Stadtleben

Weltmusik und Wodka

Ein Blick zum Mikrofon. Eine kurze Absprache mit dem Trompeter. Plötzlich, ohne zu zögern, durchdringt Ravid Kahalanis Stimme jeden Winkel von Deutschlands größter Synagoge. Für die Jüdischen Kulturtage in Berlin beginnt die Gruppe Yemen Blues ihr Konzert in der Synagoge Rykestraße.

Man sollte sich nicht von Kahalanis schmaler Physis täuschen lassen. Der klassisch ausgebildete Countertenor überzeugt durch seinen stimmgewaltigen Auftritt. Vom Englischen wechselt er bruchlos zu jemenitischen Gesängen, die ihrerseits in kunstvoll intonierte Gebete auf Ladino, der Sprache der sefardischen Juden, münden. Überhaupt scheint es ihm keine Mühe zu bereiten, Tonarten und Geschwindigkeiten zu wechseln und sich musikalisch zwischen Brust- und Kopfstimme zu bewegen. Doch ist er nicht der Einzige, der mit seiner einnehmenden Präsenz das Publikum beeindruckt.

Jedes Solo der anderen fünf Bandmitglieder ist eine brillante Darbietung: Musikverständnis und kunstvoller Umgang mit dem Instrument. Es scheint ihnen nichts auszumachen, dass sie erst am Morgen aus unterschiedlichen Städten in Berlin angekommen sind. Kahalani hat mit jedem einzelnen Musiker einen Ausnahmekünstler für die Band gefunden. Ein Großteil der Lieder stammt vom gleichnamigen Album, doch präsentieren sie auch ein paar neue Lieder beim Konzert.

Es ist das fesselnde Zusammenspiel der Gruppe, das auch von den Bänken aus deutlich spürbar ist – eingerahmt in eine spektakuläre Beleuchtung der Synagoge. Schade nur, dass die Sängerin Sister Fa, die als Gastmusikerin die Bühne betritt, in der Energie von Yemen Blues untergeht und ihre eigene Dynamik nicht findet.

Offene Türen 24 Stunden zuvor ist es noch etwas ruhiger in dem Saal. Es werden Führungen durch das Gebäude gegeben, die Hawdala-Zeremonie erklärt und der Toraschrein für Interessenten geöffnet. Insgesamt laden fünf Synagogen während des Schabbat-Ausgangs zu der Langen Nacht der Synagogen ein. »Hier wird ja sogar richtig Alkohol getrunken!«, merkt Sven Hoffmeister beim Kiddusch in der aschkenasisch-orthodoxen Synagoge in der Joachimstaler Straße mit Blick auf die Flasche Wodka an. Er wohnt bereits seit drei Jahren in Berlin und will seine Stadt besser kennenlernen: Während des Tages hat er den Tag der offenen Ministerien besucht, am Abend geht es in die Synagogen.

Mitten im überfüllten Kiddusch-Raum in der ersten Etage steht Rabbiner Yitshak Ehrenberg und besingt scheinbar glücklich das Ende des Ruhetages, während sich noch ein paar Besucher den menschenleeren Gebetsraum anschauen. Der Gesang des Rabbis ist im ganzen Haus zu hören, und so füllt es sich sogar vor den Türen des Saals. Als hätte Ehrenberg Hoffmeisters Anmerkung gehört, geht er auf sie ein: »Bei uns ist es eine Pflicht, Wein zu trinken. Wenn man Alkohol in Maßen mit der Familie, in Gesellschaft oder beim Essen trinkt, dann ist es sogar heilig.«

Respekt Natürlich folgt darauf eine der schönen rabbinischen Parabeln, die Ehrenberg zu jeder erdenklichen Lebenslage erzählen kann. Er schließt den Abend mit der Erklärung, dass das Judentum in all seinen Richtungen vor allem eines sei: ein bewusstes Leben, also Respekt gegenüber anderen Lebensweisen. Eine andere Lebensweise stellt der Chassidismus von Chabad Lubawitsch dar. Im Jüdischen Bildungszentrum wird ebenfalls die Hawdala und somit der Beginn der neuen Woche gefeiert. Etwa 30 Gäste sitzen in der Synagoge der Münsterschen Straße und schauen gespannt auf den Mann im schwarzen Anzug mit Bart und Hut.

Es ist Adam, ein Rabbinatsstudent, der bestimmt über Wein, Licht und Gewürze betet und sogleich damit beginnt, die Riten zu erklären. Inmitten des von Sergei Tchoban entworfenen Gebetsraumes könnte Adam auch irgendwo in Jerusalem einer Reisegruppe das Judentum erklären. Doch er ist in Deutschland und sieht es als seine Aufgabe an, nicht praktizierenden Juden wieder für die Religion zu sensibilisieren. Gleichwohl werde er mit dem Land und der Mentalität der Menschen hier nicht richtig warm.

»Man darf nicht immer dort bleiben, wo es gemütlich ist«, begründet er, »sondern muss sich bestimmten Aufgaben stellen.« Nebenbei erwähnt er noch, dass er eine deutsche Mutter hat. Die Gäste bleiben jedoch nicht beim Persönlichen und wollen wissen, wie das Verhältnis zwischen Chabad und dem Rest der jüdischen Gemeinde aussieht, was man erfüllen muss, damit man hier – bei Chabad – dazugehört, oder wie sich die Orthodoxie zum Staat Israel positioniert. Schwierige Fragen für einen Studenten. Adam bedient sich vieler Sinnbilder und bleibt zuweilen etwas schwammig in seinen Antworten. Dennoch entsteht ein interessanter Dialog, der weitaus länger geführt wird als ursprünglich geplant.

Shuk Ha’Carmel Während am Samstagnachmittag auf dem Kurfürstendamm am Al-Quds-Tag demonstriert wurde, bei dem regelmäßig die Rückeroberung Jerusalems gefordert wird, findet an diesem Sonntag in einer Querstraße des Ku’damms, der Fasanenstraße, der Shuk Ha’Carmel statt. Ein Straßenfest vor dem Gemeindehaus, das an den großen gleichnamigen Markt in Tel Aviv erinnern soll.

Das Wetter kommt dem in Tel Aviv sehr nahe, was für eine ruhige Geselligkeit unter den Besuchern am frühen Nachmittag sorgt. Schattenplätze sind nur selten frei, und so kommt es, dass auch die schattige Platte des Mahnmals am Gemeindeeingang mit Falafel essenden Menschen bevölkert ist. Ansonsten werden alle Erwartungen erfüllt: Es gibt ein paar traditionelle Tänze zu Klezmer-Musik, koscheres Essen, teure Falafel, eine Hüpfburg, eine Bühne für unterschiedliche Darbietungen und – dieses Jahr neu – einen Bubble-Tea-Stand.

Vier Stände neben den Cheeseburgern präsentiert sich Chabad, Adam erklärt den Unterschied zwischen säkularen und orthodoxen Juden. Er wirkt entspannter als am Abend zuvor. »Das war gestern gar nicht so leicht«, gesteht er, »denn ich musste ja aufpassen, dass ich mit meiner persönlichen Meinung nicht als offizielles Sprachrohr für Chabad wahrgenommen werde.« Plötzlich bricht die Musik der Hauptbühne ab. Karsten Troykes Gesang versiegt. Ein Stromausfall – ganz wie auf dem echten Shuk.

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