Repräsentanz

Parteien zur Wahl

Die Qual der Wahl: Am kommenden Sonntag werden die Mitglieder der Berliner Gemeinde zu den Urnen gerufen. Foto: Fotolia, (M) Frank Albinus

Am 4. Dezember sind die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zu Berlin zur Wahl aufgerufen. Um die Mehrheit in der Repräsentantenversammlung bewerben sich neben sieben Einzelkandidaten auch vier Bündnisse: Hatikwa (u. a. Heinz Seefeld, Josef Latte, Petr Feldman), Koach! (u. a. Assia Gorban, Gideon Joffe, Carola Melchert-Arlt), Schalom – Bündnis der Vernunft (u. a. Michael Joachim. Sergey Lagodinsky, Tuvia Schlesinger), Verantwortung Jetzt (u. a. Mirjam Marcus, Micha Guttmann, Grigori Kristal). Christine Schmitt hat sie befragt.

Was sind die Probleme, denen sich die jüdischen Gemeinde zu Berlin in den kommenden Jahren stellen muss – und wie wollen Sie die bewältigen?
Hatikwa: Das finanzpolitische Desaster muss beseitigt werden. Die Mitglieder müssen wieder als Menschen behandelt werden. Man muss den ehemaligen Angestellten ihre Renten wiedergeben und den heutigen Angestellten die Möglichkeit, Zusatzrenten zu erhalten. Wir werden Steuergerechtigkeit herstellen.
Koach!: Ausbau des Kindergartens, der Grundschule und des Gymnasiums, eine Schulform für Kinder, die kein Abitur anstreben, entwickeln, die Renovierung des Pflegeheims und eine neue Versorgungsordnung für die Mitarbeiter der Gemeinde schaffen.
Schalom – Bündnis der Vernunft: Die Stabilisierung und Besserung der Finanzlage wird unsere Priorität Nummer eins sein. Das strukturelle Defizit der Gemeinde müssen wir reduzieren und zugleich mit einer klugen Verhandlungsstrategie gegenüber Bund und Land weitgehende staatliche Unterstützung sichern. Weitere Schwerpunkte sind: jüdische Bildung und Erziehung, die Integration und das öffentliche Profil der Gemeinde schärfen.
Verantwortung Jetzt!: Angesichts der jüngsten Erkenntnisse über rechtsradikale Gewalttaten muss die Gemeinde die Entwicklungen von Antisemitismus, Antizionis-
mus, Fremdenhass und muslimischem Fundamentalismus intensiv beobachten und angemessen reagieren. Durch politische Verhandlungen »auf Augenhöhe« muss die existenzbedrohende Gefahr des Finanzdefizits der Gemeinde gelöst werden, ohne dass sie ihre souveräne Handlungsfähigkeit verliert.

Was zeichnet Ihre Gruppierung und Ihr Programm aus?
Hatikwa: Unsere Gruppe ist eine gute Mischung aus ehemaligen und noch aktiven Repräsentanten. Unser Programm wird dadurch ausgezeichnet, dass eine jüdische Gemeinschaft angestrebt wird, die eine Heimat sein soll und zwar für alle Altersgruppen und unter Achtung der Würde aller Mitglieder.
Koach: Unsere Gruppe ist geprägt von Kompetenz, Ehrlichkeit, Motivation und Menschlichkeit. Dass dies keine Schlagworte sind, beweist unser Programm mit konkreten Zielen.
Schalom: Unsere Gruppe besteht aus zwölf Personen, jede von ihnen bringt schon jetzt Erfahrung aus den Bereichen jüdisches Gemeindeleben, Politik oder Verwaltung mit. Unser Programm zeichnet sich durch Pragmatismus und Klarheit der Ziele unserer Arbeit aus. Wir versprechen nichts, was wir nicht einhalten können. Unsere Grundhaltung ist durch Jüdischkeit geprägt und verfolgt keine individuellen Interessen, sondern die der Gesamtheit unserer Gemeindemitglieder.
Verantwortung: Alle unsere Kandidaten und Kandidatinnen haben mehrjährige Erfahrungen in Gemeinde- und Verbandsarbeit. Sämtliche bisherigen Vorstandsmitglieder, die erneut zur Wahl antreten, gehören »Verantwortung Jetzt« an. Wir sind in Berlin mit Entscheidungsträgern aus Senat und Verwaltung gut vernetzt und können somit die bisherige erfolgreiche Vorstandarbeit fortsetzen.

Wer soll die Gemeinde als Vorsitzender/Vorsitzende führen?
Hatikwa: Wir sehen zurzeit keinen geeigneten Kandidaten für den Vorsitzenden. Wir sind grundsätzlich bereit, mit jedem sachlich zu argumentieren. Wir versichern, dass, wenn wir alle unsere Kandidaten in die Repräsentantenversammlung bekommen werden, wir mehrere Kandidaten haben, die als Vorsitzende geeignet sind.
Koach: Koach! zeichnet sich auch dadurch aus, dass von Anfang an Einigkeit bestand bezüglich der Frage der Spitzenkandidatur. Der ehemalige Vorsitzende, Gideon Joffe, ist Koach!-Spitzenkandidat. Joffe hat unter anderem ein neues Pflegeheim und die erste sefardische Synagoge eröffnet, hat die Zertifizierung unseres Kindergartens eingeleitet, und vor allem war ein ordentlicher Umgang mit Finanzen an der Tagesordnung.
Schalom: Wir haben mehrere besonders starke Kandidaten unter uns. Vorrangig wird das aber Sergey Lagodinsky sein. Er verfügt nicht nur über die intellektuellen und rhetorischen Fähigkeiten, sondern hat durch seine juristischen Grundkenntnisse und politischen Verbindungen über Berlin hinaus das Potenzial, die Gemeinde zuverlässig zu führen.
Verantwortung: Mirjam Marcus, die bisherige stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. Sie hat in der bisherigen Vorstandsarbeit gezeigt, dass sie in ihrer Arbeit Wissen, Effizienz, Engagement und Leidenschaft erfolgreich vereinigt. Sie kann sich obendrein mit den Spitzenvertretern unseres Bündnisses auf ein Kompetenzteam stützen. Sie wird ihre Tätigkeit als Vorsitzende ehrenamtlich ausführen.

Was würden Sie anders machen im Vergleich zur bisherigen Arbeit des Vorstandes?
Hatikwa: Alles.
Koach: Bilanzen mit korrekten Zahlen verabschieden, transparente und faire Ausschreibungen durchführen, um Mitglieder kämpfen, statt sie abzuschrecken, und vor allem eine wertschätzende Atmosphäre für die Mitarbeiter etablieren.
Schalom: Wir wollen künftig viel deutlicher die Kommunikation innerhalb des Vorstandes und darüber hinaus mit der Verwaltung beziehungsweise den Mitarbeitern betreiben. Die einzelnen Dezernenten werden stärker in die Einzelverantwortung genommen und müssen dezernats-
überschreitend kooperieren. Das Delegieren von bestimmten Arbeitsbereichen wird den Vorsitzenden entlasten und somit Freiräume für mehr politisches Gestalten schaffen.
Verantwortung: Wir bringen Kontinuität in die Vorstandsarbeit und werden auf Basis der bisherigen erfolgreichen Arbeit weitere Schwerpunkte bei der Einbindung der Mitglieder in Richtungsentscheidungen, in der politischen Arbeit und im Engagement der Gemeinde als starke »Institution« in Berlin setzen.

Wie stehen Sie zum Prinzip der Einheitsgemeinde?
Hatikwa: Die Jüdische Gemeinde muss nach dem Prinzip der Einheitsgemeinde weitergeführt werden. Sie muss alle Strömungen des Judentums unterstützen und ihnen helfen, auch wenn einzelne Vorstandsmitglieder gegen die eine oder andere Strömung sind, denn es geht um die Gemeinschafft der Juden.
Koach: Gerade Koach! spiegelt die Vielfalt unserer Einheitsgemeinde wider, unter deren Dach glücklicherweise noch viel Platz ist, um weitere Synagogen oder jüdische Organisationen darin aufzunehmen.
Schalom: Die Einheitsgemeinde ist und bleibt das Prinzip unserer jüdischen Gemeinschaft in Berlin. Dazu gehört die absolute Gleichberechtigung aller religiösen Strömungen unserer jüdischen Mitglieder, der Synagogen und der Rabbiner oder Rabbinerinnen.
Verantwortung: Für uns ist die Einheitsgemeinde die zentrale Säule jüdischen Lebens in Berlin. Wir wollen, dass die Synagogen stärker eigenverantwortlich agieren können. Und wir wollen mit allen jüdischen Organisationen zusammenarbeiten, die die Vielfalt jüdischen Lebens in Berlin repräsentieren.

Wie stellen Sie sich die Gemeinde in zehn Jahren vor?
Hatikwa: Als einen Treffpunkt von 100.000 gläubigen Mitgliedern aus Tausenden Nationen unter dem Dach der Einheitsgemeinde, wo man sich trifft und glücklich ist, dass man sich dort wohlfühlt, wo einstmals der Holocaust gewütet hat.
Koach: Die Austrittswelle wird beendet sein, und hoffentlich wird bis dahin schon ein neues Gemeindezentrum für unsere dann wieder wachsende Gemeinde, ähnlich dem in München oder London, existieren.
Schalom: Die Jüdische Gemeinde im Jahre 2021 wird eine finanziell gesündere Institution sein, die durch deutsche, russische, israelische und sonstige Juden aus dem Ausland geprägt ist. Wir hoffen auf eine sichere und friedliche Zukunft und werden als neuer Vorstand aktiv daran arbeiten, eine solche Zukunft möglich zu machen.
Verantwortung: Berlin hat eine sich stark entwickelnde jüdische Gemeinschaft im Herzen Europas. »Verantwortung Jetzt« wird alles dafür tun, dass die Jüdische Gemeinde zu Berlin in zehn Jahren ein Beispiel für vielfältiges und lebendiges Judentum ist – im Sinne unseres Wahlspruchs: »Jüdisch – mit Herz und Verstand«.

Fakten zur Wahl
Die Jüdische Gemeinde hat 10.500 Mitglieder, 80 Prozent davon stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Wahlberechtigt sind 9.300, die in einer Personenwahl über die 21 Personen entscheiden, die die neue 17. Repräsentantenversammlung bilden. 62 Kandidaten treten an, die Mehrheit ist in vier Bündnissen zusammengeschlossen. Die Positionen der sieben Einzelkandidaten sind in der Jüdischen Allgemeinen vom
24. November vorgestellt worden.

Sachsen

Zahlreiche Spenden für Rettung von Synagogen-Relikt

Baumaßnahmen für die Sicherung des Mauerrests sollen im kommenden Frühjahr beginnen

 09.07.2024

Potsdam

Neues Synagogenzentrum vor Einweihung

Zu dem Festakt wird auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwartet

 04.06.2024

Berlin

Mehrere Hundert Menschen bei bunter Lag-BaOmer-Parade

Rabbiner Yehuda Teichtal: Starkes Zeichen für fried- und respektvolles Miteinander

 27.05.2024

Boris Schulman

Dieses Jahr ist Jom Haschoa anders

Zum Tag des Gedenkens an die Schoah reflektiert unser Autor die Bedeutung des Heimatbegriffs in Bezug auf Deutschland und Israel

von Boris Schulman  07.05.2024

Oldenburg

Brandanschlag auf Synagoge: Erste Hinweise auf Tatverdächtigen

Für Hinweise, die zur Tataufklärung führen, ist eine Belohnung in Höhe von 5000 Euro ausgesetzt

 06.05.2024

Berlin

Zeichen der Solidarität

Jüdische Gemeinde zu Berlin ist Gastgeber für eine Gruppe israelischer Kinder

 15.04.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 07.04.2024

Hannover

Tränen des Glücks

Auf der Damentoilette gibt es eine Schminkorgie, während Backstage auch mal die Gefühle durchgehen. Aber »je näher der Abend, desto geringer die Aufregung«

von Sophie Albers Ben Chamo  31.03.2024

Hannover

»Alle sollen uns hören und sehen!«

Tag zwei der Jewrovision beweist, dass immer noch mehr Energie möglich ist. Nach Workshops und Super-Hawdala geht es zur Kirmes und auf die Zielgerade zur Generalprobe am Sonntagvormittag

von Sophie Albers Ben Chamo  30.03.2024