Karneval

Koschere Kamelle auf der Kö

Der Platz auf dem Toleranzwagen war begehrt, 32 Vertreter von Judentum, Christentum und Muslimen durften mitfahren. Foto: Simon Vilk

Einen Wagen wie die Nummer 58 hat es im Düsseldorfer Rosenmontagszug noch nicht gegeben. Und das will in der rheinischen Frohsinnsmetropole schon etwas heißen. Unter der Überschrift »Toleranzwagen« fuhren Juden, Christen und Muslime gemeinsam durchs Düsseldorfer Zentrum und sendeten damit eine Botschaft für religiöse Verständigung.

Das zehn Meter lange Gefährt, entworfen und gebaut von dem Künstler Jacques Tilly, zeigte die Figuren eines Rabbis, eines Imams, eines katholischen Geistlichen und einer Pfarrerin nebst Kirchen, einer Moschee und der Synagoge. Die Fahrt ging vorbei an rund 600.000 Zuschauern.

Gestartet war der närrische Tross aus 124 Wagen und etwa 8700 Teilnehmern unter dem Motto »Gemeinsam jeck« mit etwa zwei Stunden Verspätung, was jedoch bereits am Abend zuvor bekannt gegeben worden war. Die Verschiebung lag am Sturmtief »Bennet«, das vormittags noch über Düsseldorf brauste und den Holz-Draht-Pappmaschee-Wagen hätte gefährlich werden können.

Verwaltungschef Michael Szentei-Heise (3.v.l.) zeigte sich als Weihnachtsmann.Foto: Simon Vilk

Der Stimmung auf dem Toleranzwagen tat das jedoch keinen Abbruch. An Bord waren 32 Mitfahrer, darunter Michael Szentei-Heise, Verwaltungschef der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, der sich – ganz interreligiös – ein Weihnachtsmannkostüm übergestreift hatte.

Dalinc Dereköy, Vorsitzender des Kreises der Düsseldorfer Muslime, thronte mit Pilotenmütze und roter Pappnase auf dem Wagen. Düsseldorfs katholischer Stadtdechant Ulrich Hennes – leicht zu erkennen an einer weißen Engelsperücke – und der evangelische Superintendent Heinrich Fucks im Bienenkostüm vervollständigten das bunte Miteinander der Religionen hoch auf dem Karnevalsgefährt.

Spenden Der rund 65.000 Euro teure Motivwagen war fast zur Hälfte, rund 30.000 Euro, durch Spenden finanziert worden. Sieben Plätze waren für jeweils 1911 Euro verkauft worden. Ein Mitfahrerticket sicherte sich so die Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann, gleichzeitig stellvertretende FDP-Vorsitzende.

Mit vollen Händen warf die Wagenbesatzung Schokoriegel, koschere Kamelle und allerlei andere kleine Geschenke unters Volk. Der Bonbonregen sorgte natürlich für reichlich Jubel und Helau-Rufe vom Straßenrand, besonders auf Düsseldorfs Prachtboulevard, der Königsallee. Teams von WDR und ZDF übertrugen die Aktion mittags live in die Wohnzimmer der Fernsehzuschauer, ja, sie schaffte es sogar bis in die Abendnachrichten.

2018 hatte man einen Wagen
mit einer Heinrich-Heine-Figur
auf den Weg geschickt.

»Wir wollen mit dem Wagen ein Zeichen gegen jede Art von religiöser Diskriminierung setzen«, erklärte Szentei-Heise die Ursprungsidee, sich am Zoch zu beteiligen. »Als Tilly den ersten Entwurf vorgelegt hat, habe ich 20 Sekunden darauf geschaut, ihn dann sofort angerufen und gesagt: ›Jacques, du bist ein Genie!‹«, hatte Szentei-Heise vorab auch schon dem Domradio verraten.

organisation Die Organisation des Toleranzwagens hatte die jüdische Gemeinde übernommen. Muslime, Protestanten und Katholiken waren schnell mit ins Boot gestiegen, als sie von der Idee erfuhren. Für die Jüdische Gemeinde Düsseldorf war es bereits die zweite Beteiligung am großen närrischen Lindwurm durch Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt. 2018 hatte man einen Wagen mit einer Heinrich-Heine-Figur als Blickfang auf die Reise geschickt, der ebenfalls von Jacques Tilly gestaltet worden war. Das internationale Medienecho war enorm. Der interreligiöse Toleranzwagen war übrigens noch ein gutes Stück größer als der Heine-Wagen.

Die Idee des interreligiösen Gefährts im Karneval könnte Schule machen. Vor wenigen Tagen wurden in Düsseldorfs Nachbarstadt Ratingen Überlegungen öffentlich, dort 2020 auch einen »Toleranzwagen« gegen Antisemitismus und Diskriminierung in den Zug einzureihen. Und wer weiß, was sich die KKK, die Kölsche Kippa Köpp, für die nächste Session einfallen lassen?

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Frankfurt/Main

»Mein Herz blutet«

In Israel herrsche »Balagan«, Chaos, sagt Chaim Sharvit. Er steht hier denen zur Seite, die zum ersten Jahrestag des 7. Oktober dunkle Gedanken haben. Ein Besuch in Deutschlands größtem jüdischen Altenheim in Frankfurt

von Leticia Witte  14.10.2024

Gedenkveranstaltung

Steinmeier: Wer überlebt hat, trägt schwer an der Last

Fünf Jahre nach dem rechtsextremen Anschlag besucht Bundespräsident Steinmeier die Tatorte.

 09.10.2024

Frankfurt

Graumann und Grünbaum zur Doppelspitze in der Frankfurter Gemeinde gewählt

Den Vorstand vervollständigen Rachel Heuberger, Daniel Korn und Boris Milgram

von Christine Schmitt  09.10.2024

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

IKG

»Ein großer Zusammenhalt«

Yeshaya Brysgal zieht nach einem Jahr als Jugendleiter eine positive Bilanz und plant für die Zukunft

von Leo Grudenberg  04.09.2024

Keren Hayesod

»Das wärmt mir das Herz«

Der Gesandte Rafi Heumann über seinen Abschied von Berlin, deutsche Spielplätze und treue Spender

von Christine Schmitt  04.09.2024

Porträt der Woche

Sinn ernten

Caro Laila Nissen half nach dem 7. Oktober Bauern in Kibbuzim nahe Gaza

von Lorenz Hartwig  01.09.2024