Potsdam

»Sie können sich auf uns verlassen«

Der bewegendste Moment war wohl der, als Alexander Kogan Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine »Judenschatulle«, wie er sagte, übergab. »Vor 30 Jahren überreichte mir ein Mann diese Schachtel«, sagt Kogan, während er sie fest in seinen Händen hält. Dessen nichtjüdischer Vater hätte sie in der Pogromnacht aus der brennenden Potsdamer Synagoge herausgeholt und gerettet.

Obwohl es für ihn eine Gefahr gewesen sein muss, diese aufzuheben, hatte er die »Judenschatulle« bewahrt. »Er wollte sie nicht weitergeben, auch nicht für Geld verkaufen«, so Kogan weiter. Viele Jahre habe die Familie gewartet, bis sie mit Alexander Kogan als Gründer einer jüdischen Gemeinde der Richtige bekam.

Kogan war der Initiator der ersten Neugründung einer jüdischen Gemeinde in Deutschland – und diese befindet sich in Potsdam. »Die Esther-Rolle wird in der Schatulle aufbewahrt, denn diese Geschichte geschah lange nach dem Aufschreiben der Tora.« Sie erzählt von der mutigen Esther und der Rettung des jüdischen Volkes. An Purim wird dieser Tag mit einem fröhlichen Fest gefeiert.

Abraham Lehrer dürfte es mit zu verdanken sein, dass diese Synagoge überhaupt fertig gebaut wurde.

Auch Alexander Kogan hat auf einen passenden Moment gewartet, an dem er die Schachtel weitergeben kann. Und der war jetzt gekommen. »Ich möchte Ihnen die Schatulle überreichen mit der Bitte, dass Sie sie an uns, an unsere gemeinsame Synagoge weitergeben.« So hält die Schatulle aus den Händen des Bundeskanzlers Einzug in das Synagogenzentrum Potsdam.

Eine knappe Stunde zuvor kam Olaf Scholz zu Fuß zur Synagoge. Nur wenige hundert Meter liegen zwischen seiner Haustür und dem Eingang des kürzlich fertiggestellten Gebäudes. Personenschützer begleiten ihn. Am Eingangsportal wartet schon Abraham Lehrer, der Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Bei der Eröffnung Anfang Juli musste der Bundeskanzler wegen der Haushaltsberatungen kurzfristig absagen.

Die Besichtigung holte Scholz am Donnerstag vergangener Woche nach. Zum Auftakt der Sommerreise durch seinen Wahlkreis ist sie die erste Station. Lehrer begrüßte ihn herzlich, die zahlreichen Fotografen machten Bilder. Dann schritten die beiden Männer die Treppe hoch und betraten die Synagoge, um mit Vertretern der vier jüdischen Gemeinden Potsdams, die dem Nutzungskonzept der ZWST zugestimmt haben, zu sprechen.

Abraham Lehrer dürfte es mit zu verdanken sein, dass diese Synagoge überhaupt fertig gebaut wurde. Das Vorhaben war schwierig und von jahrelangem Streit unter den jüdischen Gemeinden begleitet, die unterschiedliche religiöse Strömungen vertreten und dementsprechend unterschiedliche Vorstellungen von dem Bau hatten. Erst als die ZWST als Mediator und zuverlässiger Partner einsprang, wurden die Gelder bereitgestellt, und der Grundstein konnte gelegt werden.

Mehr als 85 Jahre nach den NS-Pogromen haben Jüdinnen und Juden nun wieder ein religiöses und kulturelles Zentrum in der brandenburgischen Stadt. Potsdam war zuletzt die einzige Landeshauptstadt in Deutschland ohne eine Synagoge. Dort gab es bislang nur ein kleines jüdisches Gotteshaus in der Universität.

Beim Gespräch am Donnerstag vergangener Woche sitzen die Vorsitzenden der Gemeinden an einem Tisch, gemeinsam mit Vertretern der ZWST, dem Brandenburger Landesrabbiner Ariel Kirzon, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Brandenburgs, Matthias Platzeck, und Manja Schüle (beide SPD), Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur – aber ohne Presse. Nach dieser Besprechung gehen alle die Treppenstufen hinauf zur Dachterrasse der Synagoge, die einen Blick über die Dächer der Umgebung bietet.

Bundeskanzler Olaf Scholz tritt an die Brüstung und macht Abraham Lehrer und Manja Schüle auf besondere Bauten aufmerksam. Schließlich drehen sich die Ministerin und der Bundeskanzler um und wenden sich an die Journalisten. Es sei für ihn ein »berührender Moment«, dass nach der furchtbaren Geschichte während des Faschismus und Nationalsozialismus mit der Zerstörung jüdischen Lebens in Deutschland und ganz Europa jüdisches Leben wieder einen Platz findet und Orte dafür existierten, sagt Scholz. »Das ist ein Zeichen, das Hoffnung macht.«

Scholz möchte der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland den Rücken stärken. Die Juden und Jüdinnen könnten sich auf »uns verlassen«, sagt er. Aktuell gebe es wieder politische Bestrebungen, die sich gegen diese Religion richteten. »Jüdisches Leben wird sichtbar«, meint auch Manja Schüle. Sie freue sich, dass Anfang September Leben in das Synagogenzentrum einziehen wird. Es sei ein »toller Moment« für die Landeshauptstadt. Von der Dachterrasse geht es in die Synagoge, wo der Toraschrank geöffnet und die Schatulle übergeben wird. Dann steigen sie wieder hinunter, ganz hinunter in den Keller, wo der Bundeskanzler noch die Mikwe besichtigen möchte.

Die Synagoge soll ein Ort der Begegnung werden.

Die 17,5 Millionen Euro teure Synagoge wurde vor wenigen Wochen unter starkem Polizeischutz eingeweiht. Sie soll ab dem 1. September das religiöse Zentrum von vier jüdischen Gemeinden der Stadt werden und bietet nach Angaben des Trägers 199 Betern Platz. Es gibt eine Frauenempore, eine Mikwe, einen koscheren Fahrstuhl und mehrere Räume, die auch Platz für ein Café und Veranstaltungen bieten. Die Synagoge steht unter polizeilichem Schutz, ist mit einer Sicherheitsschleuse ausgestattet, die Fenster bestehen aus schusssicherem Glas.

Das Nutzungskonzept wird von der Jüdischen Gemeinde Stadt Potsdam, der Synagogengemeinde Potsdam, der Gemeinde Adass Israel und der Gemeinde Kehilat Israel mitgetragen. Das Synagogenzentrum Potsdam mit religiösen, sozialen und kulturellen Angeboten der vier Gemeinden soll eine Anlaufstelle für alle in Potsdam und Brandenburg lebenden Jüdinnen und Juden sein.

Auf der Straße warten Journalisten, um ein letztes Foto vom Kanzler-Besuch einzufangen. Kurz vor zehn Uhr geht Olaf Scholz die Treppe des Synagogenzentrum zu seiner schwarzen Limousine hinunter. Der Fahrer hat den Motor schon gestartet und wartet auf ihn.

Der Bundeskanzler winkt noch einmal allen zu, dann legt er sein Jackett ab und nimmt Platz auf der Rückbank. Für ihn geht es weiter zum nächsten Termin.

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