besonders die letzten Jahre seien »sehr anstrengend« gewesen, in denen sie sich zunehmend »durchgekämpft« hätten. Insbesondere die Spendenbereitschaft habe sich dramatisch verringert. »Vor Jahren stürmte sogar einmal jemand ins Büro, legte 1000 Mark auf den Tisch und ging wieder, einfach so«, erinnert sich Schütz an bessere Zeiten.

ausgaben Davon könne sie heute nur träumen. Dabei werden dringend finanzielle Zuschüsse gebraucht, um weiterhin Ausstellungen entwickeln zu können. »Wir wollen die Geschichte der Juden in Berlin und Umgebung aufarbeiten, an die Leistungen der jüdischen Bevölkerung erinnern und das Gedenken an die jüdischen Opfer bewahren«, fasst Hermann Simon die Aufgabe der Stiftung zusammen.

Zu diesem Zweck werden entsprechende Dokumente archiviert, bearbeitet und publiziert. Dazu arbeitet die Stiftung mit anderen jüdischen wie nichtjüdischen Institutionen zusammen. Wechselausstellungen sollen zusätzlich dafür sorgen, dass jüdische Geschichte anschaulich und begreifbar wird. Mehr als zwölf Mitarbeiter und »eine Menge Praktikanten« seien daran beteiligt, sagt der 66-jährige Direktor.

Neben der Dauerausstellung, die die Geschichte der Synagoge mit Dokumenten und Exponaten zum früheren vielfältigen jüdischen Leben Berlins präsentiert, planen die Mitarbeiter auch immer wieder spannende Wechselausstellungen. Derzeit ist beispielsweise »Momente einer einzigartigen Beziehung – 50 Jahre Deutschland und Israel« zu sehen, künftig sind Projekte zur Lebensgeschichte der Fotografin Eva Kemlein geplant sowie das Porträt dreier Künstlerinnen, die während der Schoa von Deutschland nach Palästina flüchteten. Eine von ihnen ist Gabriella Rosenthal, die Mutter von Rabbiner Tovia Ben-Chorin.

»Jede Ausstellung hat mittlerweile eine eigene Finanzierungsgeschichte«, betont Simon. Oft sei das mit sehr viel administrativem Aufwand verbunden. Derzeit ist er zufrieden, weil die 50.000 Euro für die nächste Ausstellung über den Filmarchitekten Heinz Fenchel gesichert seien.

fördermittel Für jedes neue Projekt beantragt das Centrum Judaicum Fördermittel beim Hauptstadtkulturfonds und bei der Lotto-Stiftung. Doch darüber hinaus müsste auch die Dauerausstellung dringend überarbeitet werden, sagt Chana Schütz. Denn aus Gründen der Nachhaltigkeit erscheinen zu allen Ausstellungen eigene Publikationen.

Dass er nun 20 Jahre später in seinem Büro an diesem Ort sitzen und sich den Kopf über die Beschaffung von Geldern für Ausstellungen zerbrechen würde, hätte sich Hermann Simon Anfang der 80er-Jahre nicht vorstellen können, sagt er.

Damals hatte der Historiker noch andere Sorgen: Von seinem Arbeitsplatz im Münzkabinett sah er immer wieder auf die Ruine der ehemaligen Synagoge. »Es gab ein einziges Restaurant in der Straße, einige Prostituierte, kaum Autos, nur die Büros der Jüdischen Gemeinde Ost-Berlins«, erinnert sich Simon.

Anfänge »Die Ruine kann man doch nicht abreißen, da muss etwas entstehen«, dachte der Historiker damals und versuchte, zusammen mit wenigen Mitstreitern, Verantwortliche dafür zu gewinnen. Vor allem der damalige DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière machte sich seinerzeit für das Projekt stark.

Bereits seit 1961 hatten sich Vertreter der Ost-Berliner Jüdischen Gemeinde, allen voran ihr späterer Vorsitzender Heinz Schenk, immer wieder an die staatlichen Stellen der DDR mit dem Wunsch gewandt, die Überreste der Synagoge als Erinnerung und Mahnung in Form eines Museums zu erhalten. Viele Jahre später, erst 1988, wurden die Vorschläge im Zusammenhang mit dem Gedenken an das Novemberpogrom von 1938 angenommen. 1988 folgte die Grundsteinlegung für die Stiftung »Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum«, 1995 die feierliche Eröffnung.

nachfolge Seitdem ist Hermann Simon Stiftungsdirektor. Zu den finanziellen Sorgen gesellt sich nun noch eine weitere Frage: Wer wird sein Nachfolger, wenn er im Sommer in Rente geht? »Die Nachfolge des Direktors der Stiftung Centrum Judaicum wird momentan geregelt«, heißt es dazu aus der Staatskanzlei. Sie werde ab dem 1. September 2015 übernommen. Der Senat werde sich »zu gegebenem Zeitpunkt dazu äußern«, heißt es bei der Pressestelle.

Pierre Lemarcs Reiseführer jedenfalls preist das Centrum Judaicum mit seiner goldenen Kuppel 20 Jahre nach seiner Gründung als »einen der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland heute« an.

Ob Berlins jüdische Vorzeigeinstitution an der Oranienburger Straße diesen Anspruch auch in den kommenden Jahren noch erfüllen kann, ist fraglich, solange der Umfang ihrer finanziellen Grundlage auf so wackligen Füßen steht.

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