Osnabrück

Schöne neue Welt

Mit einem verschmitzten Augenzwinkern begleitet der Wiener Oberkantor Shmuel Barzilai seine schmissigen Lieder. Das Publikum folgt freudig seiner Aufforderung mitzuklatschen. Applaus und Rhythmus setzen den Schlusspunkt der Feier zu einem freudigen Ereignis für die Jüdische Gemeinde Osnabrück. Am 3. Februar konnte sie ihr neues Gemeindezentrum eröffnen.

Viel Prominenz war gekommen. Allen voran Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff und Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch, religiöse Würdenträger der christlichen Kirchen und Vertreter der Muslime, Landtags- und Bundestagsabgeordnete, amtierende und ehemalige Bürgermeister der Stadt Osnabrück, Kreis- und Landräte. Die zahlreichen Redner dieses Nachmittags hatten viel zu tun, sich gegenseitig zu begrüßen.

Freunde Dass sie alle gekommen waren und darüber hinaus auch noch 18 Rabbiner, Vorsitzende niedersächsischer und befreundeter jüdischer Gemeinden und Osnabrücker Mitglieder zeigt aber auch, wie viele Menschen an dem Werk »Neubau des Gemeindezentrums« mitgewirkt haben. Vor allem Gemeindevorsitzender Michael Grünberg weiß, was er ihnen schuldet. Sein: »Wir haben es geschafft« war nicht nur ein Aufatmen, in 14 Monaten sämtliche Wände niedergerissen und erweitert, neu und größer um den Kern der zur Hälfte stehen gebliebenen Synagoge wieder neu aufgebaut zu haben. Es war auch die Betonung des »Wir«. Zu dem Kollektiv gehörten eben auch der Zentralrat der Juden in Deutschland, die Landesregierung von Niedersachsen, die Kirchen, die vielen Freunde und Förderer.

Sie alle hatten mit angefasst im wahrsten Sinne des Wortes. Bei der Katholischen Kirche, im Haus ihrer Akademie in der Detmarstraße, war die Gemeinde während des Umbaus zu Gast und konnte ihr Gemeinschaftsleben fast ungehindert fortsetzen. Bischof Bode ist seit vielen Jahren ein Freund der Osnabrücker Juden. Das neu entstandene Gemeindezentrum vergleicht er mit einem Vogelnest und zitiert aus dem 84. Psalm. »Wohl denen, die in einem Haus wohnen«. Die jüdische Gemeinde habe ihr Nest gebaut. Der Tempel sei ein Ort der Geborgenheit, von dem ebenso Gastlichkeit und Freundlichkeit ausgehe. Der Gemeinde für eine Übergangszeit ein Heim anbieten zu dürfen, habe er als eine Ehre und Ausdruck von Wertschätzung und Vertrauen empfunden, sagte Bischof Bode in seiner zupackend wirkenden handfesten Art.

Ort der Demokratie »Wenn der Chef das in die Hand nimmt, dann klappt das auch«, hatte Michael Grünberg die Rolle von Ministerpräsident Christian Wulff bei dem Bauvorhaben beschrieben. Wulff verbindet eine Jugenderinnerung mit der alten Guttmann-Synagoge.

Als Junge, so erzählt Wulff, habe er an einer Demonstration teilgenommen. Die Wände der Synagoge waren mit antisemitischen Sprüchen beschmiert worden und Tausende Osnabrücker hatten sich in einem Demonstrationszug zum jüdischen Gotteshaus begeben, um ihre Solidarität zu bekunden. »Mich hat damals nur irritiert, dass man hinten herumgehen musste, um in das Haus hineinzukommen«, erzählt er von seinen ersten Eindrücken von vor fast 40 Jahren. Die Gemeinde habe ihn über diese Jahrzehnte hinweg nicht losgelassen. In dem kürzlich erschienenen Buch Orte der Demokratie habe er deswegen die Synagoge Osnabrück ausgewählt, um sie als einen solchen Ort zu beschreiben.

Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch zeigt sich auch eher als Freundin denn als jüdische Funktionsträgerin, als sie zu Michael Grünberg gewandt sagt: »Als ich Sie heute begrüßte, wusste ich welche Empfindungen Sie haben.« Sie kennt die Sorgen um einen Hausbau, schließlich hat sie mit der Ohel-Jakob-Synagoge im November 2006 selbst das Gemeindezentrum in München eröffnen können. Sie weiß aber auch, dass ein solches Unternehmen ohne Freunde nicht gelingt und wendet sich namentlich mit ihrem Dank an den Landesvorsitzenden Michael Fürst sowie an seine Vorstandskolleginnen Sara-Ruth Schumann aus Oldenburg und Renate Wagner-Redding aus Braunschweig, die mit Rat, Tat und Erfahrung mitgeholfen hatten.

Zufriedenheit Michael Grünberg, Gastgeber des Nachmittags aber fällt ein Stein vom Herzen. Sein Spruch, den er als 14-Jähriger formulierte, als er sich die Osnabrücker Synagoge mal so genauer betrachtet habe, sei durchaus in Erfüllung gegangen: »Der Laden ist nicht schlecht, aus dem kann man etwas machen.« Er hat etwas daraus gemacht. Die Basis dazu aber habe sein Vorgänger Ewald Aul gelegt. »Sie haben das Licht der Hoffnung nie erlöschen lassen«, bedankte sich Grünberg bei Aul.

Dass sich die Synagoge mit Leben und im jüdischen Sinne mit Geist erfüllen möge, das wünschte ihm Landesrabbiner Jonah Sievers von Herzen. Zwar sei heute die Eröffnung eines jüdischen Gemeindehauses nichts Singuläres mehr, ein Wunder bleibe es trotzdem. Nun müsse die Osnabrücker Gemeinde dafür sorgen, dass der Bau nicht nur wegen seiner wunderschönen Architektur, sondern auch wegen seiner jüdischen Spiritualität gerühmt werde.

Pflege Rabbiner Avichai Apel entrichtet einen Gruß von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands. Er ruft das Bild vom Neujahrsfest der Bäume in Erinnerung. »Der Samen ist in der Erde, jetzt muss er bewässert und gepflegt werden.« Gemeinderabbiner Shmuel Großberg empfindet diesen Tag als etwas ganz Großes und Einmaliges im Leben eines Rabbiners. Er bedankt sich für die katholische Gastfreundschaft und stellt eine Beziehung zum Wochenabschnitt Beschalach her. »Er erzählt davon, wie Gott das Volk durch das Rote Meer ziehen ließ, damit es aus dem Exil nach Hause zurückkehren kann. Wir kehren heute aus dem freiwilligen Exil nach Hause zurück.«

Architekt Alfred Jacobi bedankt sich für das Vertrauen, das die Gemeinde in ihn gesetzt habe, indem sie ihm den Auftrag zum Umbau gegeben hat. Er habe sich bemüht, es nach den strengsten Regeln der Benutzer zu bauen. Er hoffe, dass das Zentrum ein Haus der Gemeinschaft werde. Der Gemeinde wünscht er, dass sie vielleicht bald wieder einen Architekten brauche, der wie er den Bau seines Vorbildes Zvi Guttmann einreißen und wieder aufbauen müsse, weil er für sie zu klein geworden ist. Jacobi übergibt mit dem Generalschlüssel symbolisch das Gebäude an Michael Grünberg.

Zu klein ist das neue Gemeindezentrum schon am Tag seiner Eröffnung, zu klein, um alle 1.000 Gemeindemitglieder begrüßen zu können. Nur einige wenige sind zum Festakt geladen. Alle anderen wurden zum Schabbat-Gottesdienst erwartet.

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