Am Ende ist die Gemeindevorsitzende Lala Süsskind fassungslos. »So gering war das Interesse noch nie. Und es wurde keine einzige Frage zum Kultus gestellt«, sagt sie kopfschüttelnd zu Rabbiner Tuvia Ben-Chorin, der die gesamten drei Stunden die Gemeindeversammlung verfolgt hatte. So habe auch er sich das nicht vorgestellt, antwortet er. Die Fragen seien für ihn »rätselhaft«. Er wundere sich, dass gar nicht nachgehakt werde, was zum Beispiel »von den Synagogen« erwartet werde. Und nur ein einziger Teilnehmer unter 35 Jahren sei an diesem Sonntag zur jährlichen Frage-und-Antwortrunde ins Gemeindehaus an der Fasanenstraße gekommen. »Wir werden die jüngeren Leute immer mehr verlieren«, befürchtet er.
Vielleicht nicht nur die Jüngeren? Auch von den 21 Repräsentanten hatten gerade mal 13 und mit ihnen auch nur 50 Gemeindemitglieder den Weg ins Gemeindehaus gefunden. In den vergangenen Jahren kamen bis zu 300 Mitglieder, viele drängelten sich am Mikrofon, um ihre Anliegen vorzubringen.
Diesmal waren es insgesamt nur acht Fragesteller. Der erste war der Gemeindeälteste Isaac Behar, der den fast einstündigen »Lobgesang« der einzelnen Dezernenten kritisierte. »Einmal im Jahr haben die Mitglieder das Wort, und dann reden Sie. Ich werde mir das Wort nicht nehmen lassen.« Innerhalb von drei Minuten soll jeder sein Anliegen vorbringen – doch daran hält sich keiner. Behar braucht 20 Minuten. Er kündigt an, wenn die Gemeinde bis zu Pessach nicht endlich eine neue Bestuhlung für die Sefardische Synagoge beschaffe, dass dann die Beter eine eigene Religionsgemeinschaft gründen werden. Daraufhin stellt Maurice Elmaleh, Gabbai der Synagoge, klar, dass Behar nicht die Beterschaft vertrete. Die wolle durchaus in der Einheitsgemeinde bleiben.
Opposition Nach Behar erkundigte sich Arkadi Schneiderman, ehemaliger Personal- und Verwaltungsdezernent, wie es zur Abwahl von Mark Jaffe gekommen sei. Jaffe wurde im Dezember als Personaldezernent im Vorstand abgewählt und bei der jüngsten Repräsentantenversammlung auch als Vorstandsmitglied. Und zwar mit den Stimmen der Opposition. »Wir wollten an einem Strang ziehen«, erläutert Repräsentant Sergey Lagodinsky. Der nächste Redner hält einen Vortrag über sein Demokratieverständnis, nach dem alle Mitglieder über alles abstimmen sollten. »Wir sind hier kein Verein, sondern eine Körperschaft öffentlichen Rechts«, antwortet ihm Präsidiumsmitglied Tuvia Schlesinger.
Gemeindemitglied Raissa Kruk hat andere Sorgen, denn sie mache sich Gedanken um die Kinder. In Berlin gebe es in Zukunft nur noch Sekundarschulen und Gymnasien und sie frage sich, wo die schwächeren Schüler bleiben sollten, wenn die Realschule der Jüdischen Oberschule ein Auslaufmodell wird. »Kann nicht aus der Heinz-Galinski-Schule eine Gemeinschaftsschule werden?« Man werde sich darum kümmern, verspricht ihr Michael Joachim, Vorsitzender der Präsidiums. Der achte und letzte Redner wirft den Repräsentanten vor, sich zu wenig um die Mitglieder zu kümmern. Da sind gerade mal noch 20 Zuhörer und zehn Repräsentanten da. Und eben Lala Süsskind und Rabbiner Ben-Chorin. »Wirklich sehr ernüchternd«, fasst er seine Eindrücke zusammen.