Gelsenkirchen

Ein Wohlfühlort

Ihren Zeitplan für den Festakt zum zehnjährigen Bestehen der Synagoge hatte Judith Neuwald-Tasbach ziemlich genau eingehalten. Dass die letzten Gäste erst gegen 21.30 Uhr gingen, lag nicht nur an Schnittchen, Sekt und Wein aus der eigenen Küche. Jeder wollte mit der Gemeindevorsitzenden noch Worte wechseln, sich bedanken für die würdige Feier und für mindestens zehn Jahre guter Zusammenarbeit. Da wurden keine steifen Dankesworte ausgetauscht, sondern Herzlichkeiten, Umarmungen mit allen Beteiligten, Gästen, den Chormitgliedern von »Chawerim« unter der Leitung von Svetlana Fomenko, dem Gesangsnachwuchs Anna, Elinor, Shulamith und Dominik und den jugendlichen Akteuren David Sarazhynski, Benjamin Sarainski und Frederik Guski.

Der Abschiedsmarathon war Sinnbild dessen, was Josef Schuster in seinem Grußwort als quicklebendige Gemeinde beschrieben hatte. Das bekam er spätestens beim abschließenden Umtrunk vorgeführt, wenn er es nicht schon aus den Reden von Oberbürgermeister Frank Baranowski, Landesverbandschefin Hanna Sperling und den drei Rabbinern, die sich zu Wort meldeten, herausgehört hatte.

Gemeinschaft, so betonten alle Redner, wird in Gelsenkirchen großgeschrieben. Gemeinschaft der Gemeinde untereinander – jeder hatte mit angepackt, die Stühle aufgestellt, das Fingerfood zubereitet, die Platten neu aufgefüllt, sich als Sänger und Sängerin im Chor Chawarim, als Nachwuchssänger oder als Solist an Klavier, Klarinette und Geige beteiligt.

Aber auch die Gäste, Bürger- und Oberbürgermeister der umliegenden Städte, Vertreter der christlichen Kirchen und der Moscheegemeinde, des Fußballklubs Schalke 04, Polizeipräsidentinnen, Mitglieder der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, mit denen die Gemeinde eng zusammenarbeitet, sie waren an diesem Abend herzlich willkommen.

Bedrohung Alle Unterstützer zu nennen, dauerte dann auch fast länger als der Bericht über die Gemeindearbeit. Für Neuwald-Tasbach ohnehin selbstverständlich. All diese Menschen machten es ihr leicht – auch in schweren Zeiten. Zweimal schon seien Scheiben eingeworfen worden. »Es gab Bedrohungen und Hakenkreuzschmierereien.« Aber gerade in dieser Zeit habe sich gezeigt, »wie sehr wir mit unserem neuen Haus nicht nur wieder am alten Platz im Herzen der Stadt Gelsenkirchen angekommen sind, sondern auch in den Herzen der Menschen«.

»Wer baut, will bleiben«, hatte 2007 die damalige Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch zur Eröffnung des Gemeindezentrums gesagt. »Das haben wir vor, wir wollen bleiben!«, wiederholte Neuwald-Tasbach. Der Tag der Einweihung sei der Beginn einer schönen Zeit gewesen.

Diesen Geist nahm auch Zentralratspräsident Josef Schuster auf. Denn das Gefühl von Geborgenheit in der Gemeinde springe ebenso auf die Jugendarbeit über, die sich in bemerkenswerten Auftritten bei der Jewrovision zeige. So zitierte Schuster gleich zu Beginn seiner Rede vier Zeilen des Songs der letztjährigen Gruppe, die für das Jugendzentrum »Chesed« in Mannheim angetreten war. Gerade für kleine Gemeinden sei es nicht leicht, »eine aktive Jugendarbeit zu leisten und den Kraftakt zu stemmen, den die Teilnahme an der Jewrovision auch bedeutet. Das gelingt nur, wenn engagierte Jugendliche da sind, die in ihrer Gemeinde ausreichend Rückhalt finden.«

Schuster erinnerte auch an den Wiederaufbau der Gemeinde nach der Schoa, an Männer wie Kurt Neuwald sel. A., nach dem der Gemeindesaal benannt ist. »Er gehörte zu jenen wenigen Juden, die die Schoa überlebt und die Hoffnung nicht aufgegeben hatten, jüdisches Leben in Deutschland wieder aufbauen zu können.« Seine Tochter führe die jüdische Tradition in bestem Sinne fort.

Tradition Rabbiner Avichai Apel erinnerte an den Milchmann Tewje aus Anatevka, der im ganzen Trubel eine feste Größe sucht und findet: die Tradition. »Sie hält uns am meisten zusammen. Le dor va dor, von Generation zu Generation.« Sie bereichere und verpflichte gleichzeitig, indem sie den Reichtum der vorangegangenen Generation erhält und die Verpflichtung hat, diesen weiterzugeben. Die Gelsenkirchener Gemeinde tue dies vorbildlich.

Er wolle die Gäste ein wenig an den Gefühlen teilhaben lassen, die er mit der Synagoge, dem 1. Februar 2007 und 2017 verspüre, verriet Rabbiner Julian-Chaim Soussan, der wie Apel aus Frankfurt angereist war. Und Soussan erzählte, wie sie – Rabbiner Zsolt Balla, Avichai Apel und er – mit den Torarollen unter den »neugierigen und wohlwollenden Blicken der Stadtbevölkerung die Stadt durchtanzt« hatten.

Wie dieser Bau seine Seele erhalten habe, verglich Soussan mit Jakow, der durch den vermeintlichen Tod seines Sohnes Josef nicht mehr beten konnte, die Gegenwart Gottes verloren hatte und die Fähigkeit wiedererlangte, sobald er seinen Sohn wiedersah. Die Gemeinde besitze eine solche Seele, durch ihre Mitglieder, den Gemeinderabbiner und ihre Vorsitzende. »Wir sind glücklich, dass es Menschen wie dich gibt«, dankte Soussan Neuwald-Tasbach in seiner sehr persönlich gehaltenen Rede.

Vision Oberbürgermeister Frank Baranowski erzählte, wie aus einer Idee, einer Vision weniger Einzelner, ein Gesamtwerk vieler Befürworter wurde. Der 1. Februar 2017 sei für ihn ein Tag der Freude über die religiöse Vielfalt und Toleranz in der Stadt. »Ich bin froh, dass es diese Synagoge an dieser Stelle gibt und wir die jüdische Gemeinde haben«, bekannte der OB.

»Mit dem Bau allein ist das Werk noch nicht vollendet«, sagte Hanna Sperling, Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Westfalen-Lippe. Die Eröffnung sei ein Erlebnis gewesen, »das uns allen zu Herzen gegangen ist«. Und dieses Gefühl habe sich fortgesetzt. Die Gemeinde liebe ihre Mitglieder und mache ihnen nicht nur alle erdenklichen Angebote, sie biete ihnen vor allem Geborgenheit –das spüre man. In zehn Jahren hat das Gelsenkirchener Gemeindezentrum mehr als 50.000 Gäste empfangen.

Egal in welcher Sprache und auf welchem Fleckchen Erde sich Juden befänden, sie hätten in seltener Übereinstimmung für die Orte ihrer Zusammenkunft immer wieder Worte gefunden, die sich aus Gemeinschaft, Versammlung, Gelehrsamkeit zusammensetzten, sagte Gemeinderabbiner Chaim Kornblum. Er wünsche sich immer voll besetzte Räume, in denen zusammen gelernt, gelehrt und diskutiert wird.

Das sollte sich fortsetzen. Für Sonntag kündigte ein Plakat am Schwarzen Brett den Tag der offenen Tür an. Mit wohligem Schaudern erinnert sich Neuwald-Tasbach an diese Veranstaltung vor zehn Jahren. Nicht einige Hundert, sondern Tausende waren gekommen. Der Kuchen war nach einer Stunde weg. Diesmal ist die Gemeinde besser vorbereitet.

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