Geschichte

Täterorte Ost

Nach den »Täterorten West« präsentieren Historiker nun eine Schau zu den »Täterorten Ost«. Foto: Rolf Walter/xpress.berlin

Das Plakat ist nicht zu übersehen. »Ausgeblendet« steht in großen Buchstaben auf dem Papier. Der Zusatz »Zum Umgang mit NS-Täterorten in Ost-Berlin« in der Unterzeile weist auf das Thema der Ausstellung hin, die derzeit im Foyer des Neubaus Burgstraße 28 in Berlin-Mitte gezeigt wird. Dort ist der Bundesverband deutscher Banken ansässig.

Die Dokumentation widmet sich der Nachgeschichte von Orten der Planung von NS-Verbrechen. »Das Plakat hat mich neugierig gemacht«, sagt Margarethe Sommer, die auf dem Weg zur Museumsinsel war. Die pensionierte Lehrerin aus Köln schüttelt nach dem Besuch den Kopf und sagt, dass sie das alles gar nicht gewusst hat. »Das muss ich erst einmal verarbeiten«, sagt sie.

Bis 1943 hatte an dieser Adresse die »Staatspolizei-Leitstelle« ihren Sitz, die sowohl im Polizeipräsidium am Alexanderplatz als auch in der Burgstraße untergebracht war. Es war das »Judenreferat« der Gestapo, deren Mitarbeiter die Deportation von etwa 55.000 Berliner Juden organisierten. In dem Haus war zudem ein sogenanntes Schutzhaftgefängnis untergebracht – in den Kellern und Räumen des zweiten Hofes wurden Häftlinge gefoltert und ermordet. Häftlinge ritzten Namen und Botschaften in die Wände, die man beim Abriss 1949 fand.

PROZESS Von 1969 bis 1971 kam es in West-Berlin zu Verfahren gegen ehemalige Angehörige der Leitstelle. Es war der bis dahin längste und teuerste Prozess der Berliner Nachkriegsgeschichte. Und dennoch: In der breiten Öffentlichkeit, aber auch in der Forschung, galt die Burgstraße lange als ein »Schwarzes Loch«, sagt der Historiker und Kurator der Ausstellung Gerd Kühling.

1943 richteten Bombentreffer Schäden in den Räumen des »Judenreferats« an. Die Befehle zur Einweisung jüdischer Bürger in KZs kamen von hier – aus dem ersten und zweiten Stock. Schon der Name Burgstraße verbreitete Angst und Schrecken. Auch in den angrenzenden Nachbargebäuden arbeiteten mit der Deportation befasste Dienststellen der Ausländerpolizei, der Sicherheitspolizei und der Oberfinanzdirektion.

Während die meisten Berliner und viele Berlinbesucher wissen, wo sich die Zentrale der Gestapo und das Reichssicherheitshauptamt befanden und etliche Besucher die Gedenkstätte Topographie des Terrors in der Niederkirchnerstraße besichtigt haben, gerieten die Burgstraße und andere Adressen in den Hintergrund. Bis jetzt erinnert an das »Judenreferat« lediglich eine eher unscheinbare Gedenktafel mit wenigen Sätzen, die 2010 in Anwesenheit der damaligen Gemeindevorsitzenden Lala Süsskind eingeweiht wurde.

Das wollen die beiden Historiker und Kuratoren Gerd Kühling und Christoph Kreutzmüller vom Verein »Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin« und der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz ändern.

Das Haus steht noch, aber Hinweise auf das »Judenreferat« fehlen.

Nach den Täterorten in West-Berlin recherchierten sie daher auch zu denen in Ost-Berlin. Sie haben Wissenschaftler der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum wie Hermann Simon, Anja Siegemund und Chana Schütz dafür gewonnen, sich zu beteiligen. Als weitere Experten kamen Irene von Götz, Enrico Heitzer, Akim Jah, Annette Leo, Kaspar Nürnberg und Clemens Maier-Wolthausen hinzu. »Beide Stadthälften hatten gemeinsam, dass die Planungszentralen der NS-Verbrechen nach 1945 in der Öffentlichkeit schon bald keine Rolle mehr spielten. Während im Westen der 20. Juli 1944 im Fokus stand, lagen im Osten die Schwerpunkte bei ›kommunistischem Widerstand und Opfergang‹«, stellen die Historiker fest, die überwiegend ehrenamtlich arbeiteten.

STARTSCHUSS 2017 hatte das Aktive Museum bereits die Präsentation der Täterorte in West-Berlin in der Topographie des Terrors gezeigt. Die Historikerin und Buchautorin Annette Leo hielt damals bei der Eröffnung einen Vortrag über die NS-Täterorte im Osten. Sie hatte dabei auch darauf hingewiesen, dass die Gestapo-Leitstelle nach ihrer Zerstörung 1943 in die Französische Straße 47 zog.

Nach dem Krieg gab es ein Restaurant im Erdgeschoss, und die obere Etage nutzte das Ministerium für Staatssicherheit. Anfang 1990 zog die erste unabhängige Wochenzeitung nach dem Mauerfall, »Die Andere«, für die auch Annette Leo schrieb, in die Räume. »Das Haus steht noch, aber bis heute findet sich kein Hinweis auf seine Geschichte – Annette Leos Vortrag war der Startschuss«, sagt Gerd Kühling.

Im Osten der Stadt sind Polizei-Institutionen und Täterorte von zentraler Bedeutung.

Denn auch wenn die historischen Orte der Gestapozentrale und des Reichssicherheitshauptamtes im späteren West-Berlin liegen, so gibt es ebenso im Osten der Stadt Polizei-Institutionen und Täterorte von zentraler Bedeutung.

Die Historiker nahmen auch die Wilhelmstraße unter die Lupe, wo die zentralen Ministerien der Nazis vom Auswärtigen Amt bis zur Reichskanzlei eingezogen waren. »Von hier aus wurden die größten nationalsozialistischen Verbrechen gesteuert«, erläutert Kühling. Unter anderem befand sich hier das Reichsluftfahrtministerium, in das Hermann Göring unmittelbar nach den Novemberpogromen von 1938 Funktionäre aus Wirtschaft, Partei und Regierung einlud, um das weitere Vorgehen in der »Judenfrage« zu besprechen. In eben diesem Gebäude fand 1949 der Gründungsakt der DDR statt.

PANKOW Es werden auch Täterorte in Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Köpenick und Pankow aufgeführt. »Wir unternehmen in der Ausstellung einen kleinen Streifzug und schauen, wo Häuserlücken, Neubauten und Rasenflächen Nazi-Täterorte verbergen.« Und dann gibt es auch noch die Gebäude der Jüdischen Gemeinde rund um die Oranienburger Straße, die von den Nazis in Beschlag genommen wurden.

In das frühere jüdische Waisenhaus Pankow zog die »Zentrale Sichtvermerkstelle«.

Die Räume der zwangsweise aufgelösten jüdischen Institutionen nutzten die Nationalsozialisten als Dienststellen. So zog etwa die »Zentrale Sichtvermerkstelle«, die zwischen 1943 und 1946 Reisevisa aus und nach Deutschland ausstellte, in das frühere jüdische Waisenhaus Pankow. Nach dem Krieg wurde das Haus sang- und klanglos als Verwaltungs- und Botschaftsgebäude genutzt – ohne Hinweis auf die Vergangenheit.

Ähnliches geschah mit dem Gebäude des ehemaligen Jüdischen Museums in der Oranienburger Straße 31 – dort wurde während der Nazizeit ein Gefängnis der Geheimen Staatspolizei eingerichtet. In denselben Räumen waren bis 1991 Büros der Einzelhandelskette Konsum untergebracht.
Im Gestapo-Gefängnis waren später Konsum-Büros untergebracht.

Material Die Herausforderung der Ausstellung war, das Material zu finden. Deshalb zogen die Historiker nicht nur die üblichen Foto-Datenbanken heran, sondern durchforsteten etliche alte Zeitungen und durchkämmten die Archive. Auch erinnern sie an die Bemühungen des »Aktiven Museums Faschismus und Widerstand« bereits zur Wendezeit, historische Orte im Ostteil der Stadt wieder sichtbar zu machen. »Gerade in den ersten Jahren nach dem Mauerfall war nämlich durch Abrisse und Sanierungen, aber auch durch bewusste Zerstörung so manche Gedenktafel plötzlich verschwunden«, berichtet Kühling.

Das Grundstück Burgstraße 28 wurde erst in den 90er-Jahren wieder bebaut.

Das Grundstück Burgstraße 28 war dagegen lange Zeit eine Brache. In den 90er-Jahren entstand der Neubau, seit 1999 hat hier der Bankenverband seine Büros. »Wir ermöglichen diese Ausstellung in unserem Haus und unterstützen sie, weil wir die Erinnerung an diese schlimme Zeit wachhalten wollen«, sagt Oliver Santen vom Bankenverband. Transparenz sei dem Verband »sehr wichtig im Umgang mit der Geschichte an einem historischen Ort«.

Die Ausstellung ist noch bis zum 20. Februar in der Burgstraße 28 in Berlin-Mitte zu sehen.

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