Reportage

Neues Haus in der Altstadt

Der 27. Februar 2019 ist ein historischer Tag für die Jüdische Gemeinde Regensburg und für die Stadt. Die Feier der Synagogeneröffnung beginnt im Innenhof. Gemeindemitglieder und Rabbiner tanzen zu Klezmerklängen mit den drei Torarollen unter der Chuppa. Danach führt der Regensburger Rabbiner Josef Chaim Bloch den kleinen Festzug an. Die Torarollen werden vom Altbau zur neuen Synagoge gebracht und dann in den Aron Hakodesch eingehoben. Die Synagoge befindet sich im Obergeschoss des Neubaus über dem Gemeindesaal.

»Der Blick geht hier sofort hinauf«, sagt Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Durch die Kuppel fällt das Tageslicht von oben in den Raum und lässt den Blick hinaufschweifen. »Für ein Gotteshaus ist das ausnehmend gut.« Josef Schuster, der aus Würzburg stammt und das Areal der Jüdischen Gemeinde in Regensburg schon lange kennt, ist überrascht, wie es den Architekten gelungen ist, auf dem kleinen Platz ein so großes Raumprogramm unterzubringen. Er zeigt sich sehr angetan von dem Neubau, der sich wunderbar in die Altstadt einfüge, aber eben auch einen eigenen architektonischen Akzent setze, wie Schuster sagt.

Der Platz der Synagoge
war 1942 Sammelort
für die Deportation.

Es riecht noch nach Neubau, alles ist blitzblank. Erst um sechs Uhr morgens haben die letzten Handwerker das Gebäude verlassen. Der Berliner Architekt Volker Staab, der mit seinem Team den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen hatte, sieht das fertige Werk am Tag der Eröffnung zum ersten Mal. Er schaut sich gespannt im Synagogenraum um und lächelt. »Es ist natürlich immer so, dass man sich Vorstellungen macht, wie das zu sein hat, es ist dann aber meistens einen Tick anders, aber es ist beinahe noch besser, als ich es mir vorgestellt habe.«

kuppel Wegen des Platzmangels auf dem Areal der Gemeinde in der Altstadt von Regensburg, die als Weltkulturerbe geschützt ist, hat er die Gebäudeteile übereinandergelegt. Das ermöglicht, dass das Licht von oben in das Gotteshaus fällt. Neben der Kuppel prägt vor allem das helle Holz der amerikanischen Hemlocktanne den Raum. Die Wände sind mit Holzlamellen verkleidet, auch die Bänke sind aus diesem Material. Es galt, die Balance zu finden zwischen einem Raum, der eine feierliche Introvertiertheit besitzt, aber gleichzeitig auch so lichtdurchflutet, freundlich und warm wirkt, dass er Geborgenheit ausstrahlt, erklärt Volker Staab.

Für den Freistaat Bayern nahm Kultusminister Michael Piazolo an der Eröffnung teil. »Es ist ein Freudentag«, sagt Piazolo. »Es passiert nicht so oft, dass man eine Synagoge einweiht, und gerade in der heutigen Zeit ist das ein Zeichen über Regensburg hinaus, für ganz Bayern, auch in Deutschland, dass jüdisches Leben blüht.« Aufkommendem Antisemitismus gelte es schon in den Schulen entgegenzutreten, betont er. Ein Weg, der in Bayern beschritten wird, ist, Schüler zu Wertebotschaftern auszubilden, die an den Schulen darauf achten, was gesagt und getan wird, und gegebenenfalls einschreiten.

Auch Ludwig Spaenle, der Antisemitismusbeauftragte des Freistaats Bayern, fordert eine Kultur des Hinschauens.

Auch Ludwig Spaenle, der Antisemitismusbeauftragte des Freistaats Bayern, fordert eine Kultur des Hinschauens. Es gelte, deutlich zu machen, dass es um die Bedrohung der Menschenwürde im Alltag geht, wenn jemand antisemitisch angepöbelt wird. Da heißt es, Stellung zu beziehen und Zivilcourage zu zeigen, fordert Spaenle.

Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) betonte die symbolische Bedeutung des Neubaus, »weil nach allem, was unter den Nationalsozialisten passiert ist, jetzt unsere jüdischen Mitbürger wieder sichtbar in der Mitte der Gesellschaft sind«.

Sanierung Die Sanierung des Altbaus und der Neubau kosten insgesamt gut neun Millionen Euro. Bund, Freistaat und Stadt unterstützen das Projekt, aus der Regensburger Bürgerschaft kamen Spenden in Höhe von knapp einer Million Euro. Ilse Danziger, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, hat jetzt dennoch die Aufgabe, eine Finanzierungslücke von 1,5 Millionen zu schließen. Josef Schuster beruhigt sie. In Würzburg sei die Situation beim Neubau der Gemeinde ähnlich gewesen und habe sich dann doch entspannt.

Der Neubau am Brixener Hof war auch der Anlass, die Entwicklung der Gemeinde in einem Sammelband mit dem Titel Jüdische Lebenswelten in Regensburg – eine gebrochene Geschichte darzustellen, in dem die Autoren den Bogen von der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 981 über die Zerstörung des jüdischen Viertels 1519 und die Vernichtung der jüdischen Gemeinde während des Nationalsozialismus bis zum Neubau der Synagoge nachzeichnen. Die jüdische Gemeinde von Regensburg ist schließlich eine der ältesten in Deutschland, sicher die älteste in Bayern.

»Wer baut, der will bleiben«, sagt Josef Schuster in seiner Rede.

»Wer baut, der will bleiben«, sagt Josef Schuster in seiner Rede. Er sieht in dem Neubau auch ein Signal über Regensburg hinaus. 2021 wird Deutschland 1700 Jahre jüdisches Leben feiern. Der Bezugspunkt ist Köln, aber auch nach Regensburg kamen die ersten Juden möglicherweise schon mit den Römern.

Der Zentralratspräsident erinnert an diesem Freudentag aber auch an die schmerzliche Vergangenheit. Er spricht die »Fabrikaktion« vor 76 Jahren in Berlin an, bei der die Nazis am 27. Februar 1943 die letzten rund 8000 Juden aus Berlin an ihren Arbeitsplätzen und in ihren Wohnungen verhafteten und in die Vernichtungslager deportierten. Auch aus Regensburg kamen rund 250 Juden während der Schoa ums Leben. Bei der Deportation im April 1942 mussten sich die Juden, die nach Piaski bei Lublin deportiert und im Vernichtungslager Belzec ermordet wurden, hier am Brixener Hof am damals leergeräumten Platz der 1938 niedergerissenen Synagoge versammeln.

Bauzeit »Ich kann es in Worten gar nicht ausdrücken, mein Herz quillt über, das erlebt man einmal im Leben, ein wunderschöner Tag«, sagt Rabbiner Josef Chaim Bloch nach der Eröffnungszeremonie im sonnigen Innenhof der Gemeinde. Nach drei Jahren Bauzeit ist es geschafft, freut sich Ilse Danziger, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, über den Tag.

Der Gemeindesaal und der Innenhof sind nach der Eröffnungsfeier voll. »So wünschen wir uns das öfter«, sagt Ilse Danziger. »Das ist genau das, was wir nicht mehr machen konnten, weil alles zu klein war, weil wir keinen Platz mehr hatten. Wir können uns jetzt wirklich auf unser zukünftiges Gemeindeleben freuen!«

80 Jahre, nachdem die Nazis in der Pogromnacht die alte Synagoge niedergerissen haben, hat die Gemeinde wieder ein Gotteshaus.

80 Jahre, nachdem die Nazis in der Pogromnacht am 9. November 1938 die alte Synagoge angezündet und dann niedergerissen haben, hat die Gemeinde wieder ein Gotteshaus. Für Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer ein »wichtiges Ereignis«.

Wiederaufbau Es waren Überlebende der Schoa, die nach der Befreiung die Gemeinde wiederaufgebaut haben, wie die Eltern von Uscher Lubelski, der seit vielen Jahren in München lebt. Er ist in Regensburg aufgewachsen und natürlich zur Eröffnung des neuen Gemeindezentrums gekommen, genauso wie Chaim Citronenbaum, der ebenfalls in München lebt.

Gerne stellen sie sich für ein Erinnerungsfoto zu Rabbiner Josef Chaim Bloch. Uscher Lubelski erinnert sich gut an den alten Gebetsraum, den es auch weiterhin geben wird. Hier hat er seine Barmizwa gefeiert.

Der Gebetsraum befindet sich im Altbau der Gemeinde, der 1938 nicht angezündet worden ist, weil er direkt an andere Häuser grenzt. Uscher Lubelski beginnt zu erzählen. »Wir hatten eine tolle Zeit!«, sagt er. In Regensburg ist er mit einer Clique jüdischer Jugendlicher aufgewachsen. Sie sind abends zusammen ausgegangen und hatten viel Spaß. Er hat auch in einer Band gespielt. »Das war die Zeit von Jimi Hendrix mit ›Hey Joe‹«. Manche Lokale, in denen er aufgetreten ist, wie das »Pataschu«, gibt es längst nicht mehr – Regensburger Nachkriegsgeschichte.

Exil Aus der Schweiz ist Felix Wolgelernter angereist, der als Kind die Schoa in Polen versteckt mit seiner Mutter überlebt hat. Seine Mutter hat nach der Befreiung in Regensburg geheiratet, er selbst ist in der Schweiz aufgewachsen und kam immer in den Ferien in die Stadt an der Donau. Der Vierte im Bunde ist David Danziger, der in Regensburg geblieben ist. Vor allem für seine Mutter Genia Danziger, eine Überlebende des Holocaust, ist die Eröffnung ein großer Tag. Die zarte alte Dame lächelt glücklich und sagt nur: »Es passt alles! Ein schöner Tag!«

Für Natascha Tonner
soll die Synagoge ein
zweites Zuhause werden.

Seit dem Zuzug aus den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion zählt die Gemeinde rund 1000 Mitglieder. »Überwältigend«, ist der kurze Kommentar von Elena Semmler. »Es war sehr emotional«, sagt Irina Gaydar. Beide stammen aus der Ukraine, haben Töchter im gleichen Alter und hoffen, dass ihre Kinder hier eine Zukunft haben. Es kommen aber immer noch neue Mitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion, nicht viele, aber doch einige. Erst seit einem Jahr in Regensburg ist Natascha Tonner. Sie ist 23 Jahre alt und stammt aus der Ukraine.

Tonner ist ohne ihre Eltern nach Deutschland gekommen und will sich in Regensburg eine Zukunft aufbauen. Sie hat in der Ukraine bereits Jura studiert, hat im vergangenen Jahr Deutsch gelernt und will hier noch ein Studium anhängen. Zu Hause in der Ukraine wissen aber ihre Freunde nicht einmal, dass sie Jüdin ist. Sie hat es nicht gesagt, aus Angst vor Antisemitismus. Die Jüdische Gemeinde in Regensburg ist jetzt ihr »zweites Zuhause«.

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