Berlin

Pädagoge und Wellenreiter

Aaron Eckstaedt ist neuer Leiter des Jüdischen Gymnasiums Moses Mendelssohn

von Christine Schmitt  11.11.2014 08:47 Uhr

Aus der »Diaspora Hamburgs« nach Berlin: Aaron Eckstaedt Foto: Stephan Pramme

Aaron Eckstaedt ist neuer Leiter des Jüdischen Gymnasiums Moses Mendelssohn

von Christine Schmitt  11.11.2014 08:47 Uhr

Ein passendes Zitat eines Philosophen dürfte er in jeder Lebenslage parat haben, denn Aaron Eckstaedt mag es, deren Weisheiten sozusagen aus dem Ärmel zu schütteln. Kein Wunder, der neue Schulleiter des Jüdischen Gymnasiums Moses Mendelssohn liebt die Philosophie. Seine privaten Bücher sind derzeit in 80 Umzugskisten verstaut und warten darauf, in die 104 Meter langen Regale eingeräumt zu werden.

Zum dritten Mal ist der Lehrer und Wissenschaftler innerhalb eines Jahres umgezogen. In dieser Charlottenburger Wohnung will er nun bleiben. Im Februar kam er aus der »Diaspora Hamburgs«, wie er schmunzelnd sagt, nach Berlin, um an einem Oberstufenzentrum zu unterrichten.

Ziel Seit diesem Schuljahr, das Ende August anfing, ist er nun da, wo er immer hinwollte: am Jüdischen Gymnasium. Schon mehrmals hatte er gehofft, dort unterrichten zu können, wollte bereits sein Referendariat an der Großen Hamburger Straße absolvieren – was aber aus formalen Gründen nicht ging. Doch er hat schon häufiger dort hospitiert und kennt die Schule auch von Limmud-Veranstaltungen.

Es gebe immer viel zu tun, und es sei nie langweilig, hat seine Vorgängerin Barbara Witting ihm bei der Übergabe mit auf den Weg gegeben. Nun kommt der 46-Jährige jeden Tag mit seinem Fahrrad angefahren und sitzt in ihrem ehemaligen Büro, das noch genauso aussieht wie zuvor. »Ich hatte bisher gar keine Zeit, neue Bilder aufzuhängen oder etwas umzuräumen«, sagt Eckstaedt. Er habe noch zu viel Organisatorisches um die Ohren: In diesen Tagen gehen die blauen Briefe raus, es stehen Zwischenzeugnisse an, die Halbjahresplanung muss endgültig festgelegt werden, und er möchte die 425 Schüler und deren Eltern richtig kennenlernen.

Sein erster Eindruck von der Schule ist positiv. Die baulichen Mängel – die vor einem Jahr kritisiert wurden – seien derzeit kein großes Thema, die Schüler seien freundlich, die Lehrer ebenfalls und die Atmosphäre familiär. Kurz: Die Schule stehe sehr gut da, so Eckstaedt. Dennoch möchte er trotz aller Kontinuität einiges auf den Weg bringen. Beispielsweise die Schüler noch mehr motivieren, selbstständiger zu lernen und neugierig zu sein.

System »Wir sind hier von morgens bis nachmittags, da muss die Zeit gut genutzt werden«, sagt der Pädagoge. Es sei nicht mehr so wie zu seiner Schulzeit, in der um 13.30 Uhr Schluss war und er stundenlang Akkordeon spielen konnte. Vor 21 Uhr habe er nie Hausaufgaben gemacht, erinnert sich Eckstaedt. Das aber sei heute nicht mehr möglich – und nun müsse ein System gefunden werden, das funktioniert.

Schule ist für den neuen Direktor auch Heimat, Wohn- und Lebensraum, betont Eckstaedt. »Ich fühle mich hier sehr zu Hause. Wir sind ein jüdisches, familiäres, normales Gymnasium, in dem auch Hebräisch und Religion unterrichtet wird.« Auf fünf Pfeiler – Religion, Israel, Kultur, Sprachen und Erinnerung – möchte er das Schulprofil gestellt wissen. Vor allem jüdische Identität werde durch Bildung und Kunst befördert. Das jüdische Profil soll mehr gestärkt werden – ohne die nichtjüdischen Schüler auf diesem Weg zu verlieren.

In den nächsten Monaten sollen Arbeitsgruppen aktiv werden und ein Schulentwicklungskonzept ausarbeiten. »Aber mit dem müssen alle einverstanden sein, ich möchte nicht gegen den Willen der Kollegen agieren.« Auch für diese Umsicht bekommt der neue Schulleiter großes Lob – etwa von Gesamtelternvertreter Jan Mönikes. Eckstaedt bringt viele Erfahrungen aus einem anderen Bundesland mit, setzt neue Impulse und möchte mehr Freude am Lernen vermitteln, befindet Mönikes.

biografie 46 Jahre ist Aaron Eckstaedt erst alt – seine Vita indes ist lang. Er ist Musiker, Schauspieler, Musikwissenschaftler, Forscher und Pädagoge. In Moers am Niederrhein wurde er geboren, studierte neben Musik auch Pädagogik und Literatur im Ruhrgebiet sowie an der Hebräischen Universität Jerusalem. Er hat Akkordeon studiert und später an der Folkwang-Schule in Essen unterrichtet; er hat sich mit der jiddischen Sprache so intensiv beschäftigt, dass er in seinen Konzerten ausschließlich Jiddisch sprach.

Als Musikwissenschaftler und -pädagoge forschte und lehrte er an verschiedenen Universitäten und publizierte Schriften zur Musikpädagogik sowie zu jüdischer Musik. Die Forschung allerdings war langfristig nicht nach seinem Geschmack, weshalb ihn irgendwann der Lehrerberuf lockte. Seine eigene Oberstufenschulzeit hatte er als besonders gut in Erinnerung. Deshalb absolvierte er sein Referendariat an einem Steglitzer Gymnasium und unterrichtete anschließend in Hamburg an Gymnasien und Sekundarschulen, übernahm Leitungsfunktionen sowie Aufgaben in der Lehreraus- und -fortbildung.

Derzeit ist für ihn die Schule Beruf und Hobby zugleich. Wo in dem Umzugschaos sich gerade sein Akkordeon befindet, weiß Aaron Eckstaedt zwar, aber das ist im Moment »arbeitslos«, wie er schmunzelnd sagt. Doch er hat auch gelernt, dass er Erholung braucht. Im Sommer ist er mit seiner Lebensgefährtin häufiger an der Ostsee, um zu surfen. Sogar in der Bundesliga ist er als Windsurfer dabei.

Aaron Eckstaedt macht sich auch gern mal spontan auf den Weg. Deshalb hat er sich einen Campingbus gekauft, mit dem er einfach losfahren kann, um etwas Neues zu entdecken. Selbstständig und neugierig.

Frankfurt/Main

»Mein Herz blutet«

In Israel herrsche »Balagan«, Chaos, sagt Chaim Sharvit. Er steht hier denen zur Seite, die zum ersten Jahrestag des 7. Oktober dunkle Gedanken haben. Ein Besuch in Deutschlands größtem jüdischen Altenheim in Frankfurt

von Leticia Witte  14.10.2024

Gedenkveranstaltung

Steinmeier: Wer überlebt hat, trägt schwer an der Last

Fünf Jahre nach dem rechtsextremen Anschlag besucht Bundespräsident Steinmeier die Tatorte.

 09.10.2024

Frankfurt

Graumann und Grünbaum zur Doppelspitze in der Frankfurter Gemeinde gewählt

Den Vorstand vervollständigen Rachel Heuberger, Daniel Korn und Boris Milgram

von Christine Schmitt  09.10.2024

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

IKG

»Ein großer Zusammenhalt«

Yeshaya Brysgal zieht nach einem Jahr als Jugendleiter eine positive Bilanz und plant für die Zukunft

von Leo Grudenberg  04.09.2024

Keren Hayesod

»Das wärmt mir das Herz«

Der Gesandte Rafi Heumann über seinen Abschied von Berlin, deutsche Spielplätze und treue Spender

von Christine Schmitt  04.09.2024

Porträt der Woche

Sinn ernten

Caro Laila Nissen half nach dem 7. Oktober Bauern in Kibbuzim nahe Gaza

von Lorenz Hartwig  01.09.2024

Frankfurt

Dinner mit den »Zweiflers«

Die Jüdischen Filmtage überzeugen durch ein breites Spektrum an Angeboten

von Johanna Weiß  30.08.2024