Mönchengladbach

»Herausragende Lebensleistung«

Der 95-jährige Schoa-Überlebende Icek Ostrowicz erhält das Bundesverdienstkreuz

von Christine Schmitt  13.07.2023 07:57 Uhr

Setzte sich für Versöhnung ein: Icek Ostrowicz sel. A. (1927–2024) Foto: Jochen Linz

Der 95-jährige Schoa-Überlebende Icek Ostrowicz erhält das Bundesverdienstkreuz

von Christine Schmitt  13.07.2023 07:57 Uhr

An diesem Montagmorgen sitzt Icek Ostrowicz mit einer Tasse Kaffee und vielen Unterlagen an einem Tisch in seinem Garten. »Ich arbeite«, sagt der fast 96-Jährige. Denn er ist der Finanzvorstand der Gerhard C. Starck Stiftung, die er zusammen mit anderen nach dem Tod seines Freundes im Jahr 2000 gegründet hat.

Seit mehreren Jahrzehnten setzt sich der 95-Jährige aus Mönchengladbach für die Versöhnung zwischen den Religionen und für die Integration der jüdischen Gemeinden im öffentlichen Leben ein. Auch dafür wurde er nun mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse geehrt. Aber da er bescheiden ist, habe er keine große Medienaufmerksamkeit gewollt und auch nur in einem engen Kreis gefeiert. »Ich gehe nicht damit herum.«

brief Als er vor Wochen den Brief von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier öffnete, war er überrascht. »Damit habe ich in meinem Leben nicht gerechnet«, sagt er. »Mein Ziel war es nicht, eine Ehrung zu bekommen, sondern junge Menschen zu unterstützen.« »Er hat für die Stadt und für unsere Gemeinde viel getan, 2011 eine Torarolle gespendet und sechs Jahre später eine weitere«, sagt Leah Floh, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach. Deshalb habe die Gemeinde ihn für die Ehrung vorgeschlagen.«

Sein Ziel für die Zukunft: so viele Stipendien wie möglich zu vergeben. Derzeit würden etwa 50 begabte Jüdinnen und Juden in ihrem Studium unterstützt. Seit 2006 bleibe die Zahl konstant, insgesamt seien mehr als 500 Stipendien vergeben worden. Sie sollen Bildungs- und Lebenschancen erhalten, die Icek Ostrowicz und seine Generation junger jüdischer Menschen durch den Holocaust nicht hatten.

Bei der Verleihung des Ordens im Düsseldorfer Landtag sagte Nathanael Liminski (CDU), Minister und Chef der Staatskanzlei: »Seit vielen Jahrzehnten setzt sich Icek Ostrowicz für den interkulturellen Dialog, für die Förderung junger Menschen und für die Belange der jüdischen Gemeinde in Mönchengladbach ein. Ostrowicz ist eine Persönlichkeit mit gleichermaßen beeindruckender und herausragender Lebensleistung. Ich verneige mich vor so viel unerschütterlichem Lebensmut und großem Engagement.«

arbeitslager Ostrowicz hatte nie die Möglichkeit, eine Universität zu besuchen. »Mir ist das verwehrt worden, ich durfte nicht einmal zur Schule gehen«, sagt er, der 1927 in Kielce in Polen geboren wurde. Die deutsche Wehrmacht marschierte in Polen ein, und der Zweite Weltkrieg begann, als er zwölf Jahre alt war. Ostrowicz wurde von seiner Familie getrennt und zur Arbeit verpflichtet. Zwei Arbeitslager, drei Konzentrationslager und einen sogenannten Todesmarsch überlebte er.

Nach dem Holocaust erfuhr er, dass seine gesamte Familie ins Konzentrationslager Treblinka deportiert und dort ermordet worden war. »Niemand außer mir hatte überlebt. Ich wusste nicht, was ich machen sollte.« Über Umwege kam er 1947 als 19-Jähriger nach Mönchengladbach. Dort startete er ein neues Leben, baute sich ein Unternehmen in der Textilbranche auf. Er heiratete und bekam eine Tochter.

»Der Verlust meiner Eltern und meiner Geschwister begleitet mich bis heute«, sagt Icek Ostrowicz. Bildung stehe für ihn an vorderster Stelle, denn die könne einem »keiner nehmen«.

täter »Nach dem Krieg hat sich niemand getraut, das Wort ›Jude‹ überhaupt auszusprechen«, sagt Ostrowicz. Er hatte den Eindruck, dass sich damals viele mitschuldig fühlten, auch wenn sie vielleicht keine Täter waren. Mit der Zeit habe sich die Stimmung geändert. Nun beobachte er, wie der »eingefrorene Antisemitismus«, wie er es nennt, wieder hochkommt. »Die Befürchtungen sind da, dass es schlimmer wird«, sagt Ostrowicz. Auch eine gestiegene Fremdenfeindlichkeit nehme er wahr. »Früher waren es die Juden, jetzt sind es Muslime.«

Mit Verständigung hofft Ostrowicz, dem etwas entgegensetzen zu können. »Ich tue, was ich kann.«

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