»Mischpoke-Tag«

Ganz in Familie

Ohne Sicherheit geht es an diesem Mischpoke-Sonntag zwar nicht, doch spätestens im Innenhof zwischen Synagoge und Gemeindezentrum beginnt der »Mischpoke-Tag« – mit dem unverwechselbaren Zeichen für Spaß, einer Hüpfburg, die von den Kindern von Anfang an zum Lieblingsort erkoren wird. Die Begrüßung am späten Vormittag im Großen Saal des Gemeindezentrums ist ebenfalls unverwechselbar.

Der Leipziger Rabbiner Zsolt Balla greift zur Gitarre und stimmt »Kachol Velawan« an – das Lied, das von einem russischen Autor in den 70er-Jahren geschrieben wurde, als man noch nicht aus der Sowjetunion nach Israel auswandern konnte. Sehr hymnisch geht es – wie der Titel verrät– um Weiß und Blau, »meine Farben für die Ewigkeit«. Doch trotz der souveränen musikalischen Führung durch Rabbiner Ballas sonore Stimme kann kaum jemand mitsingen. Beim Hit »Hava Nagila« sieht das schon ganz anders aus – und hört sich auch anders an.

Kindertag Etwa 120 Personen sind an jenem Juni aus den drei sächsischen Großstädten gekommen – erfreulich viele Familien mit Kindern, aber auch betagte Gäste. Eine etwas größere Resonanz habe man sich schon erhofft, verrät Organisator Alexander Rosenfeld, Vorsitzender der Repräsentantenversammlung der Dresd­ner Gemeinde. Für den Mathematiker Rosenfeld ändert das aber nichts an der Wichtigkeit eines solchen jährlichen Fa­milien-Begegnungstages.

»Wir wollen den Zusammenhalt stärken, zumal viele der aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Gemeindeglieder dort nicht religiös aktiv waren«, sagt er. Mit dem gleichen Ziel organisiert er auch einen Kindertag.

Zwei junge Mütter erzählen, dass sie eigentlich nur jeden Sonntag ihre Kinder zum Kinderchor bringen und so den Kontakt halten. Für die Kinder, die überwiegend Deutsch sprechen, ist der Chor eine Gelegenheit, auch Lieder in russischer und hebräischer Sprache kennenzulernen. Die Mütter kennen die Gäste aus Leipzig oder Chemnitz persönlich kaum, begrüßen aber deshalb einen solchen Tag umso mehr.

Rund 700 Mitglieder zählt die Dresdner Gemeinde. Die Generationen miteinander zu verbinden, darauf kommt es besonders an, denn die Kinder sollen den Kontakt zur jüdischen Gemeinschaft halten. »Sie sehen doch, dass es klappt«, freut sich der scheidende Dresdner Rabbiner Alexander Nachama beim Abschied.

Poker Einige Chemnitzer Jugendliche liegen sich häufig in den Armen und feiern diesen Tag. Mit dem alten jiddischen Begriff »Mischpoke« allerdings können sie so gar nichts anfangen. »Einfach ein Familientag«, sagen sie achselzuckend, und »einfach Spaß haben«. Den haben sie in der Tanzgruppe. Als »Schnupperkurs israelische Tänze« ist sie angekündigt, aber was die Leipzigerin Galyna Kapitanova mit Jugendlichen und einigen Erwachsenen einstudiert, sieht eher nach Showtanz aus. »Eine moderne Bearbeitung«, erklärt sie.

Im Café wird ein kleines Theaterstück besprochen, eine kurze szenische Lesung, wie sich bei der Aufführung am Nachmittag zeigt. Es gibt einen Regisseur, aber die Damen bleiben unter sich, weil sich kein jugendlicher Held findet. In der Tagessynagoge im zweiten Stockwerk kneten Kinder aus Ton Leuchter. Andere zaubern blumige Aquarelle. Und für die, die es sportlich mögen, ist sogar eine Dart-Scheibe aufgehängt, Schachbretter stehen bereit, und auf der Terrasse verblüfft eine sehr angeregte Runde an einem Pokertisch. »Ist doch ein altes jüdisches Spiel«, lautet lachend die Antwort.

Mit solchem nun wirklich sehr säkularen Zeitvertreib konkurriert noch vor dem Mittagessen eine gut besuchte »Frag den Rabbi«-Runde. Manche Fragen sind religiöser oder theologischer Natur. Weshalb möchte Gott, dass zu ihm gebetet wird? Kann der Ewige zornig oder heiter sein? Warum muss in allen Glaubensfragen immer wieder auf die Tora zurückgegriffen werden? Müssen wir erst auf den Messias warten, um einen dritten Tempel aufzubauen? Andere sind eher praktischer Natur. Warum kann man Gottesdienste nicht per Skype halten? Würde sich eine koschere Schächterei in Dresden lohnen? Auch der Chemnitzer Rabbiner Jakov Pertsovsky gibt Antworten, die bei drei Rabbinern überhaupt nicht einheitlich ausfallen müssen.

Frieden Eine wirkliche Kontroverse zwischen dem liberalen Dresden und dem eher orthodoxen Leipzig bedeutet dies aber keineswegs. Da stimmt es schon eher traurig, dass von der Dresdner Chabad-Lubawitsch-Bewegung trotz Einladung nie­-
mand erschienen ist. Am Nachmittag sitzen dann alle Rabbiner noch einmal zur »Schalom-Diskussion« mit den Gästen zusammen. Es geht um die Ursprünge des Friedens in der Familie.

Zu den bewegendsten Momenten dieses Mischpoke-Tages gehört, als Rabbiner Balla nach dem Essen im Café spontan Gesänge anstimmt und viele mitsingen. Singend geht der Tag auch zu Ende, nachdem Tänzer und Theaterfrauen ihre Ergebnisse vorgestellt haben und die Preise für ein Quiz vergeben worden sind, dessen Beantwortung detaillierte Israel-Kenntnisse verlangt. Für jedes Kind steht noch eine Wundertüte bereit, Trinkflaschen, Buntes, Süßes und ein kleiner Zuckerwatte-Automat.

Die Gäste des Mischpoke-Tags kamen aus den unterschiedlichsten Gründen: Ein jüngerer orthodoxer Mann war vor allem wegen der beiden Gesprächsrunden mit den Rabbinern dabei. Manche erlebten einen Tag der gemeinsamen Entspannung in geschützter Atmosphäre, einen, an dem man sich nicht mit wachsendem Antisemitismus draußen auseinandersetzen muss.
»Wir hoffen, dass alle etwas klüger hinausgehen«, sagt Ruth Röcher, die Vorsitzende der Chemnitzer Gemeinde. Die treffendste Zusammenfassung liefert spontan die neunjährige Margaretha: »Heute war ein guter Tag!«

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